Honeywell will durch geändertes Schichtsystem neue Jobs schaffen. Betriebsrat sperrt sich. Richter soll vermitteln

Glinde. Vor der Halle 61 weht der Wind einen leichten Geruch wie nach Gummi durch die Luft. Drinnen spüren die Männer der Nachmittagsschicht die Wärme der Industrieöfen. Die Pressen von sieben Produktionslinien arbeiten und erzeugen einen anhaltenden Geräuschpegel. Im Honeywell-Werk in Glinde kontrollieren und prüfen 65 Beschäftigte die Produktion von Pkw-Bremsbelägen. 25.000 von ihnen werden nach der Achtstundenschicht fertig sein. "Unsere Produktion gehört zu den modernsten der Welt", sagt Geschäftsführer und Werkschef Jörg Ennen, 48. Allein in den vergangenen zwei Jahren hat der Mutterkonzern aus New Jersey 15 Millionen Dollar in sein größtes von zehn Bremsbelagwerken gesteckt. Das sichert die Jobs für gut 1000 Beschäftigte am Rand von Hamburg.

Ennen holt jetzt eine Handvoll schwarze Körnchen aus einem Karton. In seiner Handfläche sieht das Häuflein unscheinbar aus. Darin aber steckt das Know-how des Unternehmens, das 1917 als Jurid in der Nähe von Dresden gegründet wurde und diese Marke noch immer führt. Die Zusammensetzung der Körnchen verrät Ennen nicht. Nur so viel: Die Mischung, die künftig in den Bremsen der Marken BMW, Mercedes, und VW arbeiten wird, enthält Stahlwolle und weitere 15 geheime Zutaten.

Ennens Geschäfte laufen nicht schlecht. Trotz der in Europa schwächelnden Autokonjunktur herrscht bei Honeywell eine gute Auftragslage. "Wir wissen schon jetzt, dass der Bedarf der Bremsen- und Autohersteller bis Ende des Jahres über unserer Kapazität liegt", sagt der Maschinenbau-Ingenieur, der im August 2011 von einem Wettbewerber in Leverkusen nach Glinde gewechselt ist. Um dies auszugleichen, verhandelt das Management seit Juni mit dem Betriebsrat über ein neues Schichtsystem. Bislang ohne Erfolg.

In Halle 61 rieseln jetzt, von einer Präzisionswaage fein abgezählt, die Körnchen in Formen. In diesen "Nestern", wie Ennen sagt, wird das Pulver zu Blöcken gepresst und dann unter hohem Druck und mithilfe eines lösungsmittelfreien Klebstoffs bei bis zu 160 Grad auf Stahlplatten gesetzt. Zwei von diesen Platten gehören später zu jeder Scheibenbremse. Durch das sich nach und nach abreibende Material entsteht die Bremswirkung. "Wir arbeiten mit einer Toleranz von einem Gramm. Auch die Stärke des Belags darf allenfalls einen Zehntel Millimeter von der Vorgabe abweichen", sagt Ennen. "Schließlich hängen an der Qualität dieses Zubehörs möglicherweise Leben."

Für den Manager hängt an dem von ihm vorgeschlagenen Schichtsystem der Erfolg des Werks. Mit zusätzlichen Schichten und einer gesteigerten Produktion will er die wirtschaftliche Lage verbessern. Denn schon 2011 gab es keine positiven Zahlen. Die Preise für Bremsbeläge am Weltmarkt sind unter Druck. Immer mehr Hersteller aus China, Brasilien, Indien oder Osteuropa versuchen zunächst über den Ersatzteilhandel Fuß zu fassen. "Bei unseren Kosten können wir da nur durch eine effizientere Fertigung gegenhalten", sagt der Werkschef.

Der Vorschlag der Geschäftsleitung sieht deshalb vor, die Zahl der Schichten von derzeit 15 an fünf Tagen auf 18 oder sogar 21 an bis zu sieben Tagen der Woche auszudehnen. Bisher endet die letzte Nachtschicht der Woche am Sonnabend früh um 5.15 Uhr.

Insgesamt sollen sich künftig vier Schichtteams statt bisher drei abwechseln. "Das würde dazu führen, dass nicht mehr fünf Tage in einer Schicht gearbeitet werden muss und der Körper sich so weniger stark umstellen müsste. Das halten wir für gesünder", sagt Ennen. Die Folge wären zudem 80 neue Arbeitsplätze. Zwar soll zunächst auf Leiharbeiter zurückgegriffen werden. Doch auch Einstellungen sind später nicht ausgeschlossen. An der übertariflichen Bezahlung soll sich nichts ändern. Der Ausstoß jedoch würde durch die neuen Schichten steigen.

Doch für den Betriebsrat kommt das neue Modell nicht infrage. "Das Konzept der Geschäftsleitung ist unzumutbar", sagt Michael Petersen, 57, der seit 1996 an der Spitze des Betriebsrats steht. Seine Kritik: Mit dem Viergruppenmodell werde es möglich, an bis zu sieben Tagen hintereinander zu arbeiten. Damit würde die Arbeitszeit auf bis zu 52,5 Stunden steigen. Die Überstunden aber könnten erst über ein Zeitkonto im Laufe eines Jahres als Freizeit genommen werden. Auch 90 Mitarbeiter, die bisher in fünf Schichten besonders schwere Arbeiten übernehmen und jedes zweite Wochenende im Betrieb sind, würden schlechter gestellt. Seit Juni 2012 wurde bereits viermal vor dem Werk demonstriert und auch die Produktion schon einmal für kurze Zeit unterbrochen.

An diesem Nachmittag läuft sie ohne Unterbrechung weiter. Die Beläge auf ihren Platten werden bei 250 Grad gehärtet, Harzbestandteile des Klebers in einem weiteren Ofen bei 500 Grad abgebrannt. Allein 20 Millionen Bremsbeläge für Pkw, fünf Millionen für Lkw und Hunderttausende für Bahnen oder Bagger verlassen so jährlich das Werk.

Ob das weiter so sein wird, ist für Ennen offen. Sollte keine Einigung erreicht werden, fürchtet er, dass Kunden abwandern. Immerhin: Nach Terminen beim Arbeitsgericht in Lübeck und der zweiten Instanz, dem Landesarbeitsgericht in Kiel, gibt es jetzt eine Einigungsstelle. Noch zweimal will das Gremium, dem von jeder Seite vier Beisitzer mit ihren Anwälten angehören, verhandeln. Vorsitzender ist der Präsident des Hamburger Landesarbeitsgerichts, Helmut Nause. Gelingt bis spätestens zum 28. März kein Kompromiss, wird Nauses Stimme entscheiden, wie künftig bei Honeywell gearbeitet wird.