Der Konzern hat noch nie so viele Passagiere befördert wie 2012. Doch der Mangel an Fahrzeugen wird nun zum Problem

Berlin. Eigentlich läuft es zurzeit richtig gut für Bahnchef Rüdiger Grube. Obwohl das konjunkturelle Umfeld alles andere als rosig ist, hat die Deutsche Bahn im vergangenen Jahr erneut einen Rekordgewinn eingefahren. Der Konzern steigerte seinen Umsatz um 3,7 Prozent auf 39,3 Milliarden Euro und erwirtschaftete unterm Strich 1,5 Milliarden Euro. Zwei Milliarden Menschen wurden in Deutschland befördert, so viele wie nie zuvor. Ärgerlich nur, dass es noch viel besser laufen könnte.

Nach Informationen des Abendblatts beträgt die Auslastung in den Fernzügen inzwischen 50 Prozent, eine neue Bestmarke. Wer zu Spitzenzeiten im ICE oder IC unterwegs ist, kennt die qualvolle Enge. "Ich will mir gar nicht ausmalen, wie gut unsere Zahlen erst wären, wenn wir genug Züge hätten", sagte Finanzvorstand Richard Lutz auf der Bilanzpressekonferenz. Die Bahn würde gern noch mehr Menschen transportieren und mehr Züge einsetzen, aber es fehlt an allem: ICEs, Regionalzüge, S-Bahnen. Grund des Mangels ist, dass die Hersteller zu spät oder nicht in der geforderten Qualität liefern. Das bremst den DB-Konzern, und inzwischen liegen dort die Nerven offenbar so blank, dass man sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen hat: Die DB verklagt den Zughersteller Bombardier auf 350 Millionen Euro Schadenersatz, weil der angeblich für Berlin schadhafte S-Bahnen geliefert haben soll. "Wir fühlen uns vorsätzlich getäuscht", sagt ein Bahnmanager.

Man unterstellt dem Lieferanten "kriminelle Energie". Das an sich hat schon eine neue Qualität in den endlosen Konflikten von DB und Bahnbauern. Doch so richtig heikel könnte die Angelegenheit werden, wenn sie am Ende auf einen Konflikt von Deutscher Bahn und Daimler hinausliefe - und mit der Angelegenheit betraute Juristen sehen durchaus eine Wahrscheinlichkeit, dass das so kommt. Dann läge Rüdiger Grube mit seinem ehemaligen Arbeitgeber im Clinch, denn vor seiner Berufung an die Bahnspitze saß Grube einige Jahre im Vorstand des Stuttgarter Automobilherstellers.

Es war ein Satz Gerd Bechts, den der Vorstand für Compliance und Recht während der Bilanzpressekonferenz eher am Rande fallen ließ: "Wir machen nicht nur Bombardier einen Vorwurf, sondern dem Unternehmen, das die fraglichen S-Bahnen damals gebaut hat." Das war der Zughersteller Adtranz, ein Unternehmen, das von Bombardier 2001 aufgekauft wurde. Adtranz hatte die Züge entwickelt und ab 1996 an die Bahn ausgeliefert - und war zu diesem Zeitpunkt eine Tochter von Daimler. Da Adtranz nicht mehr existiert, wäre der Stuttgarter Autobauer am Ende der Adressat von Ansprüchen der Deutschen Bahn.

Denn im Fall von Vorsatz und arglistiger Täuschung könnte Bombardier versuchen, auf Adtranz, beziehungsweise auf den Verkäufer zu verweisen. Nicht unwichtig für diesen Schritt wäre es allerdings, dass sich der Bahnbauer beim Kauf der Daimler-Tochter eine sogenannte Freistellungsklausel in die Verträge schrieben ließ. Damit wäre der Käufer vor Risiken, die von seiner Neuerwerbung ausgehen, gefeit.

Bombardier erklärt zwar, es gebe eine solche Klausel nicht, aber das kann Taktik sein. Die Bahntechnikhersteller will den Eindruck vermeiden, die Qualität der Züge sei Grund für das Problem bei der S-Bahn Berlin. Nachdem 2009 bei einem der Züge ein Rad gebrochen war, hatte sich die Schienenaufsichtsbehörde EBA eingeschaltet, die Züge genauer unter die Lupe genommen und Mängel festgestellt. In Folge wurden weite Teil der Flotte stillgelegt. In der Hauptstadt herrscht seither in regelmäßigen Abständen Chaos im Nahverkehr.

Bombardier will dafür nicht allein die Verantwortung übernehmen. Der kanadische Konzern, der in Berlin seine weltweite Bahnzentrale hat, verweist auf die unbestrittenen Wartungsmängel der Bahn. Und darauf, dass das Schienennetz womöglich in einem Zustand sei, der bei den Zügen deutlich schneller zu Verschleiß führe, als zu erwarten sei. Man bekomme bis heute keinen Einblick bei der Bahn in die entsprechenden Unterlagen, moniert der Konzern. Die DB reagiert darauf mit Unverständnis: "Es gibt einen Netzzustandsbericht, den kann jeder einsehen", so ein Sprecher.

Die Zeichen stehen also auf Sturm, ein Prozess wird immer wahrscheinlicher, obwohl sich beide Seiten klar darüber sind, dass es Jahre dauern kann, bis es ein Urteil gibt. Man sei weiter gesprächsbereit, heißt es bei Bombardier. Ein Bahnmanager kontert: "Die Klageschrift liegt Bombardier seit Wochen vor, es wäre genug Zeit gewesen, sich gütlich zu einigen." Nun liegt der Schriftsatz beim Landgericht Berlin.

Der Konflikt hat eine Dimension, der weit über Berlin hinausgeht. "Wir haben hier ein grundsätzliches Problem. Es gibt erste Hersteller, die erklären, es sich überlegen zu wollen, ob sie in Deutschland künftig überhaupt noch Züge anbieten", sagt Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Die hohen Qualitätsanforderungen an Züge und Schienenwege, die teuren Zulassungsverfahren hierzulande, die umständlichen Prozeduren und Konflikte wie der zwischen Bahn und Bombardier wirken abschreckend auf die Zugbauer. Dabei gibt es weltweit schätzungsweise vier bis fünf Konzerne, die beispielsweise Fernverkehrszüge von der Qualität des ICE bauen könnten. Aber die japanischen Hersteller meiden Deutschland seit Jahren, die Koreaner ebenfalls. Die Auflagen dort seien einfach zu große Hürden, heißt es beim Shinkansen-Hersteller Hitachi. Der Bahn drohen somit die Lieferanten auszugehen.