Hamburger Unternehmen will mit neuem Angebot auf Wachstumskurs bleiben. Zahl der Filialen steigt um drei auf 33 Geschäfte in der Hansestadt.

Hamburg. Mit einem blauen Eiskugelportionierer schabt Nancy Schmidt die Makronenmasse aus einer weißen Plastikschale. Die runde Teigmasse lässt die Konditorgesellin auf ein Blech mit gehobelten Mandeln fallen. Neben ihr steht Kollegin Lisa Lutz. Sie greift die Stücke, wälzt sie in den Mandeln, hebt sie auf ein Backblech, rollt sie zu Stangen und formt sie zu Hörnchen. "Das ist schon körperlich anstrengende Arbeit", sagt Lutz. Rund 400 Mandelhörnchen stellt die Schanzenbäckerei im Schlachthof an der Lagerstraße pro Tag her. Hinzu kommen im Zweischichtbetrieb Tausende Muffins, Rosinenschnecken, Amerikaner, Kuchen - und 2000 Brote sowie 30.000 Teiglinge, die in den Filialen zu Brötchen gebacken werden. "Viele denken, dass wir tiefgefrorene Produkte von Lieferanten beziehen. Aber bei uns ist alles zu 100 Prozent unsere Handarbeit", sagt Gründer und Geschäftsführer Gürol Gür. Am meisten fragen die Hamburger übrigens ein Produkt nach, das seinen Ursprung in der Stadt hat: 6000 Franzbrötchen verkauft das Unternehmen täglich.

Sieben Lieferwagen verteilen die Backwaren auf die 33 Filialen in Hamburg. Allein 2012 eröffnete Gür drei neue Standorte in der Hansestadt und setzte seinen Wachstumskurs der Vergangenheit fort. "Wir haben in den vergangenen Jahren den Umsatz jährlich um zehn Prozent gesteigert", sagt der 48-Jährige. Mittlerweile erlöst das Unternehmen jedes Jahr eine Summe im zweistelligen Millionenbereich.

Dabei hat der gelernte Bauschlosser als Aushilfe in der Branche angefangen. "Ich habe am Wochenende in einer Bäckerei gejobbt", erzählt der Türke, der 1982 in die Bundesrepublik kam. Nach einigen Monaten wird er fest eingestellt und kurz darauf zum Leiter der Backstube ernannt. Ende Januar 1992 eröffnet Gür - ermuntert durch seinen damaligen Chef bei Dat Backhus - den ersten eigenen Laden an der Susannenstraße. In der kleinen Backstube schlägt er sich beim Teigkneten die Nächte um die Ohren, Brötchen, Brot und Gebäck verkauft er tagsüber im etwa 30 bis 35 Quadratmeter großen Geschäft. "Meine zweite Filiale am Schulterblatt hat mir Ende 1993 mein Lieferant finanziert", sagt Gür. Beim Backring Nord bezieht er für 1000 D-Mark pro Woche Waren. "Er war sich sicher, dass ich das schaffe - und er hat im Gegenzug davon profitiert, dass ich mehr Waren bei ihm bestelle." Der Durchbruch gelingt ihm vier Jahre später mit der Filiale an der Feldstraße. "Das war eine Top-1-Lage. Die Umsätze sind deutlich gestiegen. Das hat mir unheimlich Schwung gebracht." Nach der Aufbauphase schafft das Unternehmen den Sprung in die Gewinnzone. "Seit 1997 sind wir profitabel", sagt Gür. Weil er mehr Platz für die Produktion braucht, verlagert er die Backstube ein Jahr später in den Schlachthof auf eine 300-Quadratmeter-Fläche. Die Mitarbeiterzahl wächst stetig, das Filialnetz ebenso - allerdings nur in der Hansestadt. "Hamburg ist meine Heimat, in eine andere Region möchte ich nicht expandieren", lautet Gürs Credo. Im Jahr 2004 zieht er innerhalb des Schlachthofes um. In der neuen, mehr als 1000 Quadratmeter großen Backstube kneten heute drei Maschinen Teig und schieben 30 Bäckergesellen und -lehrlinge die Wagen mit den Blechen in die sieben Backöfen.

Mit der Jahrtausendwende modifiziert er sein Geschäftsmodell. "Wir wollten uns mehrere Standbeine schaffen und neue Erlösquellen erschließen", sagt Gür. Bisher verkauft er nur Backwaren und Kaffee, nun nimmt er kalte und warme Snacks ins Angebot auf. In den Filialen lässt er Bistrobereiche einrichten. Zunächst in Eimsbüttel, seit 2009 ebenfalls im Schlachthof werden zentral in einer großen Küche Salate und Obstschalen sowie warme Mittagsgerichte wie Nudeln mit Pesto oder Couscous vorbereitet und an die Verkaufsstellen geliefert. Snacks werden für die Schanzenbäckerei immer wichtiger. Mittlerweile werden damit rund 30 Prozent des Umsatzes erzielt. Vor allem der Anteil des klassischen Geschäfts ist rückläufig. Machten die Backwaren früher rund 70 Prozent des Umsatzes aus, sind es heute noch rund 40 Prozent. Kaffee und kalte Getränke steuern den Rest bei.

In Hammerbrook testet Gür derzeit seine neue Geschäftsidee. Seit Sommer 2012 verkauft er dort Pizzen. Für 4,90 Euro kann der Kunde zwischen Salami, Hawaii, Funghi oder der vegetarischen Variante wählen. Mittlerweile würden 60 Stück pro Tag verkauft. "Das ist eine ideale Ergänzung für uns: Den Pizzateig stellen wir in unserer Backstube her. Nach und nach wollen wir in allen unseren Filialen Pizzen anbieten", sagt Gür und will dafür tief in die Tasche greifen. Rund 15.000 Euro muss er pro Filiale in die Umgestaltung investieren.

Seine Pläne für die Zukunft sind bescheidener geworden. In diesem Jahr hat er bereits die Filiale am Georgsplatz umgebaut, die Filialen an der Süderstraße und am Baumwall sollen noch ein neues Gesicht erhalten. Im Jahr 2014 will Gür neue Geschäfte in Altona, Stellingen und der HafenCity eröffnen. Umsatzschwächere Standorte will er im Gegenzug schließen, weil der Markt in Hamburg eine Sättigungsgrenze erreicht habe. Bei der Handelskammer sind derzeit 471 Verkaufsstellen in der Stadt aufgelistet. "Wenn ich die anderen Kollegen störe, werde ich nicht glücklich. Den Umsatz wollen wir mit einer konstanten Filialzahl weiter steigern", sagt Gür. Zudem will er sich von einigen Franchisenehmern - zwölf der 33 Filialen werden von Lizenzhaltern betrieben - trennen, mit deren Geschäftsführung er nicht zufrieden ist, und die Läden wieder selbst verantworten. Langfristig helfen sollen dem fünffachen Familienvater dabei seine Kinder. Die ältesten drei arbeiten schon in der auf 260 Mitarbeiter - plus 90 bei den Franchisenehmern - angewachsenen Familienfirma. Gür: "In zehn Jahren könnte ich mir vorstellen, die Führung an die Kinder zu übergeben."

An Aufgaben wird es ihm nicht mangeln. Vor zwei Jahren gründete er die Gürol Gür Bildungsstiftung. "Wir wollen sozialschwachen Migrantenkindern die Berufsausbildung finanzieren", sagt Gür, der seit einigen Jahren auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Bisher habe er für eine Schule den Umbau der Sporthalle finanziert, Kindergärten mit Geldspenden geholfen und 20 Jugendliche zum Kulturaustausch in die Türkei geschickt. Für Gür eine Herzensangelegenheit: "Man muss das Glück auch mit anderen teilen."