TKMS hat fünf Werften verkauft, darunter Blohm + Voss. Geblieben ist allein das Militärgeschäft. Konstruktion von U-Booten oder Fregatten steht nun im Fokus.

Hamburg. Ein wenig Distanz tut manchmal ganz gut, vielleicht auch im Berufsleben. Wenn Hans Christoph Atzpodien an seinem Schreibtisch sitzt, sieht er links an der Wand ein Ölgemälde des legendären Frachtseglers "Passat". Rechts aus dem Fenster seines Eckbüros in einem modernen Geschäftshaus an der Großen Elbstraße hat der Manager einen wunderbaren Blick auf den zentralen Hafenbereich von Steinwerder und auf die Anlagen der Werft Blohm + Voss. Bis zum vergangenen Jahr saß Atzpodien, 57, selbst dort drüben. Damals war Hamburgs große Traditionswerft noch Teil der Konzernsparte ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Mittlerweile gehört der Schiffbau bei Blohm + Voss dem britischen Finanzinvestor Star Capital Partners. Atzpodien führt nun die erweiterte Konzernsparte ThyssenKrupp Industrial Solutions - und seine alten Mitstreiter auf der anderen Seite der Elbe sind mittlerweile seine Auftragnehmer, derzeit beim Bau von Fregatten für die Deutsche Marine.

Jahrelang hat ThyssenKrupp das konzerneigene Geschäft mit dem Schiffbau so intensiv aus- und dann wieder abgebaut, dass es mitunter schwerfiel, dem Kurs des Konzerns zu folgen. Zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts bot der Essener Stahl- und Industriekonzern noch eine breite Palette von Schiffstypen an, von Containerfrachtern über Megayachten bis hin zu U-Booten und Überwasser-Marineschiffen. Geblieben ist allein das Militärgeschäft. Die Werften Nobiskrug in Rendsburg, HDW Gaarden in Kiel, Nordseewerke in Emden, Hellenic Shipyards in Griechenland und zuletzt Blohm + Voss verkaufte der Konzern nach und nach. "Hinter all den Veränderungen der vergangenen Jahre steckte auch das Ziel, dass wir uns auf den Marineschiffbau fokussieren und aus der alten Vielfalt von Standorten und der Komplexität von Produkten herauswollten", sagt Atzpodien. "Das bedeutete unter anderem auch die Trennung vom Handelsschiff- und Yachtbau."

Der Bau von Handels- und Passagierschiffen in Deutschland steht unter dem wachsenden Druck der Konkurrenz aus Südkorea, China und Japan. Wenige Werften wie Meyer Papenburg mit Kreuzfahrtschiffen, FSG in Flensburg mit kombinierten Fracht- und Passagierfähren oder Nordic Yards in Wismar mit eisgängigen Schiffen und Offshore-Strukturen bieten dem erfolgreich Paroli. ThyssenKrupp sieht Perspektiven nur noch im Militärgeschäft: "Im Marineschiffbau steckt so viel Hochtechnologie, dass wir Schiffe auch künftig unter der sehr teuren Kostenstruktur in Deutschland bauen und erfolgreich vermarkten können. Mit dem Bau von Handelsschiffen ist das - von einzelnen Nischen abgesehen - nicht mehr möglich", sagt Atzpodien.

Früher wurde ein Schiff auch bei ThyssenKrupp erdacht, konstruiert und dann selbst gebaut. Atzpodien will im Unternehmen nun vor allem Ingenieurleistung konzentrieren und vermarkten. "Bei einem Auftragsvolumen von rund zwei Milliarden Euro für vier Fregatten des Typs F 125 liegen 80 Prozent bei ThyssenKrupp Marine Systems", sagt er. "Von diesen wiederum wurden etwa 25 Prozent an den Fertiger untervergeben. Unser hoher Eigenanteil hängt damit zusammen, dass wir die Schiffe entwerfen, dass wir aber auch das Material einkaufen und den gesamten Bau begleiten und managen. So erzielen wir bei ThyssenKrupp Marine Systems Wertschöpfung im Schiffbau."

Der deutsche Marineschiffbau ist eine äußerst verschlossene Branche. Informationen über Aufträge dringen selten nach außen, Details über laufende Verhandlungen schon gar nicht. Aufmerksamkeit erregte zuletzt vor allem die Bremer Werftengruppe Lürssen der Cousins Friedrich und Peter Lürßen. Das Unternehmen baut Marineschiffe wie auch Großyachten und ähnelt damit der früheren Gestalt von TKMS.

Friedrich Lürßen kaufte im vergangenen Jahr zwei Werften zu, das Reparaturunternehmen Norderwerft von der insolventen Sietas-Gruppe in Hamburg und die auf den Bau von Marineschiffen spezialisierte Peene-Werft in Wolgast von der ebenfalls insolventen P+S-Gruppe. Damit zählt das Unternehmen inklusive der Zentrale nun insgesamt acht Standorte - mehr als jedes andere deutsche Werftunternehmen. Dann wurde bekannt, dass Lürssen um einen Auftrag für Patrouillenboote aus Saudi-Arabien im Volumen von 1,5 Milliarden Euro wirbt - ein Bootstyp, den die Peene-Werft gut bauen könnte.

Die Experten von Lürssen und von ThyssenKrupp kennen sich bestens. Beim Bau von Marineschiffen wirken sie immer wieder mal in Arbeitsgemeinschaften zusammen, so auch bei der neuen Fregatte F 125. Konstruiert wurden die künftigen Flaggschiffe der Deutschen Marine von ThyssenKrupp, in der Hamburger Entwicklungsgesellschaft Blohm + Voss Naval, in der rund 400 Beschäftigte arbeiten. Lürssen liefert wesentliche Rumpfteile sowie die Kommandobrücken zu. Mit der Endfertigung ist derzeit die Werft Blohm + Voss beschäftigt, die nicht mehr zu ThyssenKrupp gehört.

Während Lürssen seine Baukapazitäten zuletzt auffällig erweiterte, nahm ThyssenKrupp seine Präsenz im Stahlbau deutlich zurück. Nur auf der Kieler HDW-Werft - Zentrum des U-Boot-Baus von ThyssenKrupp - und bei seiner schwedischen Tochterwerft Kockums schweißt der Konzern noch selbst. "Nach wie vor sind wir in Kiel und in Schweden in der Lage, Schiffe auch komplett selbst zu bauen", sagt Atzpodien. "Wir möchten aber verstärkt mittelständische Partnerunternehmen beim Stahlbau und bei Teilen der Ausrüstung einbinden, um die Gesamtkostenstruktur zu verbessern."

Nach dem Verkauf mehrerer Werften ist ThyssenKrupp im deutschen Schiffbau kaum noch sichtbar. Doch der Konzern bleibt mit Abstand das größte Unternehmen der heimischen Branche. 2800 der insgesamt 3800 Mitarbeiter von ThyssenKrupp Marine Systems arbeiten an den deutschen Standorten in Kiel, Hamburg und Emden, die übrigen bei Kockums in Schweden. Nach Abendblatt-Informationen ist das Auftragsbuch von TKMS mit U-Booten und Überwasserschiffen prall gefüllt. Der Wert der Orders soll den Jahresumsatz von rund 1,2 Milliarden Euro um fast das Siebenfache übersteigen. Neben mehreren U-Booten baut TKMS demnach in Kiel derzeit auch zwei Fregatten für ein nordafrikanisches Land.

Atzpodien kommentiert das nicht, lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Deutsche Marine als Auftraggeber für den Konzern längst nicht ausreicht: "Alle öffentlichen Auftraggeber im Marineschiffbau unterliegen erheblichen Budget-Restriktionen. Wenn wir als Anbieter von Marineschiffen wettbewerbsfähig bleiben wollen, dürfen wir uns keinesfalls nur auf Aufträge aus Deutschland konzentrieren", sagt er. "Wir müssen im Gegenteil unseren Export weiter ausbauen, benötigen aber auch hierfür die Unterstützung unserer Regierung und der Deutschen Marine." Der Verdrängungswettbewerb, meint Atzpodien, sei für den deutschen Schiffbau noch längst nicht ausgestanden: "Wir müssen flexibler werden und uns den Hochtechnologie-Anteil am Schiffbau in Deutschland sichern. Wenn wir das nicht tun, verlieren wir irgendwann auch den Bau von Überwasser-Marineschiffen und von U-Booten."