Wo kommen unser Lebensmittel her? Die 17. Reise führt nach Naaldwijk in den Niederlanden, wo Tomaten angebaut werden. Region gilt als größtes Gewächshauskulturgebiet unseres Nachbarn.

Naaldwijk. Wer durch das niederländische Westland fährt, fühlt sich ein wenig an das Alte Land vor den Toren Hamburgs erinnert. Eine Vielzahl von Kanälen und aufwendig sanierte Backsteinhäuser stehen für frühere, langsamere Zeiten. Zeiten, in denen die Landwirte ihr Obst und Gemüse oder ihre Blumen noch mit dem Kahn zu den Auktionen transportierten.

Es gibt aber einen gravierenden Unterschied: Während in der Region um Jork die Apfel- und Kirschbäume in endlos langen Reihen wachsen, stehen in dem Gebiet zwischen Den Haag und Rotterdam zwei bis drei Stockwerke hohe Gewächshäuser - so weit das Auge reicht. Nicht umsonst wird das Westland als "De glazen Stad" ("die gläserne Stadt") bezeichnet. Die Region gilt als größtes Gewächshauskulturgebiet unseres Nachbarn.

Etwas mehr als 500 Kilometer auf der Autobahn liegen also hinter mir. In De Lier bin ich mit Andy van Daalen verabredet. Der 50-Jährige ist ein Zwischenhändler, der die Tomaten "Red Pearl", die wir eingekauft hatten, nach Hamburg liefert. Van Daalen begrüßt mich in einem nüchtern eingerichteten Büro. Zuvor hatte ich eine steile Metallstiege hinaufsteigen müssen.

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Zu unseren Füßen sortieren van Daalens Mitarbeiter in einer großen Lagerhalle gerade kistenweise Tomaten, Gurken und Paprika. Mit dem Hubwagen geht es anschließend an die Rampe. Dort warten schon die Lastkraftwagen, die Paletten nach Hamburg, Lübeck, ins Ruhrgebiet oder nach Mannheim bringen. Rund 700 Tonnen Tomaten - 80 Tonnen davon sind Red-Pearl-Tomaten - liefert Andy van Daalen übers Jahr nach Hamburg. "Das ist nicht viel", sagt er bescheiden. Schließlich setzen holländische Landwirte im Tomatenhandel mit Deutschland jährlich rund 500 Millionen Euro um. Das überrascht kaum: Tomaten sind das Lieblingsgemüse der Deutschen. Etwa 20 Kilogramm isst jeder Bundesbürger im Jahr - gut die Hälfte als Frischware. Bei Tomaten ist Deutschland ein Importland. Lediglich zehn Prozent stammen von hiesigen Höfen.

Betrachtet man die Zahl ihrer Kalorien, sind Tomaten ein "Leichtgewicht". Gerade einmal 17 Kalorien kommen auf 100 Gramm der roten Frucht. Und zu 90 Prozent besteht eine Tomate aus Wasser. Die übrigen zehn Prozent enthalten reichlich Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Vor allem der Inhaltsstoff Lycopin hat es in sich. Es ist verantwortlich für die Farbe der Tomate und soll freie Radikale - das sind Abfallstoffe des Körpers, die auch Krebs verursachen können - unschädlich machen.

Wir machen uns auf den Weg zu der etwa sechs Kilometer entfernten Farm, wo unsere Tomaten wachsen. Im Auto erzählt van Daalen, dass es nach dem Pflücken maximal zwei Tage dauere, bis die Tomate in Hamburgs Supermarktregalen liege. "Üblicherweise bekommen wir bis Mittag aus Deutschland die Order." Die entsprechende Menge wird gepflückt. Am nächsten Morgen werden die Tomaten von der Farm abgeholt und im Lager verpackt. Ein Laster bringt die Früchte bis 23 Uhr nach Hamburg. So bleibt genügend Zeit für die Verteilung auf die einzelnen Märkte.

Wir haben die Tomatenfarm, die zu dem Erzeugerverband Fresteem gehört, erreicht. Ich trete in das Gewächshaus ein und bin überrascht. Im Wagen hatte Andy van Daalen mich zwar vorgewarnt, es sähe ein wenig wie in einem Labor aus. Genutzt hat diese Vorwarnung wenig. Alle meine Vorstellungen von einem Gewächshaus gehören von diesem Moment an der Vergangenheit an. Das Gewächshaus gleicht einer riesigen gläsernen Fabrikhalle, in der man, so scheint es mir, auch Flugzeuge montieren könnte. "9,5 Hektar ist das Gewächshaus groß", sagt Manager Wilko Wisse. Das bedeutet, die Hallenfläche umfasst fast 13 Fußballfelder. Fünf Meter ragen die Stahlträger in die Höhe. Durch das Glasdach scheint die Sonne. Es ist sommerlich warm hier unten, obwohl einige der Dachfenster geöffnet sind. Vor mir laufen zwei Schienen, wie man sie von Loren kennt, in die Tiefe der Halle. Immer entlang an vier Meter hohen Tomatenpflanzen.

Mitarbeiter des Unternehmens schieben auf den Schienen kleine Wagen mit Tomatenkartons vor sich her. Sie schneiden Rispen mit dunkelrot-reifen Früchten ab - immer acht Stück - und legen sie vorsichtig in den Karton. "Nur nicht die Haut der Tomate beschädigen!", sagt Wisse. "Das äußere Antlitz einer Tomate ist ein nicht zu unterschätzendes Verkaufsargument."

Ein Mitarbeiter steht in luftiger Höhe auf einem Hubwagen, um reife Früchte zu ernten. Sechs bis sieben Wochen dauert es, bis eine junge Tomatenpflanze die ersten Früchte trägt. Dann kann man 50 Wochen lang ernten, sagt Wisse und verscheucht eine der umherfliegenden Hummeln. "Wir nutzen Hummeln, um Blüten zu befruchten", sagt der Manager. Ich bin etwas argwöhnisch und frage, ob die Tiere nicht gefährlich seien. "Nein, das ist wie in der freien Wildbahn. Begegnet man den Tieren mit Respekt, tun sie einem auch nichts."

Meine Begleiter bemerken meine Skepsis. Die Vorbehalte vieler deutscher Konsumenten gegenüber niederländischen Tomaten sehe ich bestätigt. Die Früchte gedeihen nicht in der freien Natur, sondern in riesigen Gewächshäusern. Wie in einer Fabrik stehen die Pflanzen in Reih und Glied. Statt im Erdboden wurzeln immer vier Pflanzen in einem Steinwolleziegelstein. Über kleine Röhrchen bekommt jede Pflanze Wasser oder Nährstoffe entsprechend ihrem eigenen Bedarf.

"Einmal in der Woche überprüfen wir jede Pflanze und entscheiden, was an Nährstoffen zugefügt werden muss", sagt Manager Wisse. Ihm ist der Hinweis wichtig, dass auch in freier Natur "industriell" produzierte Tomaten nicht ohne zusätzliche Nährstoffzufuhr auskommen. Als ich ihn auf Tomaten aus Spanien oder Italien hinweise, meint er: "Dort wachsen die Tomaten zwar nicht in gläsernen Gewächshäusern, aber unter Plastikfolien. Am Ende ist es das Gleiche."

Das "abgeschlossene" System der Gewächshäuser hat aus Sicht von Wisse einen weiteren Vorteil. "Schädlinge, die einer Tomatenpflanze gefährlich werden können, haben in der Tierwelt natürliche Feinde." Auf der Tomatenfarm wird die Schlupfwespe eingesetzt, die Schädlinge frisst. "Man denkt sehr grün", ergänzt Andy van Daalen. Ich zweifele immer noch und frage nach dem Einsatz von Gentechnik. Meine Gesprächspartner schütteln nachdrücklich mit dem Kopf. "Der Einsatz von Gentechnik ist in der Europäischen Union verboten", sagt Wisse. "Hier in Holland gibt es keine genmanipulierten Tomaten."

Auch Gert-Jan Tamerus, er verantwortet das Marketing, ist sichtlich bemüht, meine Zweifel an der industriellen Produktionsweise holländischer Tomaten auszuräumen. Die Kunden wünschten Tomaten, die stets gleich aussähen und gleich schmeckten. "Eine gleichbleibende Qualität lässt sich aber nur erreichen, wenn Sie optimale Wachstumsbedingungen, also viel Licht und Temperaturen um die 20 Grad Celsius, schaffen - und zwar an jedem Tag."

Der Hinweis "an jedem Tag" ist dabei ernst gemeint. "Die großen Handelsketten haben eines von Anfang an klargemacht: Tomaten wie die ,Red Pearl' werden nur ins Sortiment aufgenommen, wenn sie das ganze Jahr über geliefert werden können", sagt Andy van Daalen. Das Problem: In europäischen Gefilden wachsen Tomaten eigentlich nur von April bis November. Von Dezember bis März ist es zu kalt. Vor allem aber gibt es zu wenig Licht. Und Tomaten brauchen eine Menge davon. "Durch den Anbau in Gewächshäusern können wir das ganze Jahr über Tomaten ernten", sagt Wilko Wisse.

Ich frage nach dem Aufwand für Energie und Wasser, der für so ein jahreszeitunabhängiges Produkt nötig ist. Fresteem lässt mir später zwei Videoclips zukommen, in denen von regenerativer Energieproduktion mithilfe von Windrädern und großen Rückhaltebecken, in denen Regenwasser aufgefangen wird, die Rede ist. "Wir arbeiten im Einklang mit der Natur", heißt es da.

Wir sitzen wieder im Büro von Andy van Daalen. Man wisse sehr wohl um den angeschlagenen Ruf holländischer Tomaten, sagt der 50-Jährige. In den 90er-Jahren sei es vielen Produzenten ausschließlich um die Größe gegangen. Am Ende waren die Tomaten aus unserem Nachbarland als "Wasserbombe" verschrien und fanden - vor allem als die südeuropäische Konkurrenz geschmackvolle Früchte anbot - immer weniger Absatz. "Die Landwirte haben auf diese Veränderungen reagiert", sagt Andy van Daalen. "Es geht längst nicht mehr um Größe." Und ja: Die Red-Pearl-Tomate schmeckt.

Auch wenn in den Niederlanden die Öko-Landwirtschaft nur eine untergeordnete Rolle spielt, bedeutet das nicht, dass den Landwirten die Naturverträglichkeit ihrer Arbeit egal ist. Caring-Dairy bei der Milchproduktion soll - wie ich bei meinem Besuch der Eisfabrik von Ben & Jerry's erfahren habe - artgerechte Haltung der Milchkühe und nachhaltige Produktionsweise mit der Konkurrenzfähigkeit auf internationalen Milchmärkten versöhnen.

"Bei der Produktion der Tomaten versuchen wir etwas Ähnliches", sagt van Daalen. Es gehe darum, nachhaltig und so umweltverträglich wie möglich Tomaten anzubauen, ohne dabei die Märkte aus den Augen zu verlieren. Zwischen 80 und 85 Cent bekommt ein Landwirt derzeit für ein Kilo Tomaten. Und am Ende können auch holländische Tomatenproduzenten eines nicht ändern: Bei vergleichbarer Qualität werden Kunden sich in der Regel für das preiswertere Angebot entscheiden.

Was unsere Red-Pearl-Tomaten angeht, so verweist Andy van Daalen am Ende unseres Gesprächs auf den Aspekt des Transportweges. Gut 500 Kilometer sind es von dem "Tomatenfeld" in Westland bis nach Hamburg. "Rechnen Sie mal nach, wie viele Kilometer eine Tomate unterwegs ist, die aus Spanien geliefert wird."