Abendblatt-Serie: Woher unser Essen kommt. Die 26. Reise führt ins 2627 Kilometer entfernte Lora del Rio in Spanien

Lora del Rio. Orangen? Kenn ich bisher nur aus dem Laden oder vom Wochenmarkt. Doch irgendwo hier, auf dem Feld in Südspanien, sollen sie zu finden sein, die prächtig aussehenden Exemplare, die Cándido Lahoz Garcia mir eben noch in seinem klimatisierten Büro im Werbeprospekt gezeigt hat. Es ist brütend heiß, fast 40 Grad Celsius, als wir übers Feld stapfen. Der Saft der Orangen ist der Deutschen zweitliebstes Getränk, nach Apfelsaft, glaubt man den Statistiken. Demnach trinkt jeder Deutsche pro Jahr im Schnitt 10,4 Liter Orangensaft. Ein Grund mehr zu sehen, woher die Orangen kommen, die wir im Supermarkt gekauft haben.

Um uns herum im Feld: Tausende von sattgrünen Obstbäumen, akkurat angeordnet in mehreren Reihen. „Da sind welche“, sagt Lahoz Garcia und zeigt nach vorne, als ob wir auf Großwildjagd wären und er irgendeine seltene Tiergattung erspäht hätte. Tatsächlich, ein paar fette Orangen mit bestem orangefarbenen Teint. Lahoz Garcia pflückt eine Frucht, schält sie und reicht sie mir. Ein süßer Duft dringt in meine Nase. Vor tiefblauem Himmel und strahlendem Sonnenschein, passender könnte die Kulisse nicht sein, um eine Orange zu verspeisen. Genau dort, wo sie herangereift ist.

Sie schmeckt so süß, wie sie riecht. Süß und saftig! Lahoz Garcia lächelt. Reife Früchte in den Orangenbäumen um diese Zeit, das sei selten, sagt er. Er mustert die Schale. „Die da hat ein paar Flecken, deswegen ist die Orange nicht in den Export gegangen“, analysiert er. Ähnlich verhält es sich bei den anderen Orangen, die wir sehen. Die jüngste Ernte ist gerade beendet – und unser Fund sind die Reste.

Cándido Lahoz Garcia, 28 Jahre alt, Qualitätsmanager und Juniorchef bei Espalmex S.L., zeigt mir die Orangenplantagen des Unternehmens. Es ist eines von rund einem Dutzend Orangen-, Produktions- und Handelsfirmen in der Region, gut 60 Kilometer östlich von Sevilla. Wir sind im Tal von Guadalquivir, zwischen Sevilla und Córdoba – im Orangenland. Es ist eine der Hauptregionen in Spanien für diese Frucht und eine der heißesten Regionen Europas.

„Lassen Sie uns frühmorgens auf die Felder gehen“, hatte Lahoz Garcia empfohlen, denn nachmittags steigen die Temperaturen schon mal weit über 40 Grad Celsius. Von dem Feld mit den wenigen orangefarbenen Orangen sind wir weiter gezogen, ein paar Kilometer mit dem Auto zu einer anderen Finca mit Namen La Rica. Sie umfasst 31 Hektar, aber das sei hier nicht besonders viel, meint Lahoz Garcia. Wie groß ist das Orangen-Areal von Espalmex? Um das herauszufinden, muss der Juniorchef später erst mal einen Taschenrechner zu Hilfe nehmen. „Gut 800 Hektar“, rechnet er dann aus.

Orangenkunde im Eiltempo, während wir zwischen den Obstbäumen stehen. Groß wie Tischtennis-, teils wie Tennisbälle baumeln sie an den Zweigen. Die Früchte sind noch grün. Sechs Sorten hat die Firma im Angebot. Orangentypen, die etwa Navelina, Valencia oder Barberina heißen. Geerntet wird je nach Sorte zwischen Oktober und Juli. Anderthalb Jahre nach Aussaat trägt ein Orangenbaum, der bis zwei Meter und größer werden kann, seine ersten Früchte.

Bis eine Orange die wirtschaftliche Exportgröße erreicht, dauert es vier Jahre. Ein Baum kann pro Jahr bis zu 70 bis 80 Kilogramm Orangen hervorbringen. Parasiten und Dauerregen können ihnen schaden, „aber die größte Gefahr ist die Kälte“, sagt Lahoz Garcia. Wenn es im Winter nachts mal kälter als minus vier Grad würde, und das über Stunden, „dann gehen Orangenbäume ein“, sagt der Experte.

Diese Sorge droht derzeit nicht. Und bei Knochenhitze, wie steht es mit dem Begießen der Orangenbäume? Der Spanier zeigt auf ein paar Schläuche, die sich am Boden durch die Reihen der Bäume schlängeln. „Wir haben ein ausgeklügeltes automatisches Wassersystem. Die Bäume bekommen über Schläuche und eine Sprinkleranlage ihr Wasser, verteilt über den Tag und natürlich dosiert je nach Wetterlage.“ Das Wasser wiederum kommt aus einem Sammelbecken, das Millionen von Litern birgt. Es ist teils Regenwasser, teils kommt es von Brunnen der Gemeinde.

Espalmex, 1992 gegründet, ist ein Familienbetrieb, nunmehr in der vierten Generation. Drei Familien gehört das Unternehmen, das auch noch Kartoffeln und Wassermelonen vertreibt. Fünf Mitarbeiter gehören zum ständigen Stab. Zu Erntezeiten sind zudem 200 Arbeiter auf den Feldern und noch mal 120 in der 7200 Quadratmeter großen Lager- und Produktionsstätte tätig. Bei einer Arbeitslosenquote in der Region von rund 20 Prozent und mehr sei das auch ein Wirtschaftsfaktor. „In den Sommermonaten arbeiten viele Menschen hier im Tourismus, sonst auch auf den Feldern als Erntepflücker.“

Vor sechs Jahren wurde die Produktionsstätte bei Lora del Rio für drei Millionen Euro renoviert. Frisch vom Feld nach der Ernte kommen die Orangen zunächst in eine Kühlhalle. Auf Fließbändern werden sie auf Qualität überprüft, gereinigt, in Kisten und Säcke verpackt, gelagert und schließlich per Lkw auf den Weg geschickt, unter anderem nach Deutschland. Mehr als 90 Prozent der Ware geht in den Export, nur ein Bruchteil bleibt auf dem nationalen Markt. „Deutschland ist einer unser größten Abnehmer“, sagt Lahoz Garcia, neben Ländern wie Großbritannien, Italien oder Belgien.

Zuckergehalt, Größe, Reife, keine äußerlichen Defekte, das sind die Hauptqualitätskriterien bei einer Orange. „Kunden kaufen vor allem nach Aussehen, das Auge entscheidet eben mit“, sagt Lahoz Garcia. Daher darf die Orangenschale keine Flecken haben. Und was ist mit der Behandlung durch Schädlingsbekämpfungsmittel, durch Pestizide? Das sei bei einigen Sorten notwendig, damit das Produkt und auch die Bäume geschützt würden. Aber wichtig sei: Je nach Sorte muss vom Zeitpunkt der Behandlung bis zur Ernte der Frucht 15 bis 20 Tage gewartet werden. So schreiben es die strengen spanischen Lebensmittelgesetze vor. Es gebe zudem Zertifizierungen und strenge Kontrolleure, sagt Lahoz Garcia. Somit bestehe keine Gefahren für Konsumenten, versichert er.

Espalmex erzielt einen Jahresumsatz von rund zwölf Millionen Euro

30 Millionen Kilogramm Orangen werden pro Jahr bei Espalmex produziert, der Jahresumsatz des Unternehmens beträgt rund zwölf Millionen Euro, der Gewinn liegt jährlich bei 200.000 Euro, mal auch weniger, es variiere je nach Ernte. Cándido Lahoz Garcia ist zugleich der Juniorchef. Er hat gerade an der Universität in Sevilla einen Master in Wirtschaft absolviert, hat Auslandserfahrung, spricht auch Englisch und ist mit Orangen groß geworden – natürlich.

Seine Urgroßmutter hatte einst noch mit Eseln Orangen und andere Waren zu den ersten Kunden transportiert und verkauft. Und Lahoz Garcia? Er hat auch schon eigene Orangen-Erfahrungen. Unlängst hat er von einer Verwandten ein kleines Feld geerbt. Gut drei Hektar, dort hat er 1500 kleine Orangenbäume gepflanzt. „Irgendwie sind sie wie Babys“, sagt er stolz.

Orangenaufzucht, kann das jeder? Es sei gar nicht so schwer, wenn man nur ein wenig wisse, etwa über Dünger, Unkraut, Bewässerung, Warenkunde eben. 6000 Euro hat er allein für die Bäumchen bezahlt, für die Wasseranlage und andere notwendige Dinge gingen allgemein, je nach Umfang des Anbaus, schon mal insgesamt 50.000 Euro weg, erzählt er. Überhaupt sei typisch für die Orangenproduktion: „Man muss erst mal viel Geld investieren, hat jahrelang Kosten, bis man erste Erträge sieht.“

Ob er bei einer Probe den Geschmack der spanischen Orange aus anderen Orangen herausschmecken würde? Lahoz Garcia weiß es nicht, aber, was die spanische Orange auszeichne, sagt er: Das wechselnde, unterschiedliche Wetter über das Jahr, die besondere Hitze, das mache das spezifische Aroma aus, beschwört er, als wir später uns den Betrieb anschauen. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, denn in wenigen Monaten beginnt die nächste Orangenernte.

„Zeit für Siesta“, sagt Lahoz Garcia und lächelt entspannt, als er uns durch die riesigen Hallen führt, entlang an den verlassenen Fließbändern, Pack- und Kontrollgeräten. Die Anlagen werden gerade gesäubert, die Kühlhalle ist leer. Der Juniorchef ist für die Qualität verantwortlich, beobachtet und kontrolliert einzelne Veränderungen. Vom Feld ins Café: Kaffee? Nein, am nächsten Tag probiere ich in Sevilla zum Frühstück ein Glas Orangensaft, natürlich. Inhaber Martin, 62, greift sich ein paar Orangen, presst sie aus, und fertig ist der Orangensaft, für 1,40 Euro.