U-Boote als Wirtschaftsfaktor: Marineschiffbau sichert Tausende Jobs. ThyssenKrupp hält Aufträge über fast acht Milliarden Euro. HDW baut die weltweit modernsten U-Boote des Typs 212A mit nicht nuklearem Antrieb für die Deutsche Marine.

Kiel. Die Stimmung wirkt gelöst auf der Werft HDW an diesem Vormittag, obwohl dunkle Wolken am Himmel über der Kieler Förde hängen. Aber dafür wurde eigens die überdachte Tribüne errichtet, auf der die rund 300 geladenen Gäste nun Platz nehmen, vis à vis des nagelneuen U-Bootes, das auf Pallen an Land steht und von der Taufpatin Silke Elsner aus dem sächsischen Plauen gleich seinen Namen bekommen wird. Rechts vor dem Boot hat das Marinemusikkorps Ostsee gemeinsam mit einer Ehrengarde Aufstellung genommen, links die Besatzung "Golf" des 1. U-Boot-Geschwaders, die das Boot später erproben soll. Zu den Gästen zählen auch viele Offiziere ausländischer Marinen aus Europa, Asien, Südamerika. An diesem Morgen sehen sie das modernste Referenzprodukt, das der deutsche Marineschiffbau derzeit zu bieten hat. Stückpreis: mehr als 400 Millionen Euro, je nach Ausstattung.

Es wird auch über Militärisches gesprochen in den Grußworten vor der Taufe, über die Weltlage, die neuen strategischen Herausforderungen für Bundeswehr und Nato, über die lange Verbindung der Deutschen Marine zum Standort Kiel. Aber in fast allen Festreden geht es immer wieder um eines: um Wirtschaft. "Mit unserem Täufling werden wir als Werft der deutschen Marine schon bald wieder ein Meisterstück deutscher Ingenieurskunst übergeben können", sagt stolz Andreas Burmester, der Chef von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS), Muttergesellschaft der Werft HDW und Teil des Essener Industrie- und Stahlkonzerns ThyssenKrupp. "Wir stehen für ein auf den Marineschiffbau ausgerichtetes Unternehmen mit höchster Technologiekompetenz, das heute in erster Linie auf die Produktbereiche nicht nuklearer U-Boote und high-end Marineüberwasserschiffe spezialisiert ist." Immerhin 19 Marinen weltweit haben seit den 1960er-Jahren U-Boote aus Kiel bekommen. Damit ist HDW Weltmarktführer im konventionellen U-Boot-Bau.

"High-end", mit Hochtechnologie in die Zukunft, das wünscht sich wohl jede deutsche Werft in diesen harten Zeiten. Manche haben das Ende der Serienfertigung von Container- oder Massengutfrachtern in den vergangenen Jahren nicht überlebt wie etwa die Nordseewerke in Emden, andere suchen erfolgreich eine Perspektive mit dem Schiff- und Anlagenbau für die Offshore-Windkraftwirtschaft wie Nordic Yards in Wismar und Rostock. Und zwei setzten noch stärker als zuvor auf den Bau von Marineschiffen: TKMS, das unter anderem die größte deutsche Marinewerft HDW in Kiel betreibt, und die Bremer Lürssen-Gruppe, die Anfang Mai ihre Präsenz im Militärgeschäft mit der Übernahme der Peene-Werft in Wolgast noch einmal deutlich ausgebaut hat. Die einst größte Marinewerft der DDR stand nach der Insolvenz des Unternehmens P+S zum Verkauf.

TKMS ist mit 2800 Mitarbeitern in Deutschland und rund 1000 beim Tochterunternehmen Kockums in Schweden auch nach dem Ausstieg aus dem zivilen Schiffbau das größte deutsche Werftunternehmen. Die Auftragsbücher sind mit Orders im Wert von annähernd acht Milliarden Euro prall gefüllt. Das ist fast genauso viel wie der gesamte deutsche Auftragsbestand im zivilen Schiffbau und bei der Offshore-Technologie.

HDW baut die weltweit modernsten U-Boote des Typs 212A mit nicht nuklearem Antrieb für die Deutsche Marine. Das neu getaufte "U 36" ist das sechste und vorerst letzte Boot dieser Serie, im Jahr 2014 soll es abgeliefert werden. Gefertigt werden auch modifizierte Exportboote für ausländische Seestreitkräfte wie jene drei Boote des Typs HDW Dolphin AIP für Israel. Hinzu kommen unter Beteiligung der TKMS-Standorte in Kiel, Hamburg und Emden obendrein je sechs sogenannte Materialpakte - Bootsbausätze - des Typs 214 für die Marinen in Südkorea und in der Türkei und zwei Bausätze 212A für die italienische Marine.

In den Hallen von HDW entstehen derzeit auch zwei neue Mehrzweckfregatten für die algerische Marine. Ein wesentlicher Teil des wirtschaftlichen Wertes für die U-Boote und Überwasserschiffe wird in Hamburg erarbeitet. Nach dem Verkauf der Werft Blohm + Voss 2012 behielt ThyssenKrupp die Sparte für den Entwurf von Marineschiffen, die unter dem Namen Blohm + Voss Naval firmiert, die aber mit dem Geschäft des Hamburger Traditionsunternehmens nichts mehr zu tun hat. TKMS hat seinen Sitz in Hamburg und in Essen.

Für Außenstehende bleibt das riesige Werftareal von HDW in Kiel zumeist ein streng verschlossenes Terrain. Hier und dort liegt ein älteres U-Boot an einer Ausrüstungspier. In einem überdachten Baudock ragen die Aufbauten eines Überwasserkriegsschiffes empor. HDW ist die einzige Werft, die ThyssenKrupp in Deutschland nach dem Verkauf mehrerer Schiffbauunternehmen behalten hat. "Mit dem Geschäftsbereich HDW verfügen wir über den kompletten U-Boot-Bau am Standort Kiel", sagt TKMS-Chef Burmester. "Das neue U-Boot ist aber auch ganz wesentlich unter Beteiligung vor allem mittelständischer Zulieferer entstanden."

Der Marineschiffbau als Bollwerk der Hochtechnologie in Zeiten immer härterer Konkurrent aus Asien - darauf hoffen etliche Zulieferunternehmen, aber auch Politiker an den deutschen Küsten. Kiels neue Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (SPD) wirbt vor der Taufe eindringlich um gute Geschäfte bei TKMS, in Kiel und auch am U-Boot-Hafen Eckernförde: "Kiel ist und bleibt erheblich von der Rüstungsindustrie geprägt. Sagen sie uns, was sie brauchen, damit wir die TKMS-Zentrale nach Kiel locken können."

Auch für die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern bleibt der Marineschiffbau ein Faktor. Es gilt als sicher, dass die Bremer Lürssen-Gruppe die Peene-Werft in Wolgast Anfang Mai für 17 Millionen Euro aus der P+S-Insolvenzmasse vor allem deshalb übernommen hat, um dort demnächst einen Riesenauftrag für Saudi-Arabien abzuarbeiten. Dabei geht es um bis zu 80 Patrouillenboote im Wert von gut 1,5 Milliarden Euro. Offiziell bestätigen will das Geschäft, für das nach Abendblatt-Informationen bereits der Materialeinkauf begonnen hat, bei Lürssen oder anderswo niemand. Es funktioniert das bei Rüstungsprojekten übliche Schweigeversprechen der Beteiligten. Einen Hinweis auf die Lieferung deutscher Patrouillenboote an den Persischen Golf erhielt der Hamburger Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, Rüstungsexperte und stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei, im Februar auf seine Anfrage hin von Ole Schröder (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenminister: Die Arbeit der deutschen Bundespolizei für Ausbildung und Beratung in Saudi-Arabien "schließt die maritime Komponente des saudi-arabischen Grenzschutzes ein".

Van Aken macht sich so seine Gedanken auch über den Export von Marineschiffen: "Ob der Wert der Exporte in den vergangenen Jahren unter dem Druck der Schiffbaukrise zugenommen hat, lässt sich nur mit Zeitverzögerung genau sagen. Der aktuelle Rüstungsexportbericht der Bundesregierung stammt aus dem Jahr 2011." Die Begründung von ThyssenKrupp, vor allem im Marineschiffbau eine hohe Wertschöpfung erzielen zu können, findet van Aken jedoch nicht stichhaltig: "Die unternehmerische Entscheidung von ThyssenKrupp, jetzt nur noch Kriegsschiffe zu bauen, halte ich für falsch. Der Konzern hätte sich ja umgekehrt auch komplett auf den Bau ziviler Spezialschiffe konzentrieren können."