Hans Oestmann ist in dritter Generation Festmacher im Hafen. Mit seinem neu gegründeten Unternehmen Hamburg Lines Men bringt er Bewegung ins Geschäft – und ein Boot mit Tradition

Steinwerder. Die „Margarethe“ fährt in der Abendsonne auf die Köhlbrandbrücke zu. Nicht weit von ihrem Anlieger entfernt wartet Arbeit. Lars Platzek steuert das Festmacherboot zur Ölmühle von ADM. Dort liegt der Massengutfrachter „Tian Yu Feng“, entladen und bereit zum Auslaufen. Hoch ragt der Bugwulst des Schiffes aus dem Wasser. Platzek nimmt seine Kollegen Mithat Akta und Oliver Soltau an der Kaimauer in Empfang und fährt sie vor das Schiff an einen mächtigen Dalben. Die beiden Männer steigen die steile Leiter hinauf. Das Licht ist mild, es weht kein Wind. Dennoch wirkt ihr Aufstieg auf den Pfahl gewagt. Oben machen sie die schweren, steuerbordseitigen Vorleinen des Frachters los. Das geht nur mithilfe eines Bootes, denn der Dalben steht frei im Hafenbecken. Zwei Schlepper warten schon, um die „Tian Yu Feng“ für ihre Abfahrt aus Hamburg ins Fahrwasser zu ziehen. Nach gut 20 Minuten setzt Platzek die beiden Festmacher wieder am Kai ab. „Das war ein relativ leichter und ruhiger Job“, sagt er. „Meist ist es anders. Wir müssen bei jedem Wetter raus.“

Ohne sie geht nichts im Hafen. Eine kleine Truppe von insgesamt weniger als 150 Arbeitern in einer Handvoll Firmen sorgt dafür, dass die Schiffe in Hamburg stets sicher festmachen und wieder loskommen. Gut 10.000 Schiffe fast jeden Typs und jeder Größe liefen den Hafen der Hansestadt im vergangenen Jahr an. Die Festmacher fixieren die schweren Taue auf den Pollern der Kaianlagen mit Körperkraft und mithilfe von Winschenwagen, speziell ausgerüsteten Kleintransportern. Oft aber müssen die Schiffe auch vom Wasser aus an Dalben befestigt werden, im Hafen selbst und auf den Wartepositionen vor dem Airbuswerk auf Finkenwerder.

„Wer bei Windstärke 7 und Strömung ein Großschiff an den Finkenwerder Pfählen in der Elbe festmacht, beherrscht die Königsdisziplin unseres Berufs. Die das können, sind echte Künstler“, sagt Hans Oestmann. „Man muss extrem darauf achten, dass man keinen Tampen in die Bootsschraube bekommt, dann ist man manövrierunfähig. Wichtig ist auch die Kommunikation zwischen Schiff, Schlepper und Festmacherboot. Setzt das Schiff seine Schraube an, während der Festmacher am Heck operiert, wird das Boot unkontrollierbar fortgespült.“

Oestmann, 41, steht vor seinem Firmengebäude am Köhlbrand. Dort hat er einen weiten Blick über den inneren Teil des Hafens und auf die Köhlbrandbrücke. Die Werkstatthalle seines Festmacherunternehmens Hamburg Lines Men mit der Kuppel auf dem Dach ist so markant, dass mancher Besucher auf einer Barkassentour glaubt, hier sitze die Zentrale des Hafens. Am Mittag dieses Tages hat Oestmanns Schwester Anita mit einer Flasche Astra-Pils vor der Halle gemeinsam mit einigen Gästen die „Margarethe“ getauft. Sein Großvater hatte das Festmacherboot in den 1960er-Jahren auf der Feltz-Werft auf Finkenwerder bauen lassen. In den 1980er-Jahren war es nach Bremen verkauft worden. 2011 holte Oestmann es zurück nach Hamburg: „Die Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen.“ Komplett erneuert und mit einem 300-PS-Dieselmotor versehen, verrichtet die alte „Margarethe“ nun ihren Dienst für Oestmanns neues Unternehmen.

Die Taufe des restaurierten Bootes ist für Oestmann ein wichtiges Symbol, um die Familientradition mit seinem unternehmerischen Neustart zu verbinden. Erst Anfang des Jahres hat er mit Hamburg Lines Men die Arbeit aufgenommen. Seine frühere Firma Bootsleute Altona Oestmann war Teil einer Arbeitsgemeinschaft von fünf Unternehmen mit insgesamt 90 Mitarbeitern. Eine Zeit lang leitete Oestmann zugleich auch die Arbeitsgemeinschaft. Doch dann gab es Streit um die künftige Ausrichtung, und Oestmann fing als Unternehmer noch einmal neu an.

Mit seinem neuen Kooperationspartner, dem Unternehmen TMS, beschäftigt Oestmann nun insgesamt 35 Mitarbeiter, sechs Winschenwagen – die sogenannten Mooringcars – vier Autos, vier Festmacherboote und ein Speedboot, wenn es mal ganz eilig ist. Hafenkapitän Jörg Pollmann von der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA), quasi der oberste Aufseher für die Arbeit der Festmacher, freut sich: „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt er. „Und Hans Oestmann kennt sich in seinem Gewerbe aus.“

Die Festmacherdienste müssen rund um die Uhr erreichbar sein, letztlich auch, um Schiffen in Notlagen helfen zu können. Oestmann und seine Leute sind über die An- und Abläufe im Hafen stets bestens informiert. „Ich konnte Anteile am Schiffsmeldedienst kaufen“, sagt er. „Das ist für die Festmacherei eine ideale Situation.“

Oft arbeiten frühere Seeleute in dem Gewerbe. Aber das ist für Oestmann nicht entscheidend. „Ich beschäftige gern Mitarbeiter mit handwerklicher Ausbildung, die wir neben der Festmacherei auch sonst im Unternehmen einsetzen. Besonders wichtig ist allerdings, dass sie gut mit den Booten fahren können, damit das Material nicht zu sehr leidet“, sagt er. „Die Ansprüche sind hoch, gerade bei schlechtem Wetter.“ Wenn es die Situation erfordere, fahre er auch noch selbst raus zu den Schiffen: „Das habe ich während des Studiums jahrelang gemacht, und mein Hafenpatent gilt nach wie vor. Mir macht das immer noch riesigen Spaß.“

Dabei hatte er während des Studiums gar nicht vor, den Familienbetrieb zu übernehmen. Erst als ihm klar wurde, dass er als Meeresbiologe keine guten Arbeitsbedingungen und kein attraktives Gehalt vorfinden würde, entschied sich Oestmann anders. Zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts stieg der passionierte Segler in die Festmacherei ein: „Damals begann ein jahrelanger Boom des Hamburger Hafens, vor allem bei den Containerverkehren. Die Aussichten waren glänzend.“

Mittlerweile stagniert der Güterumschlag. Allerdings trifft das die Festmacher weniger als die Terminals. Nach wie vor kommen viele Schiffe, wenn auch mit weniger Ladung. Gefahr sieht Oestmann, der sich auch im Vorstand des Unternehmensverbands Hafen Hamburg (UVHH) engagiert, vor allem durch den Engpass auf der Elbe: „Die Blockade der Elbvertiefung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ist für den Hafen ein großes Problem“, sagt er. „Ich bin aber zuversichtlich, dass das Gericht die richtige Entscheidung trifft und dass die Gegner des Projekts das auch akzeptieren können. Das wäre ein wichtiges Signal an die Linienreeder mit großen Schiffen, die jetzt mit vielen Widrigkeiten beim Anlauf auf Hamburg zu kämpfen haben.“

Seine Halle hat Oestmann im Jahr 2005 noch für seine damalige Firma gebaut. Von der Kuppel aus hat er den Hafen immer im Rundumblick. Allerdings wohnt er heute nicht mehr dort wie noch in der Anfangszeit: „Als ich meine Frau kennenlernte“, sagt er, „musste ich ihr dieses Zugeständnis machen.“