Die börsennotierte Derby Cycle AG wird bald komplett von Niederländern kontrolliert. Die Produktion in Niedersachsen soll ausgebaut werden.

Cloppenburg. Immer wieder drückt die Maschine den Sattel nach unten, die Federn krümmen sich unter einer Kraft, die den Druck eines 120 Kilo schweren Radfahrers auf den Fahrradsitz simuliert. "Das muss der Sattel insgesamt 200 000-mal aushalten", sagt Mathias Seidler, als er beim Rundgang durch die Fahrradfabrik von Derby Cycle im niedersächsischen Cloppenburg das Testlabor zeigt.

Hier rollen Reifen Tausende Kilometer über simulierte Holperstrecken, muss der Carbon-Rahmen seine Festigkeit beweisen, werden Bordsteine unbarmherzig überfahren, und die Federung muss dennoch halten. "Die Herausforderungen im Fahrradbau sind weltweit immer dieselben", sagt Vorstandschef Seidler: "Sie müssen eine gleichbleibende Qualität garantieren, und das bei einer geringen Automatisierung", erzählt der Manager mit Blick darauf, dass menschliches Versagen wohl häufiger vorkommt als Fehler bei der Arbeit von Maschinen.

Rund 600 Mitarbeiter bauen bei Derby Cycle in großen Hallen bis zu 3500 Fahrräder am Tag zusammen, sie drehen Schrauben an, passen von Hand die Speichen ein und kleben die Markenlogos auf die Rahmen. Die große Bedeutung der manuellen Fertigung ist Folge des Variantenreichtums: Wer Trekkingräder, Rennmaschinen und Mountainbikes in schneller, wechselnder Abfolge produziert, kann nicht ständig die Maschinen neu programmieren, sondern muss auf mitdenkende und flexible Mitarbeiter setzen. Auch im Hochlohnland Deutschland.

Seidler ist Kaufmann, er hat Betriebswirtschaft in Münster und Großbritannien studiert und damit den finanziellen Erfolg des Unternehmens im Visier; aber gleichzeitig lebt der sportliche Manager bei Derby Cycle auch sein Hobby. Schon als Jugendlicher stieg er in jeder freien Minute aufs Rad, gewann sogar die Norddeutschen Meisterschaften.

Womöglich auch als Verdienst des besonders leidenschaftlich mit der Branche verbundenen Chefs scheint Derby Cycle die Hürden der Radfertigung besser zu überwinden als viele Konkurrenten. Der Hersteller schafft es nach wie vor, seine Marken wie Kalkhoff und Focus zum großen Teil "made in Germany" anzubieten. Das Geheimnis des Erfolgs ist eine Premiumstrategie: Kunden kaufen immer mehr höherwertige Fahrräder mit entsprechend besserer Ausstattung, sodass auch der Durchschnittspreis, den Händler für Derby-Cycle-Produkte ausgeben, in den vergangenen zwei Jahren von 411 Euro auf 488 Euro gestiegen ist. Die Gruppe konnte dadurch ihre Umsätze in den vergangenen Jahren erheblich steigern und erlöste im zurückliegenden Geschäftsjahr 235,5 Millionen Euro. Auch das Ergebnis konnte Derby Cycle stets verbessern. Dagegen haben ehemalige Wettbewerber wie Kynast, Sprick, Fischer oder Vaterland ihre Produktion in Deutschland unter anderem wegen des Preiskampfs mit Herstellern aus Asien längst aufgeben müssen oder sind in die Insolvenz gegangen. Als ernst zu nehmender Wettbewerber mit Sitz in Deutschland gilt nur noch die Mifa AG, die 2011 einen Umsatz von gut 100 Millionen Euro machte.

Die Qualitäten der Derby Cycle AG, die Anfang des vergangenen Jahres an die Börse ging, reizen nun auch immer mehr Investoren. Nach dem feindlichen Übernahmeversuch des Fahrradherstellers Accell (Batavus, Sparta) steht nun der Mobilitätskonzern Pon, ebenfalls aus den Niederlanden, kurz vor dem vollständigen Kauf von Derby Cycle. Es ist übrigens ein weiteres Kapitel in der ohnehin wechselvollen Geschichte des Unternehmens: Die Marke Kalkhoff hat in Cloppenburg eine fast 100-jährige Tradition. Das Unternehmen Neue Kalkhoff Werke wurde 1988 zusammen mit der Marke Kalkhoff von der neu gegründeten Derby Cycle Werke GmbH übernommen.

In der Gegenwart wird die Derby Cycle AG bald ihre Eigenständigkeit verlieren, wenn die restlichen Aktionäre das Angebot von Pon annehmen und ihre Anteilscheine für 31,56 Euro je Aktie verkaufen. Die Niederländer besitzen bereits mehr als 95 Prozent an Derby Cycle.

Steht mit dem Kauf durch den Konzern, der neben Automobilaktivitäten auch Rad-Marken wie Gazelle im Portfolio versammelt hat, erneut ein deutscher Fahrradbauer vor der Zerschlagung? Seidler tritt derartigen Befürchtungen selbstbewusst entgegen. Der in Hamburg geborene Manager versichert, dass der Standort in Norddeutschland durch die niederländischen Eigentümer weiter gestärkt werde, und holt einen weiteren Trumpf aus dem Ärmel: Derby Cycle spezialisiert sich mehr und mehr auf E-Bikes und damit auf den wichtigsten Zukunftsmarkt in der Fahrradbranche. Im vergangenen Geschäftsjahr verkaufte der Hersteller 87 000 Elektroräder. Zum Vergleich: 310 000 E-Bikes wurden 2011 in Deutschland verkauft, in diesem Jahr sollen es rund 400 000 werden. Das wäre ungefähr jedes zehnte verkaufte Rad. Das Interessante an der Elektroradfertigung ist die höhere Marge: Die E-Bikes kosten im Schnitt 1500 bis 2000 Euro und sind neben der aufwendigen Antriebstechnik mit höherwertigen Bremsen, Lichtanlagen und Steuerungen ausgestattet.

Seidler ist überzeugt, die E-Bike-Fertigung nicht nur in Cloppenburg halten, sondern ausbauen zu können, weil Deutschland für diese Räder der wichtigste Markt in Europa ist. Als Zielgruppen sieht er längst nicht mehr nur ältere Kunden, die mit einem batteriebetriebenen Rad ihre Mobilität erhalten wollen. Sondern auch jüngere Fahrer, die ihre Reichweite ausdehnen und das Rad etwa auf Fahrten zur Arbeit einsetzen wollen, anstatt das Auto zu nehmen. Für Seidler selbst kommt das Elektrorad derzeit allerdings nicht infrage. "Mein 13-jähriger Sohn hat mir strikt verboten, auf gemeinsamen Radtouren ein E-Bike zu nehmen", sagt Seidler lachend, er bestehe auf gleichen Chancen für alle.