Nirgendwo in Deutschland erstellen Agenturen so viele Geschäftsberichte wie in Hamburg. DAX-Konzerne verlassen sich auf hanseatische Kompetenz

Hamburg. Manche sind nüchterne Zahlenfriedhöfe, andere wirken zumindest auf den vorderen Seiten wie eine Reportage in einem Magazin oder wie eine grafisch ansprechend gestaltete Imagebroschüre: Geschäftsberichte sind die Visitenkarten eines Unternehmens. Sie sind aber auch Momentaufnahmen der aktuellen wirtschaftlichen Situation einer Branche. „Wer in 20 Jahren etwas über Wirtschaftsgeschichte erfahren möchte, sollte Geschäftsberichte dieser Zeit lesen“, sagt Christa Eickmeyer, Geschäftsführerin der Hamburger Agentur HGB, die solche Berichte entwickelt und produziert.

Hamburg spielt eine bundesweit führende Rolle in diesem Bereich. Sechs der 30 Geschäftsberichte von Konzernen aus dem Deutschen Aktienindex (DAX) wurden von vier Agenturen aus der Hansestadt konzipiert. Im aktuellen Ranking des Fachmagazins „CP Monitor“ für die kreativsten Dienstleister in der Disziplin Geschäftsberichte finden sich fünf Hamburger Agenturen unter den ersten 20 – Spitzenreiter ist die Firma Kirchhoff Consult, nach eigenen Angaben führender Anbieter in Deutschland. „Hamburg ist eine Hochburg der Geschäftsberichte, bundesweit haben wir hier die größte Kompetenz“, sagt Klaus Rainer Kirchhoff, Vorstandschef des Unternehmens. Er hat nach eigenen Worten bisher an mehr als 700 dieser Berichte gearbeitet.

Deren hauptsächlicher Zweck sei es, den Anlegern diese Frage zu beantworten: „Warum soll ich in dieses Unternehmen investieren“, sagt Peter Poppe, Geschäftsführer von HGB neben Christa Eickmeyer. Es seien aber in den zurückliegenden Jahren neue Zielgruppen hinzugekommen: „Die Personalabteilung sieht die Berichte zunehmend als ein Mittel zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter.“

Abgesehen von den formal festgelegten Bestandteilen der Berichte wie der Darstellung von Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung sowie deren Erläuterung im Anhang sei es die Aufgabe der beratenden Agentur, sich darüber Gedanken zu machen, „welche Geschichte zur Darstellung der aktuellen Unternehmenssituation wir erzählen wollen und wie wir sie erzählen wollen“, erklärt Poppe. Imagetexte würden häufig von Mitarbeitern der Agentur geschrieben. Die Texte zur wirtschaftlichen Lage kommen vom Unternehmen selbst, werden aber gegebenenfalls von der Agentur redigiert.

In diesem Jahr hat HGB unter anderem die Geschäftsberichte der drei DAX-Konzerne Telekom, Lufthansa und Infineon konzipiert. Ein solches Projekt dauert üblicherweise vier Monate, in manchen Fällen bis zu einem halben Jahr. Wie Poppe sagt, sind fünf bis sechs Beschäftigte der Agentur eingebunden – Projektleiter sowie ein Art Director, außerdem Grafiker, Texter und Mitarbeiter, die die Produktion bis hin zum Druck organisieren.

An gut 30 Geschäftsberichten arbeitet HGB in diesem Jahr mit. Die 18 fest angestellten Beschäftigten könnten das nicht allein bewältigen, sie werden durch ungefähr ein Dutzend freie Mitarbeiter verstärkt. Denn es handelt sich um ein Saisongeschäft: Weil die weit überwiegende Zahl der Berichte im Zeitraum von Ende Februar bis Ende Mai fertig sein muss, fällt auch der größte Teil der Arbeit in nur einem Viertel des Jahres an – mit entsprechend vielen Stunden im Büro in dieser Phase. Manche der HGB-Beschäftigten arbeiten nur in zehn Monaten des Jahres, um in der übrigen Zeit „die Batterien wieder aufzuladen“.

Kirchhoff Consult betreut jährlich sogar etwa 45 Geschäftsberichte und hat ebenso viele Mitarbeiter in diesem Tätigkeitsbereich, der 60 Prozent des Umsatzes der Kommunikationsagentur beisteuert. Ihr Gründer Klaus Rainer Kirchhoff hat mehr als 20 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet. Er sammelte sie zunächst als geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Agentur CAT Consultants, die heute noch aktiv ist und aus der auch HGB einst hervorgegangen ist. 1994 machte sich Kirchhoff selbstständig. Einer seiner früheren Mitarbeiter gründete die Volksdorfer Firma Schoeller Corporate Communications. Daneben sind auf diesem Feld unter anderem die Hamburger Agenturen IR-One und Berichtsmanufaktur tätig und auch die stark designorientierte Peter Schmidt Group gestaltet Geschäftsberichte, zuletzt etwa für den DAX-Konzern Henkel. Wenn es um die Frage nach aktuellen Tendenzen in der Szene geht, sind sich der Kirchhoff-Chef und seine Wettbewerber bei HGB einig. „Das glitzernde, künstliche Erscheinungsbild kommt aus der Mode“, beobachtet Christa Eickmeyer. „Die Öffentlichkeit schaut heute genauer auf Unternehmen“, fügt Poppe an. „Sie werden – selbst von Anlegern – nicht mehr nur an ihren Zahlen gemessen, sondern auch daran, wie sie ihrer unternehmerischen Verantwortung gerecht werden.“

Kirchhoff sieht das ähnlich und weist auf die Gestaltung hin: „Aufwendige Designspielereien gehen an den Forderungen des Kapitalmarkts vorbei, verantwortungsvoll mit dem Geld umzugehen.“ Daher werde der Inhalt größeres Gewicht bekommen. Kirchhoff fühlt sich darauf gut vorbereitet: „Wir haben Mitarbeiter, die könnten auch in einer Investmentbank sitzen. Das hebt uns von anderen ab.“

Geschäftsberichte als App für Tablet-Computer liegen im Trend

Zudem wird vom Publikum verstärkt die Nutzung elektronischer Medien erwartet; eine herunterladbare PDF-Datei allein reicht dabei häufig nicht mehr. „Geschäftsberichte als ,App‘ für Tablet-Computer sind ein Trend“, sagt Poppe. Dafür haben sich die Druckauflagen zuletzt deutlich verringert. Bei HGB liegen sie heute im Bereich zwischen 250 und 10.000 Exemplaren.

Und noch etwas hat sich verändert: Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 sind die Agenturhonorare, die je nach Unternehmen von niedrigen fünfstelligen Beträgen bis zu mehreren Hunderttausend Euro reichen können, drastisch geschrumpft. „Wir müssen das durch mehr Leistung wettmachen“, sagt Poppe. „Wir produzieren heute 50 Prozent mehr Seiten als vor fünf Jahren – bei ungefähr gleichem Umsatz.“ Hinzu kommt, dass sich immer mehr Unternehmen alle paar Jahre mittels Ausschreibungen einen neuen Dienstleister suchen und die Agenturen dabei ihre Kompetenzen in vielen Fällen auf eigene Kosten präsentieren müssen.

Während es bei großen Firmen noch üblich ist, neben dem Geschäftsbericht einen separaten Nachhaltigkeitsbericht zu Themen der sozialen und ökologischen Verantwortung vorzulegen, zeichnet sich derzeit die Tendenz ab, derartige Informationen in den Geschäftsbericht zu integrieren. Vordergründig gehen den Agenturen dadurch zwar abermals Einnahmen verloren, wenn sie bis jetzt zwei Berichte betreuten und künftig nur noch einen.

Doch Poppe sieht in dem Trend auch eine Chance: „Bei der Konzeption dieser neuen Berichtsform ist unsere Beratungsleistung gefragt.“ Denn es reiche nicht aus, die Inhalte einfach zusammenzupacken. Ein integrierter Bericht müsse die ökonomischen, ökologischen und sozialen Leistungen im Zusammenhang darstellen. Kirchhoff geht noch etwas weiter: Ein solcher Bericht mache wenig Sinn, solange eine Firma nicht tatsächlich eine integrierte Strategie verfolge, die alle Aspekte unternehmerischer Verantwortung berücksichtigt.