Der Marktführer aus Lauenburg baut Maschinen für die Pharmaindustrie. Indien und China gelten für das Unternehmen als Märkte der Zukunft

Lauenburg. Alles noch einmal von vorne. Neu denken. Alles infrage stellen, das ist das Erfolgsrezept von Olaf Müller bei Fette Compacting. Der 46-Jährige hat Anfang 2009 den Platz auf dem Chefsessel des Herstellers von Pharmamaschinen übernommen. Und seitdem verändert der Chemieingenieur in dem Unternehmen, das jede zweite Tablettenmaschine auf der Welt herstellt, fast alles.

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Der Mittelständler Fette Compacting muss ständig reagieren auf die Globalisierung der Pharmaindustrie. Mit seiner kleinen Revolution beim größten Industriearbeitgeber des Herzogtums Lauenburg hat Müller Erfolg: Die Aufträge sind im vergangenen Jahr um fast ein Viertel gestiegen, die Gruppe erreichte das beste Jahr ihrer Firmengeschichte.

Die Veränderungen in dem Unternehmen am Rande des Sachsenwaldes fallen dem Besucher sofort ins Auge: So weichen die wabenartigen und geschlossenen Arbeitsräume im Verwaltungsgebäude modernen Großraumbüros. In der Produktion herrscht neuerdings ein ähnliches Prinzip der Aufgeräumtheit und Übersichtlichkeit wie in den Fabriken internationaler Autokonzerne. Helle Böden in dem Werk zwingen zur Sauberkeit, und ein ausgeklügeltes System des Teilenachschubs mit Kunststoffkörben direkt an den Montageplätzen verkürzt die Wege, welche die Mitarbeiter während des Zusammenbaus der Pressen zurücklegen müssen. So schaffen sie mehr Maschinen in kürzerer Zeit.

Und selbst die produzierten Anlagen zur Herstellung von Tabletten, das Herzstück der Fette Compacting, haben eine radikale Veränderung in Aussehen und Funktion hinter sich: Runde Formen aus Kunststoff statt Ecken und Kanten aus Stahl prägen das äußere Erscheinungsbild der Automaten. Außerdem sind die Pressen seit Kurzem so konstruiert, dass man sie mit ein paar Handgriffen auseinandernehmen kann, ohne Werkzeug, ohne viel Kraftaufwand, ohne Spezialwissen.

"Jeder Mitarbeiter bei unseren Kunden soll so eine Maschine bei Problemen in ihre Einzelteile zerlegen können, ohne dass wir uns erst mit eigenen Servicekräften einschalten müssen", sagt Olaf Müller über die Fette-Pressen, die meist Tausende Kilometer von ihrer Geburtsstätte Schwarzenbek entfernt eingesetzt werden: Fette-Maschinen produzieren in allen Erdteilen täglich Millionen von Medikamenten, bei Pharmafabriken wie Bayer oder Ratiopharm. Können die Anlagen auch in Fernost oder Afrika schnell repariert werden, erspart das den Konzernen teure und lange Zwangspausen.

Der kreative neue Chef hat bei Fette Compacting kaum einen Stein auf dem anderen gelassen, und das in einer ohnehin unruhigen Zeit für die Firma. "250 von 1100 Mitarbeitern mussten vor drei Jahren das Unternehmen verlassen", sagt Müller. Inzwischen sind wieder 900 Beschäftigte angestellt, sie haben sichere Arbeitsplätze.

Die Finanzkrise, aber auch neue Eigentumsverhältnisse und Wechsel im Management hatten die Firma 2009 vor große Herausforderungen gestellt. Fette Compacting in Schwarzenbek gehört seitdem wie die benachbarte Werkzeugfabrik zur LMT-Gruppe mit Sitz im schwäbischen Oberkochen. Eigentümer ist die Familie Bengel, die an dem norddeutschen Standort, dem industriellen Zentrum der Gruppe, in den vergangenen drei Jahren mehr als 20 Millionen Euro investiert hat. Die Eigentümer glaubten an die Maschinenexperten im Norden, das Know-how war hier immer vorhanden, nur hatten sich die Rahmenbedingungen etwa mit neuen Konkurrenten aus Asien und mit der Finanzkrise gewandelt.

Müller, ein Manager mit jahrelanger Erfahrung beim größten deutschen börsennotierten Maschinenbauer gea, brachte sein Wissen aus dem Großkonzern mit zum Mittelständler Fette Compacting. "Wir definierten die Ziele neu", beschreibt Müller seine Strategie. Statt der produzierten Stückzahl sollte nun die Effizienz einer Maschine über deren Güte entscheiden. "Bei der Pharmaindustrie gibt es einen riesigen Nachholbedarf in Sachen Effizienz", sagt Müller.

Die Produktivitätsfortschritte, welche die Autobauer in den vergangenen Jahrzehnten schon gemacht hätten, stünden bei den Medikamentenherstellern jetzt erst an. Der Kostendruck in der Gesundheitsbranche und die Entwicklung in den Schwellenländern, treiben sie dazu an. Entwickelte Märkte wie die USA und Europa würden in Zukunft deutlich weniger wachsen, während sogenannte Pharmerging Markets, zu denen China und Indien zählen, stark zulegten. In diesen Ländern soll immer mehr Menschen der Zugang zu günstiger Medizin möglich gemacht werden. So wird der Kostendruck auf die Herstellung von Pharmaprodukten erheblich steigen. Innovative und schnelle Lösungen sind deshalb auch von den Zulieferern gefragt, die Maschinen für die Tablettenherstellung produzieren.

Fette Compacting hat aus diesem Grund ein weltweites Netzwerk mit Standorten wie Indien (Goa), Singapur und China (Nanjing) aufgebaut. Die Aufholjagd der Asiaten ist beeindruckend: Fette produziert seine Maschinen seit 2004 auch in China und verkauft dort inzwischen jede fünfte Anlage. In Indien installierte Fette die größte und schnellste Presse, die bis zu 1,3 Millionen Tabletten in der Stunde herstellt. Schnelligkeit, aber auch Einfachheit steht für die Fette-Ingenieure in der heutigen Pharmawelt ganz weit oben in der Prioritätenliste. Auf den Displays der Fette-Pressen, die in der lichtdurchfluteten Produktionshalle auf ihren Transport zu den Kunden warten, sind Symbole statt Zahlen aufgedruckt. Ein Bild von einer Waage, eine Zeichnung eines Druckers versteht jeder, auch der ungelernte Bediener in Indien oder Afrika. Eine aufwendige Schulung in allen möglichen Sprachen wird durch eine solche simple Bedienbarkeit unnötig. Müller gibt zu, dass er sich die selbst erklärenden Funktionen der neuen Maschinen auch bei Apple abgeschaut hat. Wenn ein Zweijähriger ein iPad bedienen kann, warum soll die Pharmaindustrie dann nicht auch von einer solchen Simplifizierung lernen und profitieren?

Und noch etwas: "Ich bin mit einer Italienerin verheiratet, da zählt Ästhetik viel", sagt Müller lächelnd. Der gebürtige Dortmunder hat sich aus diesem Grunde einige Gedanken über die Optik seiner Maschinen gemacht und geschmeidige Rundungen und dynamische Formen an die Stelle von purer Zweckmäßigkeit gesetzt. Selbst dieser Veränderungswille Müllers ist belohnt worden: Mit der neuen FE 55 hat Fette Compacting nicht nur den Marktanteil weiter gesteigert, die Firma hat jetzt auch den renommierten "Red Dot"-Designpreis bekommen, für den sich immerhin 1800 Unternehmen aus 58 Ländern beworben hatten. Müller stolz: "Bei der Auszeichnung standen wir neben den Porsche-Designern auf dem Podium, das war schon toll."