Abendblatt-Serie: Wo kommt unser Essen her? Die 21. Reise führt nach Valluhn in das Fleischwerk von Edeka Nord. 61 Kilometer von Hamburg entfernt

Valluhn. Ein klein wenig ist es eine Reise in die Vergangenheit. Das Fleischwerk Edeka Nord in Valluhn, aus dem die Leberwurst stammt, die wir gekauft hatten, liegt unweit des Ortes, wo zu Zeiten der deutschen Teilung der große Grenzkontrollpunkt war. Von Hamburg aus geht es in Richtung Osten, etwas mehr als 60 Kilometer. Gleich hinter der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern liegt das Werk in einem Gewerbegebiet.

Ich hatte eigentlich mit einigen Schwierigkeiten gerechnet, als ich das erste Mal bei Edeka anrief und fragte, ob ich mir die Produktion der Leberwurst anschauen kann. Was hatte ich nicht alles an Vorurteilen im Kollegengespräch gehört: In der Leberwurst sei keine Leber drin oder in die Leberwurst komme das, was am Ende der Wurstproduktion übrig bleibe.

Doch die Verantwortlichen im Fleischwerk Valluhn zierten sich nicht und luden ohne Umschweife ein, die Produktion zu besuchen. Die Hygienemaßnahmen gleich am Anfang toppen alle meine bisherigen Unternehmensbesuche. Schutzkittel anziehen, Haarnetz aufsetzen, Bartschutz umbinden, dazu Hände waschen und desinfizieren. Über meine Straßenschuhe ziehe ich blaue Überzüge, die von Rollbürsten noch einmal geschrubbt werden.

„Da wir hier offen mit Fleisch arbeiten, muss die gesamte Produktion sauber sein“, begründet Betriebsleiter Georg Stülb das umständliche Prozedere. Wir treten in den Produktionsbereich ein. Kälte schlägt uns entgegen. Um die zwei Grad ist es kalt, sodass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wärmende blaue Pullover tragen. An einem Laufband aufgehängt „fahren“ Schweinehälften gemächlich an uns vorüber. Der Kopf fehlt, ebenso das Blut. „Wir zerlegen rund 4500 Schweine in der Woche“, sagt Stülb. Auf das Jahr hochgerechnet werden im Werk in Valluhn mehr als 230.000 Schweine verarbeitet.

Wir stehen ganz am Anfang der „Produktionskette“. Ein Lastkraftwagen ist an die Rampe gefahren. Die 300 Schweinehälften – geschlachtet und ausgeblutet werden die Tiere im Schlachthof – hängen fein aufgereiht auf der Verladefläche. Ein Mitarbeiter der Fleischfabrik schiebt die Haken nach vorn, sodass sie an dem an der Decke entlang laufenden Laufband einhaken. Im Durchschnitt wiegt so eine Schweinehälfte 40 Kilogramm.

„Wir arbeiten mit etwa 130 Landwirten aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und dem nördlichen Niedersachsen zusammen“, berichtet Stülb. Die Tierschutzbeauftragte des Unternehmens, Sandra Hacke, ergänzt: „Für unser Gutfleisch-Programm sind bestimmte Kriterien vorgeschrieben - unter anderem, dass Tiere nicht länger als sechs Stunden transportiert werden dürfen. Das begrenzt die Entfernung der Bauernhöfe, die für uns das Fleisch liefern, und sorgt dafür, dass die Regionalität gestärkt wird.“

Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung schreibt auch vor, dass ein Mastschwein im Stall mindestens 0,75 Quadratmeter Platz haben muss. „Edeka legt in diesem Punkt strengere Kriterien an“, sagt Hacke. „Bei uns liegt dieser Wert im Durchschnitte der Betriebe deutlich über diesem Wert.“ Außerdem arbeitet Edeka mit Landwirten zusammen, die eine spezielle Schweinerasse halten. „Sie müssen besonders stressresistent sein.“

Ich frage nach der Größe der Bauernhöfe und bekomme zur Antwort, dass man mit kleinen bis mittelständischen Bauerhöfen zusammenarbeite. „Im Durchschnitt halten unsere Vertragsbauern nicht mehr als 1500 Schweine“, sagt die Tierschutzbeauftragte. Um bei Edeka als „Gutfleisch“-Marke verkauft werden zu können, muss das Fleisch eine besonders hohe Qualität aufweisen. „Wir fordern von den Vertragslandwirten zwar mehr, aber wir zahlen für das Fleisch auch mehr“, sagt der Betriebsleiter.

Das Problem vieler deutscher Landwirte trifft auch die Schweinezüchter: Der Markt ist massiv unter Druck geraten. „Die Eigenversorgung mit Schweinefleisch liegt in Deutschland bei mehr als 100 Prozent und die Nachfrage aus dem Ausland ist zurückgegangen“, so Stülb. Die Folge: Gegenwärtig erhält ein Schweinezüchter nur noch rund 1,60 Euro für ein Kilogramm Schweinefleisch. Anfang dieses Jahres lag der Preis noch bei rund zwei Euro.

Die Schweinehälften haben inzwischen ihren Weg zur sogenannten Zerlegeabteilung zurückgelegt. An einem metallenen Tisch löst ein Mitarbeiter sie aus dem Haken und rückt sie zurecht. Ein Laserstrahl prüft kurz, und in Windeseile verschieben sich zwei Sägeblätter. Dann wird die Schweinehälfte exakt in drei Teile zersägt: Schinken, Mittelstück und Schulter.

Die einzelnen Teile werden anschließend über ein Laufband auf einen der drei Zerlegetische transportiert. 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen hier und zerlegen die einzelnen Bestandteile des Schweines. Zuerst werden die Knochen entfernt. Zwei, drei Schnitte braucht der junge Mann, um die Knochen herauszulösen. In der rechten Hand hält er ein großes Messer. Die linke Hand steckt in einem beweglichen Metallhandschuh.

Ist der Knochen entfernt, wird das jeweilige Fleisch herausgeschnitten: Filetstücke, Schwarten, Eisbein, Haxen oder Rippen. „Zerlegung ist in großen Teilen Handarbeit“, sagt Betriebsleiter Stülb. Bis zu 200 halbe Schweine werden an drei Tischen in der Stunde verarbeitet. Im Akkord. Unaufhörlich rollt der Nachschub über das Hakenband heran. Eintönig und anstrengend.

Gunnar Rohwedder ist Produktionsleiter und weiß um die körperlichen Belastungen. „Jeder Schnitt muss sitzen“, sagt er. Um eine Überlastung der Angestellten zu vermeiden, wechseln sie in regelmäßigen Abständen den Arbeitsplatz. „So erreichen wir, dass ein Mitarbeiter nicht immer das Gleiche machen muss.“ Außerdem können Kollegen in der Urlaubszeit einspringen.

600 Edeka-Märkte werden von Valluhn aus mit Schweinefleisch und verschiedenen Wurstsorten beliefert. Das Kontrollnetz ist eng geknüpft. „Jedes Schwein wird beispielsweise vor und während seiner Schlachtung von einem Veterinär überprüft“, sagt Tierschutzbeauftragte Sandra Hacke. Innerhalb von 24 Stunden nach der Schlachtung muss das Fleisch verarbeitet sein. Während des gesamten Prozesses –inklusive Transport im Lastwagen – muss die Temperatur unter sieben Grad Celsius liegen.

Nach dem Zerlegen zeigt Betriebsleiter Stülb die Produktion der Leberwurst. In einer benachbarten Fabrikhalle steht der sogenannte Kochkutter. „Das ist ein Kochtopf mit Küchenmaschine“, erklärt Stülb. Während Maschinenführer Andreas Wette Schweinefleisch und Speck in den Kochkutter kippt, zeigt der Betriebsleiter auf vier überdimensionale Messer. Dann drückt der Maschinenführer auf einen Knopf und der große Deckel schließt sich langsam. „Jetzt wird das Fleisch bei 3000 Umdrehungen pro Minute durch die Messer zerkleinert und zugleich bei 60 Grad Celsius gegart“, erklärt Wette. Das Ganze dauert 15 Minuten. Anschließend wird das zerkleinerte Fleisch - bis zu 500 Kilogramm kann der Kutter aufnehmen - in überdimensionalen Schüsseln zwischengelagert.

Denn jetzt muss die Leber - bei unserer Leberwurst liegt ihr Anteil bei etwa 30 Prozent - zerkleinert, gesalzen und temperiert werden. Das dauert allerdings nur fünf Minuten, weil die Leber sonst nicht mehr genießbar wäre. Anschließend wird das Schweinefleisch wieder hinzugefügt. Außerdem kippt Wette jetzt Salz, Gewürze, Fettsäure als Emulgator und etwa vier bis fünf Kilogramm Honig hinzu. Das Ganze wird nun bei 45 Grad miteinander vermischt. „Das war’s?“, frage ich. Stülb lächelt. „Konservierungsstoffe oder chemische Zusätze verwenden wir nicht.“

Doch fertig ist unsere Leberwurst nicht. Trotz des kurzen Garens ist die Leber noch roh und könnte nicht gegessen werden. In einer Füllmaschine werden jetzt jeweils 900 Gramm Wurstmasse in einen Darm gefüllt. Dann geht es zu Kochkammer. Diese sieht ein wenig wie ein Fahrstuhl aus, in der rund 600 Würste über mehrere Etagen hängen. Bei 72 Grad Celsius wird die Fleischmasse etwa eineinhalb Stunden gegart. „Dabei sterben alle Keime ab und die Wurst wird auf natürliche Weise konserviert“, sagt der Betriebsleiter.

Bis zu zweieinhalb Tonnen feiner Leberwurst werden in der Woche in Valluhn produziert. Zwar ist die Nachfrage nach Leberwurst stabil. „Aber die verlangten Größen haben sich in den vergangenen Jahren verändert“, erzählt Stülb. Früher kauften die Kunden an der Selbstbedienungstheke 150 Gramm im Stück. „Heute werden vornehmlich 80 Gramm in wieder verschließbaren Packungen nachgefragt.“

Auch was die Inhaltsstoffe angeht, hat das Verbraucherverhalten sich verändert. Vor allem in den Supermärkten achten die Kunden vermehrt darauf, dass die Tiere artgerecht gehalten werden. Dazu gehört, dass bei der Fütterung der Schweine, die hier in Valluhn verarbeitet werden, keine Antibiotika zugemischt werden. Zwar gibt es in der Europäischen Union ein solches Verbot seit dem Jahr 2006. Die Qualitätssicherungs-Organisation QS hat jedoch unlängst festgestellt, dass in Deutschland lediglich etwa 25 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe bei der Masthaltung ohne Antibiotika auskommen.

Im vergangenen Jahr seien in der deutschen Tiermast 1750 Tonnen Antibiotika eingesetzt worden, berichtete der Hessische Rundfunks vor einigen Wochen. Und im Januar wurden die Ergebnisse einer Untersuchung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bekannt, derzufolge Deutschland beim Einsatz von Antibiotika pro Kilo erzeugtem Fleisch weltweit auf einem der vorderen Plätze liegen soll. Durch Antibiotika wachsen Schweine schneller und werde rascher schlachtreif, was die Kosten senkt und den Gewinn erhöht. Die Tiere, die hier in Valluhn verarbeitet werden, sind im Durchschnitt vier Monate alt.

Allerdings kann der Einsatz von Antibiotika bei der Masthaltung für Menschen problematisch werden. US-amerikanische Forscher haben im vergangenen Jahr festgestellt, dass an Tiere verfütterte Antibiotika spezielle Viren im Organismus der Tiere aktivieren. Dadurch können im Darm der Tiere Mikroben entstehen, die gegen Antibiotika resistent sind. Damit aber werden diese Mikroben zu einer direkten Gefahr für uns Menschen, da sie im Krankheitsfall nicht mit herkömmlichen Medikamenten bekämpft werden können.

So schätzt beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, dass hierzulande Jahr für Jahr bis zu 20.000 Menschen an Infektionen sterben, die sie sich in einer Klinik zugezogen haben. Besonders problematisch sind dabei Keime, die resistent gegen Antibiotika sind. Die Böll-Stiftung und der BUND kommen in ihrer Studie zu der Einschätzung, dass europaweit etwa eine viertel Million Menschen jährlich an Infektionen sterben, die sich wegen widerstandsfähiger Viren nicht mehr richtig behandeln lassen.

Im Fleischwerk Valluhn, so sagt es die Tierschutzbeauftragte, wird nur Fleisch von Tieren verarbeitet, die während der Mastzeit keine Antibiotika erhalten haben. „Stellen wir Spuren von Antibiotika fest, verarbeiten wir das Fleisch nicht. Wenn ein Tier mehr als 30 Kilogramm wiegt, und aufgrund einer Erkrankung mit Antibiotika behandelt werden muss, dann darf es nicht mehr für unser Gutfleischprogramm verwendet werden und kommt auch nicht in die Leberwurst.“