Im kommenden Jahr steigen die Strompreise in Deutschland deutlich. Das Interview mit Greenpeace-Geschäftsführer Hipp über die Energiewende.

Hamburg. Die Bundesbürger müssen im kommenden Jahr deutlich mehr für ihren Strom bezahlen. Offizieller Grund der Versorger ist die Energiewende. Greenpeace-Geschäftsführer Roland Hipp hält diese Argumentation für vorgeschoben. Für ihn gibt es keine Alternative zu Strom aus Wind, Wasser und Sonne. Auch privat.

Hamburger Abendblatt: Herr Hipp, wie hoch ist Ihre Stromrechnung im Monat?

Roland Hipp: Wir zahlen für zwei Personen und fünf Katzen rund 70 Euro.

Haben Sie auch schon - wie Hunderttausende Haushalte in Hamburg - eine Mitteilung über eine Preiserhöhung zum Jahreswechsel bekommen?

Hipp: Ja, bei mir steigen die Kosten um genau acht Prozent.

Von wem beziehen Sie Ihren Strom?

Hipp: Von Greenpeace Energy.

Und wechseln Sie nun wegen des gestiegenen Preises Ihren Anbieter?

Hipp: Nein, auf keinen Fall. Ich bin von dem Ökostrom bei Greenpeace Energy voll überzeugt. Zudem habe ich diesen Energieversorger einst selbst mitgegründet.

Können Sie die Menschen verstehen, die sich über die deftigen Preiserhöhungen der Energieversorger zum Jahreswechsel aufregen?

Hipp: Selbstverständlich kann ich den Unmut der Menschen verstehen. Aber wenn es um die ökologische Energiewende geht, müssen wir das Große und Ganze im Blick haben. Zudem ist es ein Irrglaube, dass die Preiserhöhungen auf die Energiewende zurückzuführen sind. Das Gegenteil stimmt. Die erneuerbaren Energien sind die einzigen, die noch bezahlbar sind. In Energiequellen wie Kohle- und Atomkraft hat Deutschland seit dem Jahr 1970 rund 400 Milliarden Euro an Vergünstigungen und Subventionen gesteckt. Für die regenerativen Alternativen waren es im gleichen Zeitraum nur 30 Milliarden Euro. Es wird von bestimmten Leuten immer so getan, als sei die Energiewende teuer, dabei sind Atom- und Kohlekraft viel kostspieliger.

Der Großteil der Kosten für die grüne Energiewende wird dennoch dem privaten Stromkunden aufgebürdet. Für viele Unternehmen gibt es dagegen Kostenbefreiungen. Ist das gerecht?

Hipp: Die Befreiungen für deutsche Unternehmen haben einen Grad erreicht, der aus meiner Sicht nicht mehr in Ordnung ist. Einst sollten 640 Firmen von Ausnahmeregelungen profitieren, nun sind es schon mehr als 2000. Wir sind der Meinung, dass nur Unternehmen befreit werden sollten, deren Energienanteil an den Gesamtkosten bei mindestens 20 Prozent liegt und die im internationalen Wettbewerb stehen. Warum müssen zum Beispiel der Braunkohletagebau in der Lausitz, Flughäfen oder Golfplätze von den Ausnahmeregelungen profitieren? Das verstehe ich nicht. Würde man die Befreiungen nach unseren Vorstellungen reduzieren, könnte der Strompreis für den Privatkunden sofort um 1,4 Cent je Kilowattstunde sinken.

Einige Politiker sprechen sich bereits dafür aus, dass sozial Schwächere einen staatlichen Zuschuss zur Stromrechnung bekommen. Was halten Sie davon?

Hipp: Sicherlich muss man über einen solchen oder ähnlichen Schritt als sozialpolitische Maßnahme nachdenken.

Werden die Bürger mit der Energiewende nicht finanziell überfordert? Schon heute muss eine Familie mit zwei Kindern rund 100 Euro im Monat für Strom bezahlen.

Hipp: Noch mal: Die Energiewende wird zum Sündenbock gemacht. Die Preiserhöhungen sind vor allem die Folge von Versäumnissen in der Vergangenheit. Die Versorger haben in den vergangenen Jahren kaum noch in die Stromnetze investiert. Die jetzt geplanten Ausgaben für neue Trassen sind überfällig, hätten ohnehin kommen müssen. Sie haben mit der Energiewende nur am Rande zu tun. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, wenn die Netze wieder in staatliche Hand kämen. Denn die privaten Investoren sind nur an einer schnellen Rendite interessiert.

Bis 2022 sollen alle Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Ist dieses Ziel mit Blick auf die vielen aktuellen Probleme überhaupt noch realistisch?

Hipp: Auf jeden Fall. Wir könnten sogar schon 2015 aussteigen, wenn Politik und Wirtschaft die Energiewende ernsthaft vorantreiben würden. Wir dürfen nicht vergessen, dass es zum Ausstieg keine Alternative gibt. Die Katastrophe von Fukushima sollte auch dem letzten Befürworter der Atomkraft die Augen geöffnet haben: Diese Energieform ist von Menschen nicht beherrschbar. Und fossile Brennstoffe wie Kohle können mit Blick auf den rasant fortschreitenden Klimawandel nicht die Alternative sein.

Die Bundesregierung setzt bei regenerativer Energie vor allem auf Offshore-Windparks auf See. Ist das angesichts der technischen Probleme sinnvoll?

Hipp: Die Offshore-Technologie ist ein Baustein der Energiewende. Sie sollte durch weitere Windkraftanlagen an Land ergänzt werden - auch in Bayern und Baden-Württemberg gibt es hier noch großes Potenzial. Hinzu kommt der Ausbau der Solarenergie. Selbst wenn die Solarpanels künftig vorwiegend aus Asien kommen sollten, bleibt die Wertschöpfung durch den Aufbau und die Wartung in der Region.

Neben den aktuellen Kosten für neue Netze, stellt sich mit Blick auf den Atomausstieg die Frage: Wer bezahlt den teuren Abbau der Meiler, die Endlagersuche, die Atommülltransporte? Wird am Ende wieder der private Stromkunde zur Kasse gebeten?

Hipp: Nein, dafür haben die großen Energieversorger Rückstellungen in Höhe von 30 Milliarden Euro gebildet.

Und Sie glauben ernsthaft, dass dieses Geld in zehn Jahren noch da ist und dann tatsächlich für die Kosten des Ausstiegs verwendet wird?

Hipp: Auch wir halten die großen Energieversorger nicht für wirtschaftlich stabil. Deshalb fordern wir seit Langem, dass die 30 Milliarden Euro in einen Fonds eingezahlt werden, über den der Staat bestimmen kann.

Das haben Sie schon gefordert, als Ihre befreundete Partei, die Grünen, in der Regierungsverantwortung war ...

Hipp: Zunächst einmal sind die Grünen weder Freund noch Feind. Wir streiten uns mit ihnen genauso wie mit anderen Parteien. Greenpeace ist parteipolitisch unabhängig. Zudem wird eine Forderung nicht falsch, nur weil sie nicht umgesetzt wird.

Aber sie ist unrealistisch.

Hipp: Das bleibt abzuwarten.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hat jüngst als Folge der Energiewende vor Strom-Blackouts in diesem Winter gewarnt. Panikmache oder realistisches Szenario?

Hipp: Herr Rösler betreibt hier aus meiner Sicht sogar mehr als Panikmache. Sowohl die Bundesnetzagentur als auch die Bundesregierung, der Herr Rösler ja angehört, haben jüngst die Sicherheit des deutschen Stromnetzes festgestellt. Herr Rösler sollte sich als Wirtschaftsminister lieber um neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in diesem Land kümmern - und die entstehen durch erneuerbare Energien. Auch ihre Kritiker sollten die Energiewende endlich als große Chance und einen Exportschlager für Deutschland verstehen und in diesem Zusammenhang nicht immer nur von Problemen reden.