Wo kommen unsere Lebensmittel her? Die achte Reise führt zu Ben & Jerry's nach Hellendoorn in den Niederlanden, 346 Kilometer von Hamburg entfernt.

Hellendoorn. Die an der Pinnwand angebrachte Aufforderung an die Lkw-Fahrer ist unmissverständlich. Wer außerhalb der Ladezeiten zwischen 7.30 Uhr und 17.00 Uhr kommt, muss seinen Laster im sieben Kilometer entfernten Industriegebiet parken. Ich stehe im niederländischen Hellendoorn vor der Fabrik, in der für den europäischen Markt die 24 verschiedenen Eissorten von Ben & Jerry's produziert werden. Sie liegt nicht - wie so oft bei Unternehmen, die ich in den vergangenen Wochen besucht habe - in einem Gewerbegebiet. Das 2,5 Hektar große Werksgelände passt sich in eine Flusskehre ein. Gegenüber dem Eingang stehen Einfamilienhäuser mit Carports und Gärten.

Bei der Auswahl der Produktionsstätte habe deren Lage eine Rolle gespielt, erzählt Werksleiter Wouter Smit und lässt sogleich eine der Kernbotschaften der Unternehmensgründer Ben Cohen und Jerry Greenfield folgen: "Business hat die Verantwortung, der Gesellschaft etwas zurückzugeben." Damit sei gemeint, nicht nur ein qualitativ hochwertiges Produkt profitabel herzustellen. "Wir tragen auch eine soziale Verantwortung", sagt Smit.

Der Zusammenhang mit der Lage des Unternehmens erschließt sich mir dadurch zwar nicht. Aber das ist nicht ungewöhnlich, denn bei Ben & Jerry's handelt es sich um ein ungewöhnliches Unternehmen. Da ist die Werkshalle. Über ratternde Transportbänder laufen die bunten Eisbecher mit den comichaften Motiven. Metall schlägt auf Metall. Übertönt wird das Maschinengeräusch durch Musik, die aus Lautsprechern erklingt. Die Botschaft: Hier soll das Arbeiten am Band Spaß machen.

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Um das Ganze besser zu verstehen, muss man ein wenig in der Geschichte von Ben und Jerry stöbern. Die beiden US-Amerikaner lernen sich in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts an der Schule kennen, merken rasch, dass sie beide Sport hassen und Essen lieben. Später bezeichnen sie sich als Hippies und wollen unbedingt gemeinsam Business machen, um der Arbeitslosigkeit zu entfliehen. Pizza, Bagels - so richtig zündend sind ihre Ideen anfangs nicht. Schließlich belegen die beiden einen fünf Dollar teuren Fernkursus zur Eisherstellung.

Mit Erfolg. 1978 eröffnen Cohen und Greenfield in einer umgebauten Tankstelle in Burlington im US-Bundesstaat Vermont ihren ersten Eisladen. Schon wenig später sind sie in der Stadt unweit der Grenze zu Kanada bekannt "wie bunte Hunde". Ihr Geheimnis: Sie kreieren verrückte Eissorten, setzen von Anfang an auf beste Zutaten aus der näheren Umgebung. Und arbeiten nach dem Motto: "Wenn es keinen Spaß macht, warum tust du es?"

Innerhalb weniger Jahre wird die Eiscreme von Ben & Jerry's in den USA eine Kultmarke. Neben den bunten Bechern sind es die ungewöhnlichen Namen der Eissorten, die Aufmerksamkeit sichern. Das "New York Super Fudge Chunk" beispielsweise ist ein Schokoladeneis mit Schokoladenstückchen, Pekannüssen, Walnüssen und schokoladenüberzogenen Mandeln.

Was sich hippiemäßig anhört, fußt auf solider Grundlage; und eines ist auch klar: Cohen und Greenfield wollen Geld verdienen. Aber sie verfolgen von Anfang an die Idee, es auf eine nachhaltige Art tun zu wollen. Die Milch für ihr Eis kaufen sie deshalb von Bauern aus der Region, um unnötig lange Transportwege zu vermeiden. Die Bauernhöfe, die den größten Teil der Milch liefern, liegen durchschnittlich fünf Kilometern vom Werk entfernt, sagt Wouter Smit. Bei einer Produktion von 41,3 Millionen Liter Eis pro Jahr spielt diese Entfernung eine große Rolle. Schließlich ist Milch einer der Hauptbestandteile von Eis.

Besonderen Wert legt der Chef von 145 Mitarbeitern zudem auf die Feststellung, dass alle Bestandteile der Eiscreme fair gehandelte Produkte sind. "Die Bauern bekommen für die Rohstoffe einen garantierten Preis, der mindestens auf dem Niveau des Weltmarktes liegt." Außerdem bevorzugt Ben & Jerry's direkte Handelsbeziehungen. Zwischenhändler sollen so vermieden werden.

Durch eine faire Bezahlung der Bauern will das Unternehmen sicherstellen, dass diese vom Ertrag ihrer Arbeit in Würde leben, ihren Kindern eine Ausbildung ermöglichen und gute Arbeitsbedingungen für ihre Angestellten schaffen können. Fairtrade bedeute, dass jeder "sein Stück vom Kuchen erhält", zitiert Wouter Smit Firmengründer Greenfield. Doch es geht dem Eishersteller nicht nur um faire Handelsbeziehungen, sondern auch um eine artgerechte Haltung von Milchkühen. Ich bin auf den Hof von Annie und Henk Kregel im Norden der Niederlande gefahren. Der Wind weht kalt vom Westen her. Schnurgerade Kanäle durchziehen das flache Land, auf den Wiesen wächst das erste Gras des Jahres.

Die 160 Milchkühe der Kregels muhen aufgeregt. Als ein Mitarbeiter die Stalltür öffnet, kennen einige der Tiere kein Halten mehr. Sie rennen auf einem abgesperrten Weg auf eine nahe gelegene Wiese. Einige Tiere stupsen sich, anderen versuchen immer wieder, in die Höhe zu springen. Es ist ihr erster Weidetag nach der langen Winterzeit.

Was für den menschlichen Beobachter eher lustig aussieht, ist ein wichtiger Bestandteil nachhaltiger Milchwirtschaft. "Viele der 23 Millionen Milchkühe in Europa leiden unter schlechten Bedingungen im Stall und können nicht auf die Weide", sagt Christa Langen, Sprecherin von Cono Kaasmakers. In ihrer Genossenschaft sind die Bauern zusammengeschlossen, von denen Ben & Jerry's in Europa die Milch bezieht.

Zusammen mit dem Eishersteller und Hollands führender Agraruniversität Wageningen wurde das Programm "Caring Dairy" ins Leben gerufen. Dahinter steckt wieder die Philosophie der Ben-&-Jerry's-Gründer, wonach es im Business nicht nur um den eigenen Profit gehen muss. Für die Cono-Bauern bedeutet das beispielsweise ein zusätzliches "Milchgeld" von bis zu 4500 Euro im Jahr, sagt Langen.

Wenn die Tiere nicht auf der Weide stehen, sind sie in einem großen Laufstall untergebracht. Für jede Kuh gibt es eine eigene Box, in der sie nicht auf dem Betonboden, sondern auf einer Gummimatte liegen kann. Das Futter ist vornehmlich Heu. Wenn Mais verfüttert wird, dann haben die Bauern ihn selbst angebaut, sagt Langen und fügt hinzu: "Gentechnik ist verboten."

"Es geht uns nicht um Hochleistungskühe, die bis zu 12.000 Liter Milch im Jahr geben", sagt Annie Kregel. Ihre Tiere liefern im Durchschnitt 9000 Liter Milch. "Das ist genug, auch für die Kühe." Christa Langen ergänzt, dass ein Bauer der Cono-Genossenschaft im Durchschnitt 70 Milchkühe hält. "Damit sind wir von einer Massentierhaltung weit entfernt."

Es ist kein Biohof, den ich besuche. Caring Dairy ist, so sehen es die Bauern, weder besser noch schlechter als der biologische Ansatz. Es ermöglicht aber den Landwirten, nachhaltig zu wirtschaften, ihre Tiere artgerecht zu halten und trotzdem auf dem umkämpften Lebensmittelmarkt konkurrenzfähig zu sein. Hinzu kommt, dass die Bauern über Caring Dairy untereinander vernetzt sind und Erfahrungen austauschen können. Der Traum der beiden Unternehmensgründer, "die Welt immer ein wenig besser" machen zu wollen, ist verführerisch. Und doch bleibt der Eishersteller ein Wirtschaftsunternehmen. Vor zwei Jahren musste die US-Eismarke einräumen, dass ihre Kreationen nicht - wie versprochen - aus "komplett natürlichen" Zutaten hergestellt werden. Der Zusatz "all natural" ist seitdem verschwunden.

Zu der Geschichte gehört ebenso, dass Ben & Jerry's seit dem Jahr 2000 zu Unilever gehört. Der britisch-niederländische Konzern hatte die Firma für 362 Millionen Dollar gekauft. Zwar behielt die Eismarke ihren eigenen Vorstand, und die beiden Gründer arbeiten weiter als Berater. Kritiker glauben aber, dass Unilever sich mit Ben & Jerry's lediglich einen "grünen Anstrich" geben will.