Die 28. Reise führt nach Zetel bei Oldenburg. Hier veredelt Dirk Abrahams Fisch auf ganz besondere Art. Abrahams erfand das wohl kälteste Kalträucher-Verfahren für hochwertigen Lachs.

Zetel. Die größten Erfolgsgeschichten können manchmal ganz klein anfangen. Zum Beispiel so, wie bei Apple-Erfinder Steve Jobs. Im Alter von 21 Jahren baute er in der Garage seiner Eltern im Silicon Valley seinen ersten Computer: ein klobiger Kasten zum Heimgebrauch, der zum Teil aus Holz bestand. Mit geringsten technischen Möglichkeiten startete Jobs so eine weltweite digitale Revolution.

Ähnlich war es bei Dirk Abrahams. Nur dass er keinen Computer erfand, sondern das wohl kälteste Kalträucher-Verfahren für hochwertigen Lachs. Mit kleinsten Mitteln und größter Experimentierlust hat Abrahams vor 25 Jahren so lange an einem Rezept herumgedoktert, bis es für ihn perfekt war – und zwar in einer kleinen Garage auf dem friesischen Flachland, nicht weit entfernt vom Meer. Heute betreibt Abrahams in Zetel zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven eine der größten Fischräuchereien in Deutschland mit rund 90 Mitarbeitern und einem Umsatz von 23 Millionen Euro. 3000 Tonnen Fisch werden hier jedes Jahr verarbeitet – der meiste davon in Form von Abrahams Erfindung: kalt geräucherter Lachs. Seine Rohware kommt vor allem als Zuchtfisch aus Norwegen oder als Wildfisch aus Alaska. „Premium-Ware“, sagt er. „Wir haben uns ganz bewusst gegen die Geiz-ist-geil-Schiene entschieden und setzen auf Qualität. Auch wenn das dann ein paar Euro teurer ist.“

Mit Gummistiefeln und weißem Kittel stapft Abrahams mit schmatzenden Schritten über den Boden. Die Wände sind gekachelt, es ist neonröhrenhell und die Luft kühl, fischig und feucht. Die Zuchtlachse kann man hier von den Wildlachsen daran unterscheiden, dass sie noch einen Kopf haben. Nützen tut ihnen das allerdings nichts – denn auch sie erreichen Zetel tiefgefroren und damit bereits tot. Und auch sie beginnen ihren Weg in Abrahams Filettier-Maschine. Der großen, mehrstufigen Anlage aus Edelstahl und Laufbändern haftet trotz ihrer glänzenden Sauberkeit etwas Martialisches an. Denn zuerst schlägt eine kleine Guillotine den Fischen den Kopf ab. Zack. Die nächste Klinge trennt den Schwanz vom glänzenden Körper. Zack. Flossen ab. Zack. Dann wird der Lachs der Länge nach aufgeschnitten, das Skelett herausgezogen. Seine linke und rechte Körperhälfte liegen jetzt rosa glänzend und aufgeklappt da – und auf dem Boden ein schimmernder Brei aus Eis, Flossen, Fischgewebewasser und Blut.

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Abrahams greift sich eine der Fischhälften vom Band, die von einem sogenannten Sockeye-Lachs stammt. „Schauen Sie mal hier, wie rot der ist“, sagt er. Und es stimmt: Das Fleisch des Fischs ist kein helles, sondern ein dunkles, saftiges Lachsrosa. „Das ist bei dem Sockeye-Wildlachs ganz natürlich. Manche Kunden dachten anfangs sogar, wir färben nach.“ Macht Abrahams aber nicht. Er sagt, im Laufe der Jahre hätten sich seine Kunden an die Farbe gewöhnt. Kein anderer verkauft in der Bundesrepublik so viel Sockeye-Wildlachs wie er.

Am Ende der Filettier-Maschine warten einige Arbeiter auf die halbierten Lachse. Mit nur einer einzigen lockeren Handbewegung streuen sie eine Mischung aus grobem Salz und Kräutern auf jeden Fisch. „Damit es so einfach aussieht, wie es aussieht, muss man schon ein paar Wochen üben“, sagt Abrahams. „Und das kann auch keine Maschine. Denn dickere Stücke brauchen etwas mehr Salz als dünnere Stücke.“ In Kisten liegen die Lachse danach zwei Tage wieder im Kühlraum, „damit das Salz die Feuchtigkeit aus dem Fleisch ziehen kann.“ Und tatsächlich: Auf dem leicht abschüssigen Fußboden in den Kühlkammern fließt das Wasser aus den Fischen in einen Abfluss – rund sechs Kilo Wasser bei 100 Kilo Fisch. „Bei Billigware wird das Wasser nicht rausgezogen – und manchmal sogar noch welches hineingespritzt“, sagt Abrahams, „damit der Lachs dann schwerer ist.“

Sein wirklich umfassendes Lachs-Wissen hat Abrahams sich selbst angeeignet, seit seinen ersten Tagen in der Garage. Er hatte dort anfangs mit dem Räuchern von ein paar Aalen begonnen, nur so zum Spaß. „Und dann habe ich irgendwann auch mit Lachsen rumexperimentiert“, erzählt er. Viel Erfahrung hatte er ja nicht und musste erst ausprobieren, was zu tun ist, damit der Lachs am Ende auch richtig gut schmeckt. Herauszufinden war etwa, wie viel Salz auf den Fisch gehört und vor allem wie der Rauch temperiert sein muss. Nicht nur er, sondern auch sein wachsender Kundenstamm waren vom Ergebnis begeistert. „Irgendwann habe ich schon 80 Kilo Lachs pro Woche geräuchert und drei Garagen gebraucht“, sagt Abrahams. Seine Arbeitstag fing damals um sechs Uhr morgens an und dauerte nicht selten bis weit nach 22 Uhr. „Das hat mir aber riesigen Spaß gemacht“, sagt der studierte Elektrotechniker. „In dieser Arbeit habe ich meine Erfüllung gefunden.“

Was er auch fand, war das Geheimnis seines Erfolges: sein Veredelungsrezept. Denn nach dem zweitägigen Salzbad werden die Lachse für acht bis zehn Stunden in eine Trocken- und Reifekammer geschoben. „Das intensiviert den Geschmack.“ Erst dann geht es in die Räucherkammer, ein kleiner, rund zehn Quadratmeter fassender, fensterloser Raum, in dem es zwar rauchig riecht, aber kalt ist. „Vielleicht haben wir sogar das kälteste Räucherverfahren weltweit“, sagt Abrahams schmunzelnd. „Auf jeden Fall macht es in Deutschland kein anderer so.“ Das Thermometer zeigt während des Räuchervorgangs nur 14 Grad an. In Öfen auf der Außenanlage verbrennt Abrahams heimische Hölzer und Buchenspäne – und kühlt den entstehenden Rauch mithilfe einer selbst gebauten Konstruktion ab, bevor er ihn in die Räucherkammer pumpt.

Abrahams’ Lachs gibt es – je nach Sorte – in Bio-Läden oder herkömmlichen Supermärkten, er verkauft ihn an Einzelhändler, die Gastronomie oder an Catering-Unternehmen. Auch in einigen Ikea-Filialen liegt sein Lachs auf den Frühstückstellern. Probleme macht ihm im Moment allerdings die Preisentwicklung. In Chile, wo hinter Norwegen die weltweit zweitgrößte Zuchtlachs-Industrie beheimatet ist, hat in den vergangenen Jahren ein Virus große Bestände dahingerafft. Schuld daran ist auch die Massentierhaltung bei den Fischen, die oft in sehr großen Gruppen in ihren Becken gehalten werden und sich so leicht untereinander anstecken. Wie bei der massenhaften Fleischproduktion kommen Medikamente zum Einsatz – so konnte sich eine Resistenz gegen jene Wirkstoffe entwickeln, die gegen das tödliche Virus geholfen hätten.

Wie so oft in der Marktwirtschaft hat sich Knappheit auch hier auf den Preis ausgewirkt – insofern bekommt auch Abrahams die Entwicklungen in Chile zu spüren, auch wenn er seine Ware nicht von dort bezieht. „2012 haben wir um die 3,50 Euro für ein Kilo Zuchtlachs bezahlt, jetzt sind es mehr als sechs Euro“, sagt Wilfried Wehrmann, Abrahams’ kaufmännischer Leiter. „2013 mussten wir deshalb unsere Preise schon zweimal erhöhen.“ Das gilt dann aber in erster Linie für Abrahams direkte Kunden, also etwa die Supermärkte. Es obliegt wiederum ihnen, ob sie die Steigerungen auch an die Verbraucher weitergeben.

Dirk Abrahams nimmt das alles aber in Kauf. „Viele große Räuchereien sind jetzt schon nach Polen abgewandert, weil die Produktion da günstiger ist“, sagt er. „Aber ich stehe dazu, dass wir in Deutschland produzieren, und nicht zu Billigstlöhnen. Die Leute sollen doch von ihrem Gehalt leben können.“ Abrahams, das kann man sehen, ist auch ein bisschen stolz auf das, was er hier in Zetel aufgebaut hat. Mit seiner Frau wohnt er in einem Haus direkt neben seinem Unternehmen, die Arbeit ist also immer nur drei Schritte entfernt. „Abzuschalten fällt da schon schwer“, gibt er zu. Er ist ein bodenständiger Mensch, unprätentiös und uneitel – und damit trotz des gemeinsamen Garagen-Mythos ganz anders als der mittlerweile verstorbene Apple-Guru Steve Jobs, dem so manche Star-Allüren nachgesagt wurden. Nur ein kleiner Luxus ist da, den Abrahams sich erlaubt. Vor ein paar Jahren entdeckte er in Alaska einen kleinen Hubschrauber, der günstig zum Verkauf stand – und er schlug zu, erwarb in Deutschland seine Pilotenlizenz. Ab und zu fliegt Abrahams deshalb jetzt zu seiner großen Freude zu Geschäftsterminen, statt sich über die Autobahnen zu quälen. Der Helikopter steht in einer etwas größeren Garage gleich hinter den Kalträucheröfen für den Lachs.