Wo kommen unsere Lebensmittel her? Die zehnte Reise führt in eine Schweizer Käserei nach Weier, wo der Emmentaler reift. Bis zu 1100 Liter Milch sind notwendig, um einen Käselaib zu produzieren.

Weier. Eine Handbreit vom Rand entfernt: Hansruedi Mumenthaler setzt den Käsebohrer vorsichtig an. Dann treibt er das gebogene Metall mit ein paar kräftigen Drehungen in den Käselaib, gerade so, als würde er einen Korkenzieher in einen Weinkorken schrauben. Die Glühlampe an der Decke verbreitet schummriges Licht. In dem Keller der Meierei ist es feucht und kühl. Ein leicht säuerlicher Milchgeruch liegt in der Luft.

Ich bin im Schweizer Emmental, dort, wo unser Käse herkommt. Von Basel aus geht es gut 80 Kilometer hinein in die Postkartenlandschaft mit ihren sanft geschwungenen Hügeln, verwitterten Holzhäusern und den vielen Wiesen. Der Frühling ist hier weiter fortgeschritten als bei uns im Norden Deutschlands. Die Weiden geben schon kräftig Gras. In der Ferne ragen die schneebedeckten Gipfel der Hochalpen in den Himmel. Der Ort Weier ist ein Weiler und breitet sich von einer Kreuzung aus. Ein paar Häuser stehen in alle Himmelsrichtungen.

Langsam zieht Hansruedi Mumenthaler den Käsebohrer wieder aus dem Laib und legt das lang gezogene Stückchen Käse auf ein Brettchen. Er schneidet die Rinde ab und verschließt damit das kleine Loch. Dann reicht er mir ein Stück. Es schmeckt nussig, würzig und leicht säuerlich. Mumenthaler schüttelt seinen Kopf: "Der ist noch nicht fertig." Fünf Monate dauert es, bis der Hartkäse mit den großen Löchern reif ist. Je länger er reift - 18 Monate zum Beispiel -, desto gehaltvoller schmeckt er.

Bis zu 1100 Liter Milch sind notwendig, um so einen Käselaib zu produzieren. "Rund 1,5 Millionen Liter Milch verarbeiten wir im Jahr", sagt der Käsemeister. Milch, die von den rund 300 Kühen jener zwölf Landwirte stammt, denen die Käserei über ein genossenschaftliches Modell gehört. Ich erinnere mich an unsere Begrüßung. Von einem kleinen Balkon aus hatte Mumenthaler mir die kurzen Transportwege der Milch erklärt. "Dort stehen die Kühe eines der Bauern, die Milch liefern", sagte er und zeigte auf eine in gut 500 Meter Entfernung grasende Herde.

An sieben Tagen in der Woche fahren die Landwirte vor, pumpen die Milch in den Tank am Eingang der Meierei: früh am Morgen und spät am Nachmittag, immer kurz nach dem Melken. Rund 4400 Liter frische Milch von Kühen, die auf den Weiden in der Nähe grasen oder - im Winter - Heu zu fressen bekommen. In den Kupferkessel passen 6000 Liter. Und an den sieben Tagen in der Woche verarbeitet Hansruedi Mumenthaler die Milch zu Käse.

Dabei wird sogenanntes Lab - ein Gemisch aus den Enzymen Chymosin und Pepsin - beigemischt, wodurch die Rohmilch dick wird. Der entstandene Käsebruch wird dann auf 53 Grad Celsius erhitzt, damit dieser weitere Flüssigkeit verliert. Schließlich kommt alles in eine Form und wird zusammengepresst. Über Nacht liegen die Käselaibe in einer Salzlake, die dem Käse weiteres Wasser entzieht und die Bildung der schützenden Rinde vorbereitet.

Anschließend werden die Käselaibe in unterschiedlich temperierten Kellern gelagert: zunächst in einem warmen Keller, danach - bis zu seiner Auslieferung - in einem kühlen Verlies. "Im Durchschnitt produzieren wir vier Käselaibe pro Tag", erzählt der Käsemeister. "Damit kommen wir auf etwa 120 Laibe im Monat." Wichtig ist ihm, dass die Milch nicht pasteurisiert, also nicht kurzzeitig zur Abtötung von Mikroorganismen erwärmt wird.

Gut einen Meter Durchmesser und zwanzig Zentimeter Höhe misst so ein Käselaib, den Hansruedi Mumenthaler jetzt wieder ins Regal zurückschiebt. Als ich ihn anheben will, spüre ich die 90 Kilogramm Gewicht. Dass ein Laib Emmentaler so groß und schwer ist, hat mit dem Einfallsreichtum der Schweizer zu tun. Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts produzierten die Emmentaler Landwirte Käselaibe, die lediglich gut 50 Kilogramm wogen.

Wollten sie ihren Käse jedoch in andere Länder exportieren, mussten sie an den Grenzen Zoll entrichten. Besonders Russland tat sich seinerzeit mit Protektionismus hervor. Glücklicherweise erhob das Riesenreich seinen Zoll nicht nach Gewicht, sondern nach Stückzahl. Die Schweizer Käsebauern machten daher aus ihrer Not eine Tugend und produzierten größere Käselaibe. Zeitweise wog ein Laib bis zu 120 Kilogramm und damit so viel wie nirgends auf der Welt.

Inzwischen ist die Laibgröße ebenso ein Markenzeichen des Emmentaler Käses geworden wie seine Löcher. Ursprünglich galten diese wegen fehlender Hygiene in den Kuhställen als Qualitätsmangel. Erst als eine "regelmäßige Lochung" - wie Hansruedi Mumenthaler es beschreibt - gelang, setzten die Löcher sich als Markenzeichen durch. "Verursacher" der Löcher sind Propiosäurebakterien. Reift der Käse in einer gleichmäßig warmen Umgebung, vermehren sich die einzelligen Organismen, bilden Gas und sorgen für die charakteristischen Löcher.

Hansruedi Mumenthaler hat ein kleines Fläschchen in der Hand. "Prop 96" steht auf dem Etikett. Das Fläschchen enthält die Bakterien. "Fünf bis sechs Tropfen pro Laib reichen", sagt er und untertreibt damit maßlos. Schließlich ist das Loch im Emmentaler Käse nicht einfach ein Loch, sondern unterliegt einem Qualitätsstandard. "Ein für den Emmentaler Käse richtiges Loch muss so groß sein wie ein Zwei-Franken-Stück." Zwei bis drei Zentimeter im Durchmesser. Zwei Monate dauert es, bis die richtige Größe erreicht ist.

Bis dahin prüft Mumenthaler jeden Tag den Reifegrad. Er hat einen kleinen Gummihammer herausgeholt und schlägt leicht an verschiedenen Stellen auf den Laib. "Ich kann hören, wenn die Löcher die richtige Größe erreicht haben", sagt er. Allerdings verlässt er sich nicht allein auf sein Gehör. "Jeder Käse wird geklopft, jeder fünfte gestochen."

Die Größe der Löcher, ihre Anzahl, die Farbe des Käses, sein Geschmack: Es gibt verschiedene Merkmale, die Hansruedi Mumenthaler signalisieren, ob ein Käse die richtige Reife erreicht hat. Die Merkmale richtig "lesen" zu können, dazu bedarf es jahrelanger Erfahrung. Mumentahler hat sie. Seit mehr als 40 Jahren macht er Käse, seit 1998 in der Käserei in Weier. "Ich wollte immer einen Beruf mit Zukunft ausüben", erzählt er, während wir an seinem Küchentisch sitzen. "Wenn man Käse machen kann, kann man überall arbeiten."

Das "Überall" für Hansruedi Mumenthaler ist dann doch das Emmental geblieben. Hier fühlt der 63-Jährige sich daheim, hier lebt er mit seiner Ehefrau Silvia. Viele Worte macht er nicht und erst recht nicht, als ich ihn frage, ob er denn mit 65 Jahren in Rente gehen wird. "Gar nichts machen ist auch nicht gut", sagt er nach kurzem Nachdenken und fügt hinzu: "Irgendetwas muss man ja machen."

Es ist nicht nur das "Machen", das den Käsemeister umtreibt. "Käse ist nicht gleich Käse" sagt er. "Käse muss schon jung einen guten Geschmack haben." Mit guten Geschmack meint Mumenthaler Qualität. "Ich prüfe von jedem der Bauern die Milch", sagt er, spricht dann von gutem Futter, sauberem Milchgeschirr und davon, dass die Milch nicht verändert wird. Aber: Kontrolle ist notwendig. Auch wenn Bauern und Käsemacher sich seit vielen Jahren kennen - und vertrauen.

Wahrscheinlich ist dieser hohe Qualitätsanspruch einer der Gründe dafür, dass Mumenthaler im Jahr 2006 beim "World Championship Cheese Contest" in Madison in den USA die Silbermedaille gewann. Was ihn besonders stolz macht: An dem Wettbewerb nahmen 70 Emmentaler Käse aus aller Welt teil.