Aufsichtsratschef Jürgen Weber legt heute sein Amt nieder. Sein designierter Nachfolger Wolfgang Mayrhuber sagt erst ab - und kandidiert nun doch.

Berlin. So hatte sich Jürgen Weber seinen Abschied als Aufsichtsratschef bei der Lufthansa nicht vorgestellt. Einen Tag vor der Hauptversammlung ließ sein langjähriger Weggefährte Wolfgang Mayrhuber mitteilen, dass er für die Nachfolge von Weber nicht mehr zur Verfügung stehe. Der 66-jährige frühere Vorstandsvorsitzende reagierte damit auf Kritik aus Aktionärskreisen. Gut zehn Stunden später entschied er sich dann aber, nun doch für das Kontrollgremium zu kandidieren. Offenbar ist es gelungen, sowohl Kritiker als auch Mayrhuber umzustimmen.

Noch am Wochenende hatten vor allem ausländische Investoren den Druck auf Mayrhuber verstärkt. So lehnte unter anderem die Organisation ISS, die Wahlempfehlungen für Aktionäre ausspricht, dessen Kandidatur ab. Vor allem ausländische Aktionäre folgen oft der Meinung der ISS. Die machen bei der Lufthansa rund 36 Prozent aus. Aber auch deutsche Fonds hatten Vorbehalte gegen den 66-Jährigen geäußert. So sei die zweijährige Abkühlphase nach seinem Ausscheiden als Vorstandschef zu kurz gewesen, zudem habe er derzeit zu viele andere Aufsichtsratsmandate, hieß es.

Für Jürgen Weber ist dies tragisch, denn eigentlich wollte dieser sich nach 46 Jahren im Konzern in Ruhe von den Aktionären verabschieden. Er hatte sich in den vergangenen Wochen auf ganz andere Turbulenzen eingestellt. Weber fürchtete wilde Proteste von Ver.di-Anhängern vor der Lanxess-Arena. Aber nach dem eintägigen Streik hatte sich die Gewerkschaft am 1. Mai mit dem Lufthansa-Management auf moderate Lohnsteigerungen geeinigt, die aber unterfüttert werden mit einer langjährigen Beschäftigungsgarantie. Allerdings plant die Lufthansa gleichzeitig, Mitarbeiter in neue, kostengünstige Servicegesellschaften auszulagern. Das bringt für die nächsten Jahre mehr Bewegungsspielraum für den Luftfahrtkonzern.

Gegen die Rückkehr Mayrhubers in die Führungsmannschaft von Europas größtem Luftfahrtkonzern hatte es in den vergangenen Wochen hier und da Widerstände gegeben - auf die Spitze getrieben in einem anonymen Brief. Ob der aber wirklich aus den Reihen der Lufthanseaten stammt, ist bis heute unklar. Vertreter des Managements bestreiten jedenfalls vehement, dass das Schreiben aus ihren Reihen kommt. Unstrittig ist, dass nicht wenige im Konzern meinen, die Rückkehr Mayrhubers hätte den Umbau des Konzerns eher gebremst, weil er selbst die Lufthansa durch diverse Zukäufe zu Europas größtem Luftfahrtkonzern gemacht hat und angeblich dabei versäumte, dringende Strukturbereinigungen anzustoßen.

Weber wollte dies in der vergangenen Woche nicht gelten lassen: "Wenn jemand die Firma und die Menschen kennt, die in dieser komplexen Branche tätig sind, dann ist das ein großer Vorteil." Er muss es wissen, denn der studierte Luft- und Raumfahrtingenieur hat sein ganzes Berufsleben bei dem Unternehmen verbracht und Lufthansa als Vorstandschef in den 90er-Jahren vor der Pleite gerettet und zur führenden Airline in Europa gemacht.

Der heutige Vorstandschef Christoph Franz ist nun gerade dabei, den Konzern auf einen nachhaltigen Gewinnkurs zu trimmen. Das heißt im Wesentlichen neue, kostengünstigere Flugzeuge kaufen und alte Zöpfe abschneiden, wo es irgend geht. Das ist nicht leicht in einer Branche, wo nur einige Prozentpunkte weniger Auslastung der Flugzeuge, eruptive Ölpreissteigerungen oder unerwartet starke Währungsschwankungen eine Airline schnell in die Verlustzone drücken können. Um nachhaltig Kosten zu sparen, sollen deshalb 3500 Stellen in der Verwaltung abgebaut werden.

Der Druck ist hoch. Zwar gelingt es dem deutschen Konzern derzeit im Gegensatz zu vielen Konkurrenten noch mit Gewinn zu fliegen. Aber er steckt bereits erheblich in der Klemme. Auf der einen Seite jagen die Billigfluggesellschaften der Kranichlinie die Kunden ab, und auf der anderen Seite fliegen vor allem in Richtung Asien und Afrika immer mehr Geschäftsleute, aber auch Touristen mit den stark expandierenden Golfgesellschaften.

Dass sich die Lufthansa angesichts eines solch harten Wettbewerbs ändern und an den teilweise sehr viel niedrigeren Kosten der Konkurrenten anpassen muss, sehen natürlich auch viele Mitarbeiter ein. Wenn es aber darum geht, Veränderungen des persönlichen Arbeitsumfeldes oder gar Einkommenseinbußen hinzunehmen, schrumpft das Verständnis für die strategischen und operativen Zwänge des Topmanagements. Weber macht das durchaus Sorgen. "Die Stimmung im Unternehmen wird natürlich immer schlechter, wenn Veränderungen anstehen. Aber die Führungskräfte müssen dann umso stärker den Mitarbeitern die Gründe für die eingeleiteten Veränderungsschritte erklären und sie von der dringlichen Notwendigkeit überzeugen."

Diese Lektion hat er vor allem bei seinen ersten Schritten als Topmanager gemacht. Als er 1991 für ihn völlig unerwartet als Lufthansa-Technikchef in Hamburg zum dritten Vorstandschef seit dem Neustart der Airline nach dem Krieg berufen wurde, hatte der damalige Staatskonzern über zehn Milliarden Mark Schulden angehäuft. Die Lufthansa steckte in einer existenziellen Krise. "Wir haben damals jeden Tag fünf bis sechs Millionen Mark Verlust eingeflogen", sagt Weber kopfschüttelnd. Als den schlimmsten Tag seiner langen Karriere bezeichnet er noch heute den Tag, als ihm sein damaliger Finanzvorstand Klaus Schlede mitteilte, "dass nicht mehr genug Geld da ist, um die Dezembergehälter zu bezahlen" und der Gang zum Konkursrichter drohte.

Das Überleben wurde damals zu einem einzigartigen Kraftakt. Denn die Bundesregierung hatte in den Monaten zuvor klargemacht, dass sie nicht bereit wäre, der Lufthansa finanziell unter die Arme zu greifen. Weber schaffte es nur in letzter Minute, ausreichend Kredit von der KfW zu bekommen. Diese Erfahrung bestimmt bis heute das Denken und Handeln des gebürtigen Schwaben, der in Hamburg wohnt. Schulden sind ihm ein Greul. Bis heute hat der Lufthansa-Konzern eine im Vergleich zur Liquidität verschwindend geringe Verschuldung. In der Zeit nach den Anschlägen des 11. September 2001 musste das Unternehmen zeitweise gar keine Kredite mehr bedienen.

1993 legte Weber mit dem "Programm 93" ein Sanierungsprogramm vor, das auch die Gewerkschaften unterstützten. Insgesamt rund 8000 Stellen wurden abgebaut ohne betriebsbedingte Kündigungen. Damals schon mit dabei: Wolfgang Mayrhuber und Christoph Franz. Der heutige Vorstandschef hat nun das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der Lufthansa auf den Weg gebracht. Für rund 17 Milliarden Euro hat der Konzern neue und im Betrieb kostengünstigere Flugzeuge bestellt, drei Milliarden werden zusätzlich ausgegeben, um neu designte Sitze einzubauen oder die Langstreckenflotte mit technischen Neuerungen wie Internet an Bord oder moderneren Entertainmentsystemen auszurüsten.