Der Aufbau von Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee kommt nur schleppend voran. Regionalen Häfen und Zulieferern wie Sietas drohen erhebliche Einbußen

Büttel. Für seinen Arbeitgeber Siemens ist Ingolf Pabst schon weit herumgekommen. In Brasilien organisierte der Ingenieur den Aufbau von Stromnetzen mit, auch in China und in Georgien. Seit 2011 verrichtet Papst, 53, Pionierarbeit in der deutschen Provinz. Auf der grünen Wiese in Büttel bei Brunsbüttel entsteht ein Umspannwerk für Offshore-Windparks in der Nordsee, das es so noch nie gab. "In Deutschland spricht man ja heutzutage oft von Stromautobahnen, die Strom aus Windparks von Norden nach Süden bringen sollen", sagt Pabst. "Das hier wäre dann quasi eine der Autobahnauffahrten."

Die Anlage auf 1,3 Hektar Fläche soll nach dem Endausbau im Jahr 2015 die Leistung von mehr als 1000 Windturbinen aufnehmen. Insgesamt könnten später einmal rund 3000 Megawatt installierter Leistung aus Windfarmen vor Helgoland und Sylt an der Station in Büttel hängen - fast viermal so viel Nennleistung wie das benachbarte Atomkraftwerk Brunsbüttel hatte, das 2007 abgeschaltet wurde und das nach dem Beschluss zum Atomausstieg in Deutschland nicht mehr ans Netz geht.

In Büttel steht ein zentrales Element der deutschen Energiewende. Knotenpunkte wie das Umspannwerk sind unverzichtbar, um die erhoffte Windernte vom Meer künftig zu den Stromverbrauchern bringen zu können. Die neuen Anlagen an der Elbmündung zeigen aber auch, wie langsam und mühevoll der Aufbau der Offshore-Windkraft in der deutschen Nordsee vorangeht. Wenn die ersten Blöcke des Umspannwerks fertig sind, speist noch längst keine Windturbine Strom in die beiden Seekabel ein, die aus der Nordsee nach Schleswig-Holstein laufen.

Immer wieder verzögerte sich der Aufbau von Offshore-Windparks in den vergangenen Jahren, obwohl die nötigen Genehmigungen des zuständigen Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg teils schon jahrelang vorliegen. Technologische Probleme beim Aufbau der neuen Infrastruktur, aber auch Engpässe bei der Finanzierung machten frühere Planungen ein ums andere Mal zunichte.

Auch das wird in Büttel deutlich: In Sichtweite des Umspannwerks stehen mehrere Großwindanlagen des Typs Repower 5M, die für den Einsatz auf dem Meer entworfen worden waren. Die erste 5M, seinerzeit einer von nur zwei Typen weltweit mit solcher Leistung, ließ der damalige Repower-Chef Fritz Vahrenholt zu Testzwecken neben dem Atomkraftwerk Brunsbüttel installieren. Das war im September 2004. Seither wurden in deutschen Hoheitsgewässern gerade mal sechs 5M-Turbinen errichtet, im Testfeld "Alpha Ventus" vor der Insel Borkum.

Die Kritik konzentriert sich seit mehr als einem Jahr vor allem auf den Netzbetreiber Tennet. Das niederländische Unternehmen hatte vom deutschen Energiekonzern E.on das Übertragungsnetz unter anderem in Nordwestdeutschland übernommen und ist damit für den Anschluss von Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee zuständig. Ende 2011 schlug Tennet Alarm: Vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise sei es nicht möglich, Milliarden Euro für die nötigen Investitionen in die Landanschlüsse in der erforderlichen Zeit zu organisieren.

Etliche Vertreter aus Politik und Wirtschaft warfen Tennet Versagen vor. Vorschläge für die Wiederverstaatlichung von Stromnetzen machen seit Monaten die Runde. Die Bundesregierung versuchte im vergangenen Jahr, die Lage zu entschärfen. Um Energiekonzernen die Entscheidung für Investitionen in Offshore-Windparks zu erleichtern, veränderte sie das Energiewirtschaftsgesetz. Seit Anfang 2013 greift eine neue Haftungsregelung: Wer einen Windpark vor den deutschen Küsten in einer bestimmten Zeit fertigstellt, aber mangels Landanschluss keinen Strom absetzen kann, erhält befristet bis 2015 einen Großteil des entgangenen Umsatzes erstattet. Die dafür nötige Umlage auf den Strompreis kostet einen Privathaushalt jährlich im Durchschnitt neun Euro zusätzlich.

Tennet gibt sich optimistisch, dass Finanzierungen dadurch erleichtert werden. Offshore-Anschlussprojekte für rund sechs Milliarden Euro will der Konzern in Deutschland realisieren, die Finanzierung von rund drei Milliarden Euro scheint derzeit gesichert. Anfang Januar präsentierte Tennet-Deutschland-Chef Lex Hartmann überraschend den japanischen Mitsubishi-Konzern, der 576 Millionen Euro in deutsche Tennet-Projekte investieren will. Der Markt sei in Bewegung, sagte Hartmann: "Wir haben den Eindruck, dass viele Kapitalgeber sich jetzt intensiv damit befassen. Wir reden mit vielen." Vorsorglich dämpfte auch er die Erwartungen an den Ausbau von Offshore-Windparks bis zum Jahr 2020, die allgemein längst als überholt gelten: "Wir müssen uns realistische Ziele setzen, Windparks und Offshore-Netze synchron planen und das alles mit dem Netzausbau an Land abstimmen. Sonst kostet es die Bürger viel zu viel Geld."

Energiekonzerne wie RWE, EnBW und Dong verschoben im Jahr 2012 geplante Windparkprojekte in der deutschen Nordsee, weil ihnen Tennet keinen sicheren Netzanschluss garantieren konnte. Bei bis zu elf Nordsee-Windparks könnte sich der Anschluss aus heutiger Sicht verzögern. Ob der Einstieg von Mitsubishi als Co-Investor bei den Landanschlüssen die Lage entspannt, muss sich erweisen. RWE etwa will seinen Offshore-Windpark Nordsee Ost nordwestlich von Helgoland über die Tennet-Station in Büttel an das Landnetz anschließen. Wann das Kraftwerk auf See gebaut wird, ist nach dem Scheitern der früheren Planung aber völlig unklar. "Der ursprüngliche Termin für den Netzanschluss von Nordsee Ost war Mitte 2012. Nach wie vor hat RWE Innogy keinen verbindlichen Termin von Tennet bekommen", sagt RWE-Innogy-Sprecher Konrad Böcker. "Wir gehen davon aus, dass RWE Innogy durch Verzögerungen beim Netzanschluss von Nordsee Ost ein dreistelliger Millionenbetrag aus entgangenen Einnahmen und Mehrkosten für das Projekt entsteht. Wir halten uns den Klageweg weiter offen."

Nicht nur für die Energiekonzerne, vor allem auch für die regionale Wirtschaft an der deutschen Nordseeküste steht viel auf dem Spiel. Werften wie Sietas in Hamburg oder die Nordseewerke in Emden haben sich auf den Offshore-Markt konzentriert, um die schlechte Auftragslage im klassischen Schiffbau zu überstehen. Sietas baut derzeit ein Errichterschiff für den Aufbau von Windturbinen, bestellt hat es Ende 2010 der niederländische Konzern Van Oord. Den erhofften Auftrag für ein Schwesterschiff verschob Van Oord aber einstweilen, nachdem EnBW seinerseits den Bau des Offshore-Windparks "Hohe See" zunächst gestoppt hatte - Tennet kann dem Energiekonzern keinen Termin für einen Landanschluss in der gewünschten Frist garantieren.

Der Sietas-Werft, die seit Februar 2012 im Insolvenzverfahren steht, droht der Niedergang ebenso wie den inzwischen gleichfalls insolventen Nordseewerken. Die Werft in Emden hatte den Schiffbau 2010 aufgegeben, um fortan Stahlfundamente für Offshore-Windkraftwerke zu fertigen. Auch dort fehlen nun Anschlussaufträge. Bei dem Traditionsunternehmen stehen bis zu 750 Arbeitsplätze auf der Kippe. "Die verpatzte Energiewende gefährdet Tausende Arbeitsplätze in Norddeutschland", beklagt die Industriegewerkschaft IG Metall.

Auch für die norddeutschen Häfen wird die Planung schwieriger. Die Aussichten auf einen boomenden Offshore-Markt haben die Hafenunternehmen in Städten wie Cuxhaven, Brunsbüttel oder Bremerhaven in den vergangenen Jahren beflügelt. Nun stehen auf den neuen Offshore-Terminals, etwa in Bremerhaven, Millionen Euro teure Ausrüstungen und Windturbinen, die auf See nicht wie geplant installiert werden können. In Cuxhaven zog der Baukonzern Strabag kürzlich Pläne für den Bau einer 300 Millionen Euro teuren Werftfabrik zurück, in der Offshore-Fundamente und Spezialschiffe gefertigt werden sollten. "Die Stimmung in der Wirtschaft hat sich gedreht, viel Optimismus ist verflogen", sagt ein Hafenmanager, der im Januar an einem Offshore-Kongress in Hannover teilgenommen hat.

Ingolf Pabst hingegen wirkt voller Zuversicht. Beim Gang durch das Unspannwerk in Büttel erklärt der Ingenieur die komplexe Technik mit ihren Transformatoren, Leitungen und Kühlsystemen. "Die Anlage hier ist bei Bedarf und entsprechend den schwankenden Windstromeinträgen sehr schnell am Netz oder davon weg", sagt Pabst in einer der Hallen. In den Windparks auf See wird der Strom gesammelt und dann auf dem Meer in einer Spezialplattform von Wechselstrom in Gleichstrom umgewandelt. An Landstationen wie in Büttel folgt die Rückwandlung in Wechselstrom und die Einspeisung ins Netz. Gleichstrom lässt sich über längere Strecken mit weniger Verlust übertragen als Wechselstrom. Jeder einzelne "Strang" von der Plattform auf See bis zum einzelnen Block im Umspannwerk kostet etwa eine Milliarde Euro. Die zweifache Umwandlung des Stroms rentiert sich besonders dann, wenn ein Windpark mehr als 60 oder 70 Kilometer von der Küste entfernt ist.

Vor allem die Plattformen für den Einsatz auf See bereiteten Siemens technische Probleme und Verzögerungen. Teils musste der Konzern für die Anlagen finanzielle Rückstellungen bilden. Die Werft Nordic Yards in Wismar und in Rostock-Warnemünde baut die Stahlgehäuse und die Fundamente. Siemens richtet die Plattformen ein, mit Elektrotechnik, die so komplex und teurer ist wie die in der Reinraumfertigung von Computer-Halbleiterchips. Die Plattformen sollen im rauen Seeklima jahrzehntelang arbeiten, ohne dass es durch Korrosion zu Kurzschlüssen kommt. "Für solche Anlagen gibt es keine Vorbilder", sagt Pabst, "weil bislang kein Land versucht hat, Tausende Windturbinen in teils mehr als 40 Meter Wassertiefe ins Meer zu stellen."

Pabst ist mit seinem Team bei dem Umspannwerk in Büttel im Zeitplan. Ob er bis zur letzten Ausbaustufe 2015 bleibt, weiß er allerdings noch nicht: "Das hängt auch davon ab", sagt er, "ob mich mein Chef vorher zu einem neuen Projekt nach Kanada schickt."