Klarierungs-Agent Christian Heinsen und sein Team von PWL betreuen Schiffe und Seeleute fern der Heimat

Hamburg. Christian Heinsen überschreitet die wacklige Gangway vom Getreidespeicher und geht an Bord der "Georgios S.". "Das ist eine ganz andere Welt als die Containerschifffahrt", sagt er. An einer provisorischen Rezeption auf dem Schiff grüßt der Decksmann freundlich und nimmt die Personalien der Besucher auf. Das ist Pflicht. Die "Georgios S.", ein mittelgroßer Massenguttransporter von 225 Meter Länge und 32 Meter Breite, ist ein sogenanntes PanMax-Schiff. Am Silo P. Kruse an der Rethebrücke lädt sie Weizen im Auftrag des Handelshauses Alfred C. Töpfer, der für Ägypten bestimmt ist. Anstelle von Containerbrücken arbeiten Schüttgutkräne über dem Schiff. Einige Tausend Tonnen Getreide lassen sie Tag für Tag mit langen Staubfahnen in die Laderäume der "Georgios S." fallen, 58.000 Tonnen insgesamt sieht der Ladeplan vor. Nach acht Tagen Liegezeit soll der griechische Frachter, der unter liberianischer Flagge fährt, Hamburg wieder verlassen. Am Ende wird es dann doch einige Tage länger dauern, bis die "Georgios S." beladen ist und das Wasser der Elbe hoch genug steht.

Christian Heinsen, 45, kennt die Unterschiede zwischen der Container- und der Massengutfahrt, zwischen Fracht- und Passagierschiffen im Detail und durch Tausende Seeleute. "Vor 22 Jahren habe ich meine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann absolviert und seither immer in der Klarierung von Schiffen gearbeitet. Das ist der interessanteste Teil der Arbeit. Man kommt regelmäßig aus dem Büro heraus", sagt er.

Heinsen geht zwischen den Sicherheitsmarkierungen auf dem Hauptdeck zum Brückenhaus. Die Winterluft ist nasskalt. Wenn es zu regnen beginnt, müssen die Ladeluken sofort geschlossen werden, um das Getreide vor zu viel Feuchtigkeit zu schützen: "Andernfalls hat der Empfänger eine grüne Wiese auf dem Weizen, weil der bei der Ankunft im Zielland längst ausgekeimt ist."

Bei der Hamburger Schiffsagentur Peter W. Lampke (PWL) leitet Heinsen ein zehnköpfiges Team für die Klarierung von Seeschiffen. Fachleute wie er und seine Mitarbeiter sind in den Häfen die wichtigsten Kontaktpersonen für die Seeleute, die wochen- oder monatelang auf dem Meer unterwegs sind. Sie kümmern sich um alle wichtigen Behördengänge, organisieren Ladedokumente und Zollpapiere für den Export oder Import von Gütern, sie fordern die Lotsen und die Schlepper für die Seeschiffe an. Und sie betreuen die Seeleute, regeln nötige Termine bei Ärzten, Taxifahrten vom Flughafen zum Schiff oder retour, sie besorgen Visa, erledigen Bestellungen für persönliche Gegenstände und Waren, die nicht von der Beschaffungsliste der Reederei erfasst werden. "Brennstoff und Proviant organisiert die Reederei selbst. Wir bestellen die kurzfristigen dringenden Dinge für den täglichen Bedarf", sagt Heinsen. Vor allem aber sind er und seine Kollegen während der Liegezeiten willkommene Gesprächspartner an Bord.

Insgesamt rund 10.000 Seeschiffe jährlich laufen den Hamburger Hafen an. Bis zu 200 Massengutfrachter betreuen Heinsen und sein Team im Jahr. Hinzu kommen Container- und Kreuzfahrtschiffe. Jede Kategorie ist anders. Und auch jedes einzelne Schiff mit seiner Mannschaft. Klarierungsagenten erleben die Handelsschifffahrt so, wie sie seit Jahrhunderten ist, in persönlichen Gesprächen und Schilderungen, die kein Funkgerät und kein Internet ersetzen kann. Auf der Brücke trifft Heinsen Kapitän Apostolesco Cornelio, 58, einen Rumänen, der seit 30 Jahren zur See fährt. Die beiden Männer sehen sich zum ersten und vermutlich bereits zum letzten Mal. Auch das ist ein Unterschied zwischen Container- und Massengutfahrt: In der sogenannten Trampschifffahrt für Massengutfrachter und Tanker werden die Schiffe jeweils für eine Reise mit einer Ladung gechartert. Wohin die nächste Fahrt dann führt, weiß eine Besatzung, anders als in der Containerlinienfahrt, erst kurz zuvor. "Ich war fast überall auf der Welt, außer in Nordkorea", sagt Kapitän Cornelio in seinem Blaumann lachend.

Heinsen übergibt ihm einen Satz Seekarten für Nordafrika und Ägypten den er in Hamburg gekauft hat. Aktuelle Karten der Region fehlen im Bestand des Schiffs. Der Kapitän quittiert den Empfang mit seiner Unterschrift und zusätzlich mit einem Stempel. "Manche Reedereien trauen bei der Abrechnung nicht allein der Unterschrift des Kapitäns, deshalb muss der Stempel des Schiffes mit drauf", sagt Heinsen. Anschließend unterhalten sich die Männer auf Englisch, über Aktuelles aus Hamburg und aus anderen Häfen, die Lage auf wichtigen Fahrtrouten, über den Zustand des Schiffs und die Stimmung in der Mannschaft. 22 Seeleute hat Kapitän Cornelio an Bord.

Kaum jemand erfährt aus erster Hand so viele Begebenheiten und Nachrichten wie die Klarierungsagenten. Im Juli war Kapitän Cornelio mit einem anderen Schiff zuletzt im Seegebiet vor Somalia. Marineschiffe eskortierten seinen und weitere Frachter in einem Konvoi durch den von Piraten bedrohten Golf von Aden. Er selbst und seine Besatzungen seien bislang nicht angegriffen worden, berichtet Cornelio. Aber er kenne manchen anderen Kapitän, der nur dank bewaffneter Sicherheitskräfte an Bord unbehelligt durch das gefährliche Gebiet gelangt sei.

Nach einem Kaffee und einer Cola gehen die Männer auf die Brücke. Die "Georgios S." ist ein Veteran von 1987. Womöglich wäre sie von der Reederei längst verschrottet worden, hätte es nicht vor einigen Jahren einen Boom bei Massengutfrachtern gegeben, der den Einsatz aller verfügbaren Schiffe lohnte. So wird die "Georgios S." noch immer in Schuss gehalten und regelmäßig mit der nötigen Klassifizierung, dem Schiffs-TÜV, versehen. Die technische Ausstattung aber verrät das Alter des Frachters. Elektronische Seekarten gibt es auf der Brücke nicht, auch kein Hightech-Cockpit wie auf modernen Containerschiffen. Vor den betagten Armaturen steht ein Steuerrad, daneben zwei Stühle, die aussehen wie Barhocker. Dort sitzen der Kapitän oder der wachhabende Offizier, wenn die "Georgios S." die Leinen losgemacht hat.

Über dem Hauptdeck rauscht das Getreide noch immer aus dem Schüttgutausleger in eine der Ladeluken. Bei Niedrigwasser darf die "Georgios S." am Silo P. Kruse höchstens 12,40 Meter tief gehen, vorgesehen sind für die Fahrt nach Ägypten aber 12,80 Meter Tiefgang. "Das Silo muss einige Tausend Tonnen Weizen am Schluss präzise mit dem auflaufenden Wasser auf das Schiff laden", sagt Heinsen. "Plus minus zehn Prozent" der vorgesehenen Lademenge seien als Toleranzspielraum üblich. "Im Zweifelsfall muss der Frachter noch Tage länger auf höheres Wasser warten. Massengutfrachter sind, logistisch gesehen, in vieler Hinsicht schwieriger als Containerschiffe", sagt Heinsen.

Mit dem Kapitän hat der Agent nach einer Stunde alles Nötige besprochen. Heinsen schlüpft wieder in seine gelb-graue Sicherheitsjacke und macht sich auf den Weg zurück von Bord. Der Decksmann von den Philippinen verabschiedet ihn freundlich. Der Agent geht über die Gangway durch den Getreidespeicher zum Auto, mit dem er wieder in sein Büro in der HafenCity fährt.

Dort warten schon die nächsten Aufträge. Der Agent muss stets flexibel sein. Manchmal rufen ihn Personalagenturen aus Asien nachts zu Hause an, wenn es Fragen zur Besatzung gibt. Manchmal klingelt morgens das Telefon, und er bekommt Nachricht, dass bald darauf ein Frachter für ihn einläuft. Dann geht Heinsen mit seinen Leuten wieder an die Arbeit, um Verbindung zu schaffen zwischen einem Schiff und dem Hafen von Hamburg.