Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste, im Interview über die aktuelle Lohnforderung, neue Mitglieder und sein Einkommen

Hamburg. Die IG Metall Küste wird bis zum Freitag ihre Strategie für die kommende Tarifrunde festlegen. Im Norden dürfte die Gewerkschaft mit einer Forderung nach einer Lohnerhöhung von fünf bis sechs Prozent in die Verhandlungen gehen. Das Abendblatt sprach mit Bezirksleiter Meinhard Geiken, 54, über mögliche Warnstreiks, neue Tricks von Zeitarbeitsfirmen, die Zukunft der Werften und sein persönliches Verhältnis zum Geld.

Hamburger Abendblatt: Herr Geiken, in den nächsten Wochen geht es bei der IG Metall vor allem um die Finanzen. Welches Verhältnis haben Sie selbst zum Geld?

Meinhard Geiken: Ein ganz gewöhnliches. Meine Frau und ich rechnen damit, müssen unsere Rechnungen bezahlen und für unsere beiden Töchter sorgen. Aber ich muss bei meinem Verdienst nicht jeden Euro umdrehen.

Sie stehen seit knapp zwei Jahren an der Spitze der IG-Metall-Bezirks Küste. Was verdient ein Bezirksleiter?

Geiken: Brutto sind es 11.800 Euro im Monat. Das ist eine Menge Geld. Im Vergleich zu einem Ingenieur im Metallbereich dürfte es das Doppelte sein und etwa drei- bis viermal so viel wie bei einem Facharbeiter. Dafür bin ich im Bezirk für 177.000 Mitglieder und mehr als 150 Mitarbeiter verantwortlich.

Erhalten Sie nach einer Tariferhöhung denselben Zuschlag wie alle anderen?

Geiken: Das hängt davon ab, ob die für die Führungskräfte der IG Metall ausgegebenen Ziele erreicht werden. Das war im Jahr 2012 der Fall. Anfang März wird deshalb mein Gehalt um 4,3 Prozent steigen. So viel wurde 2012 ausgehandelt.

Welches Ziel haben Sie erreicht?

Geiken: Es ging vor allem darum, die IG Metall durch neue Mitglieder zu stärken. Im Bezirk Küste haben wir im vergangenen Jahr 9500 Mitglieder aufgenommen und so trotz Kündigungen und Sterbefällen einen Zuwachs um 1500 auf 177.000 Mitglieder erzielt.

Wo gewinnen Sie neue Mitglieder?

Geiken: Sie kommen aus allen Bereichen: Jugendliche, Angestellte und Leiharbeiter zum Beispiel. Besonders auffällig ist, dass dort, wo wir Haustarife vereinbaren, es ein großes Interesse an der IG Metall gibt.

Ist der Flächentarif angesichts des unterschiedlichen Erfolgs der Unternehmen noch zeitgemäß?

Geiken: In der Tat wollten vor einigen Jahren noch viele Unternehmen aussteigen. Diese Diskussion wird nicht mehr geführt. Wir haben an der Küste konstant 230 Firmen, für die der Arbeitgeberverband Nordmetall und die IG Metall verhandeln. Das macht deutlich: Der Flächentarif ist zeitgemäß.

Weil die IG Metall zu gnädig mit den Arbeitgebern umgeht?

Geiken: Nein. Wir verhandeln vernünftig und auf Augenhöhe. Die Arbeitgeber wissen zudem, dass wir bereit sind, in Ausnahmefällen gemeinsam auch Sonderlösungen zu finden.

Gerade jetzt vor den Tarifverhandlungen schwächelt die Wirtschaft insgesamt. Ist es da richtig, auf einen hohen Abschluss zu drängen, um die Binnennachfrage zu stärken?

Geiken: Eine Schwäche der Unternehmen sehen wir nicht. Die Hälfte unserer Betriebsräte rechnet für 2013 mit einem ähnlich guten Jahr wie 2012. Die andere Hälfte sieht zwar Gefahren, glaubt aber nicht an einen Einbruch. Auch die Arbeitgeberverbände sagen: Die wirtschaftliche Lage ist stabil.

Mit welcher Forderung gehen Sie in die Verhandlungen?

Geiken: Nach meiner Einschätzung werden wir auf jeden Fall über fünf Prozent mehr Lohn fordern. Die Lohnerhöhung soll die Inflation - von etwa zwei Prozent - ausgleichen. Die Arbeitnehmer sollen ebenfalls von der steigenden Produktivität, die bei 1,5 Prozent liegt, profitieren. Zudem brauchen wir ein sattes Plus, weil wir damit den Konsum stärken. Ein stabiles Wachstum schaffen wir nur, wenn neben dem Export die Binnennachfrage angekurbelt wird.

Eine Forderung von mindestens fünf Prozent ist die eine Sache. Aber was lässt sich am Ende durchsetzen? Steht dann mindestens eine Vier vorm Komma?

Geiken: Das hängt davon ab, wie es uns gelingt, unsere Mitglieder zu motivieren. 2012 hat das gut geklappt.

Sind Sie auch zu Warnstreiks bereit?

Geiken: Wir werden in der Friedensfrist mindestens zweimal verhandeln. Und es wäre sinnvoll, sich bis Ende April zu einigen. Bisher konnten sich die Arbeitgeber in der Friedensfrist dazu noch nie entschließen. Bleibt es in diesem Jahr dabei, gibt es im Mai Warnstreiks.

Wann beginnen die aktuellen Tarifverhandlungen?

Geiken: Für die Küste am 22. März in Hamburg. Vier Tage vorher werden wir Nordmetall unsere Forderung in der City Nord übergeben - auf einer Kundgebung in unserer gewohnt netten und freundlichen Art.

An der Küste stehen in der Metallbranche vor allem die Werften unter Druck. Wird es den Schiffbau hierzulande in zehn Jahren noch geben?

Geiken: Davon bin ich überzeugt. Unsere Werften haben gute Produkte und gute Leute. Allerdings haben manche auf neue Entwicklungen zu spät reagiert. So gingen zum Beispiel Chancen für Offshore-Aufträge an vielen Schiffbauern vorbei.

Macht es jetzt noch Sinn, sich um Aufträge zu bemühen?

Geiken: Auf alle Fälle. Gerade der Offshore-Bereich wird sich noch stark entwickeln. Bis 2020 sollen sich auf dem Meer 2000 Windräder drehen, bislang stehen hier nur 50. Für den Betrieb werden weitere Schiffe für die Installation der Anlagen, den Transport von Arbeitern oder die Versorgung der Beschäftigten gebraucht. Wir rechnen damit, dass die Offshore-Industrie 10.000 Jobs an der Küste sichern kann. Allerdings nur, wenn die Politik ihr Planungsdesaster in den Griff bekommt, die Finanzierungsprobleme gelöst werden und die Netzanbindung erfolgt.

Das Problem ist nur, dass viele Mittelständler die Flaute durch Auftragsverzögerungen kaum überstehen werden.

Geiken: Das sehen wir genauso. Deshalb wäre es sinnvoll, für die Branche eine Kurzarbeiterregelung einzuführen wie sie in der Krise nach 2008 galt.

Was heißt das konkret?

Geiken: Wir brauchen eine Regelung für 24 Monate. Die Arbeitsagentur müsste dabei einen Teil der Kosten für die Sozialversicherungen übernehmen. Diese Zeit könnte auch gut für die Qualifizierung der Belegschaften für neue Aufgaben genutzt werden. Mit einer großzügigen Kurzarbeiterregelung ließen sich viele Betriebe stabilisieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die insolvente Sietas Werft, die jetzt auf neue Order hofft. Je länger die Belegschaft ohne Kündigungen zusammengehalten werden kann, je länger besteht auch die Chance, neue Aufträge zu finden.

Als positives Beispiel im Schiffbau gilt die Lürssen-Gruppe aus Bremen. Sie hat zuletzt die Norderwerft in Hamburg gekauft und wird zum 1. Mai die Peene Werft in Wolgast übernehmen. Ist Lürssen der Retter?

Geiken: Die Bremer haben eine Zukunftsstrategie. Ihr Ruf bei Marineschiffen und Yachten ist sehr gut. Das Management hält sich an Absprachen. Das spricht für Lürssen. Für uns ist es vor allem wichtig, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben und Lürssen die Tarifbindung einhält.

Zuletzt hat die Gewerkschaft eine Kampagne gegen die Zeitarbeit geführt. Ist damit gleicher Lohn für gleiche Arbeit in allen Betrieben Realität?

Geiken: Davon sind wir weit entfernt. Equal Pay gibt es bisher nur in einer Handvoll Betrieben an der Küste. In den anderen Unternehmen gelten für die Beschäftigten die tariflichen Zuschläge von zehn bis höchstens 50 Prozent. Und selbst hier drücken sich einige Firmen um die Verantwortung. Die Arbeitsagentur hat im Norden 262 Zeitarbeitsfirmen geprüft und 17 die Konzession entzogen. So wurden die Zuschläge mit Sonderzahlungen verrechnet oder die Betroffenen plötzlich in eine andere Lohngruppe eingestuft. Das werden wir aber nicht hinnehmen.

Was planen Sie, dagegen zu unternehmen?

Geiken: Wir werden weitere Fälle sammeln und sie an die Arbeitsagentur weitergeben, die über die Vergabe von Konzessionen für Leiharbeitsfirmen entscheidet. Die Gerechtigkeit darf nicht durch Tricks von Leitarbeitsfirmen ausgehebelt werden. Unser Ziel ist und bleibt es, dass alle Mitarbeiter für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Dafür werden wir uns einsetzen - hier können sich die Arbeitgeber schon einmal warm anziehen.