Riesensoftdrinks, süßes Brot und Müsli. Ungesunde Kalorienbomben mit Zucker kommen in Verruf. Firmen verdienen gut daran.

Hamburg. Ein ganz normales Wochenende im Cinemaxx-Kino am Dammtor. Auf der großen Leinwand hechtet James Bond über die Dächer von Istanbul, im Saal machen es sich die Zuschauer mit Popcorn und Limo bequem. 0,5 Liter Cola, Sprite oder Fanta sind es mindestens, die die Besucher der Hamburger Kinokette in sich hineinschütten, kleinere Mengen hat das Unternehmen gar nicht im Programm.

Wer möchte, kann seinen Durst auch mit einem 1,5-Liter-Drink im Riesenbecher löschen. Umgerechnet 54 Stück Würfelzucker nimmt er dann zu sich. Da ist dann das Popcorn im bis zu sechs Liter großen Eimer noch gar nicht mit drin. Trotzdem sind solche Monsterportionen bei den Filmfans ausgesprochen beliebt.

In New York will Bürgermeister Michael Bloomberg solchen Riesenportionen jetzt endgültig den Garaus machen. Von März kommenden Jahres an sollen in Restaurants, Fast-Food-Ketten und Filmtheatern zuckerhaltige Drinks nur noch in Bechern ausgeschenkt werden, die höchstens 16 Unzen, also knapp einen halben Liter, fassen. Auf diese Weise möchte der Bürgermeister gegen den übermäßigen Zuckerkonsum und das damit verbundene Übergewicht vorgehen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat sich nämlich längst auch zum Land der unbegrenzten Kleidergrößen entwickelt - mit immer größeren Folgen für das Gesundheitssystem.

58 Kilogramm Zucker und süßen Maissirup vertilgen die Amerikaner pro Kopf und Jahr - so viel wie kaum ein anderes Volk auf der Erde. Davon sind die Deutschen mit einem Konsum von 35 Kilo glücklicherweise noch weit entfernt, doch auch hierzulande nimmt der Durchschnittsbürger noch immer doppelt so viel Zucker zu sich, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt.

Vor allem durch den übermäßigen Konsum der süßen Softdrinks steige das Risiko für Übergewicht und auch Diabetes, sagt eine DGE-Sprecherin dem Abendblatt. 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen gelten laut einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts schon heute in der Bundesrepublik als zu dick, jeder Fünfte gar als krankhaft fettleibig oder "adipös".

Insofern halten es Verbraucherschützer wie die Organisation Foodwatch zumindest für erwägenswert, eine ähnliche Restriktion für zuckerhaltige Drinks auch hierzulande einzuführen. Die wesentlich größere Gefahr geht laut Foodwatch allerdings von all den versteckten Zuckerfallen aus, die die Industrie dort auslegt, wo der Kunde diese gar nicht vermutet. Der süße Stoff verbirgt sich nämlich in Brot und Ketchup ebenso wie in panierten Schnitzeln, Apfelrotkohl, Pizzas, Nudeln und Joghurts.

Es ist 12 Uhr mittags in der Brotfabrik der Harry GmbH in Schenefeld: Aus einem wagenradgroßen Edelstahlbottich quellen etwa 300 Kilogramm Teig, werden von automatischen Messern in handliche Stücke zerteilt und danach in einen langen Ofen geschoben. Heraus kommen einheitlich große, helle Toastbrote, rund 5000 Stück in der Stunde. Es duftet intensiv und süß nach geschmolzener Butter. Eine der Zutaten in den riesigen Bottichen ist immer auch Zucker. Knapp 20 Gramm oder umgerechnet sechs Stück Würfelzucker stecken in einem handelsüblichen Laib Buttertoast, bei Vollkorntoast sind es immerhin noch 16 Gramm. "Bei Toast setzen wir stets Zucker ein, weil die darin enthaltene Hefe diesen quasi als Nahrung benötigt", sagt Unternehmensprecherin Karina Alikhan. Doch auch in diversen Vollkornbroten kommt der süße Stoff zum Einsatz. "Das machen wir aus geschmacklichen Gründen, weil manche Verbraucher die Brote sonst als zu sauer empfinden", sagt Alikhan. Letztlich komme man nur dem Kundenwunsch nach.

Ähnlich sieht es auch bei dem Frühstücksflockenhersteller Kölln in Elmshorn aus. Wer etwa ein Knusper Joghurt Himbeer-Müsli zu sich nimmt, das das Unternehmen aufgrund seines um 30 Prozent abgesenkten Fettgehalts als "besonders leichtes Frühstück" bewirbt, verleibt sich pro Schale immer auch ein Fünftel Zucker mit ein. Keine Seltenheit bei fettreduzierten Produkten, die auf den süßen Stoff angewiesen sind, weil das Fett als Geschmacksträger ausfällt.

Aus Sicht der Verbraucherschützer steckt dahinter ein ganz simples Kalkül. "Die Industrie hat erkannt, dass sich zuckerreiche Lebensmittel besser verkaufen als gesunde", sagt Foodwatch-Sprecher Andreas Winkler. "Es geht um einen möglichst hohen Profit." Wissenschaftler haben für den Heißhunger auf die Substanz C{-1}2H22O2 eine durchaus plausible Erklärung. "Zucker erzeugt im Gehirn die gleichen Aktivitätsmuster wie süchtig machende Drogen", sagt Anthony Sclafani, Professor für Psychologie am Brooklyn College in New York. Wer davon esse, bekomme Appetit auf mehr, erläuterte der Experte jüngst in einem Gespräch mit dem "Spiegel".

Anders als Fette, Eiweiße oder komplexe Kohlenhydrate, die im Darm zunächst aufgespalten werden müssen, gelangt der Stoff zudem auf direktem Weg ins Blut. Der Blutzuckerspiegel schnellt in die Höhe und fällt, reguliert durch das Hormon Insulin, auch ebenso schnell wieder, worauf der Hunger zurückkehrt. Wer Zucker zu sich nimmt, will also immer mehr essen. Gut für die Industrie, schlecht für den Wohlstandsmenschen, der sich am übermäßigen Nahrungsangebot überfrisst.

Für Foodwatch sind vor allem kalorienreiche Frühstücksflocken für Kinder ein ausgesprochenes Ärgernis. "Die Industrie hat es geschafft, Getreideflocken - ein an sich gesundes und ausgewogenes Produkt - in eine Pampe aus Mehl und Zucker zu verwandeln", so Sprecher Winkler. Ein Marktcheck mit insgesamt 143 untersuchten Produkten ergab, dass in jeder zweiten Packung mindestens 30 Prozent des süßen Stoffs stecken. Ginge es nach den Verbraucherschützern, dann sollte der Zuckergehalt in Frühstücksflocken für Kinder auf maximal zehn Prozent per Gesetz begrenzt werden.

Solche Beschränkungen fürchten die Lebensmittelhersteller freilich wie der Teufel das Weihwasser und bemühen sich daher, von sich aus für eine Verbesserung ihrer Produkte zu sorgen. So kündigte der Nahrungsmittelkonzern Nestlé im Oktober öffentlichkeitswirksam an, den Zuckergehalt in Cinni Minis, Lion-Cereals oder im Nesquick-Knusperfrühstück auf maximal 28 Prozent senken zu wollen. Was dem Konzern allerdings nur die spitze Bemerkung der Verbraucherschützer einbrachte, Nestlé serviere Kindern nun nicht mehr Doppelschokokekse, sondern nur noch Kuchen zum Frühstück.

Auch der Elmshorner Hersteller Kölln verweist darauf, dass man schon vor Jahren damit begonnen habe, den Zuckergehalt in den eigenen Müslis abzusenken. Darüber hinaus möchte man sich aber von der "Verteufelung" von Zucker und der Diskriminierung bestimmter Lebensmittel distanzieren.

Die Kinokette Cinemaxx hält Verbote für den grundsätzlich falschen Ansatz und will nicht für dicke Kinder und Erwachsene verantwortlich gemacht werden. "Ein Softdrink - und seien es 1,5 Liter - den man sich bei einem Kinobesuch gönnt, wird kein Übergewicht verursachen, wenn man sich ansonsten ausgewogen ernährt und auf regelmäßige Bewegung achtet", sagt Sprecherin Ingrid Breul.

Ein wirkliches Eingreifen der Politik haben die Hersteller aber ohnehin nicht zu fürchten. Verbraucherministerin Ilse Aigner(CSU) hat bereits erklären lassen, dass sie limitierte Bechergrößen bei Softdrinks eher für Symbolpolitik hält und sich Strafsteuern für Cola oder Chips als unwirksam erwiesen hätten.

Dies sieht man freilich nicht überall so. Die Franzosen haben Anfang dieses Jahres eine höhere Steuer auf zuckerhaltige Erfrischungsgetränke wie Cola eingeführt und diskutieren nun heftig über die sogenannte Nutella-Steuer. Damit sollen sich alle Produkte verteuern, die das besonders fettreiche und damit ungesunde Palmöl enthalten. Dazu zählen Schokoriegel, Kekse und eben auch die beliebte Nougatcreme. 40 Millionen Euro soll die Abgabe in die marode Staatskasse spülen - und zu einer gesunderen Ernährung beitragen.