Politiker ringen um neue Hilfen - das geht auch im Urlaub nicht ohne Streit. US-Finanzminister Geithner traf Kollegen Schäuble an der Nordsee.

Berlin. Eigentlich hatte sich Wolfgang Schäuble (CDU) vorgenommen, im Urlaub auf Sylt auszuspannen, einige Bücher zu lesen, Krimis, bloß nichts über Finanzmärkte. Gestern saß der Finanzminister in der Bibliothek des Hotels Fährhaus in Munkmarsch. Doch anstatt zu lesen, musste er wieder den deutschen Kurs bei der Euro-Rettung verteidigen. Sein US-Kollege Timothy Geithner war nach Sylt gekommen, um entschlossene Schritte bei der Bekämpfung der Krise anzumahnen, die man in den USA als Gefahr für die heimische Konjunktur und somit den eigenen Wahlkampf sieht. Beide Ressortchefs seien "zuversichtlich hinsichtlich der Reformanstrengungen in den Euro-Mitgliedstaaten und des Gelingens weiterer Integrationsfortschritte", hieß es nach dem Treffen aus dem Hause Schäuble.

Mitten in der Urlaubszeit läuft der Euro-Rettungsbetrieb wieder auf Hochtouren. Der Wirtschaftsabschwung in den großen Krisenländern wie Spanien wird immer schlimmer, die Investoren an den Finanzmärkten werden immer skeptischer. Und die Appelle einiger Euro-Retter immer dramatischer: "Die Welt redet darüber, ob es die Euro-Zone in einigen Monaten noch gibt", warnte Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker in der "Süddeutschen Zeitung". "Wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen", fügte er hinzu. "Wir müssen jetzt mit allen verfügbaren Mitteln überaus deutlich machen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten." Junckers Zeithorizont ist dabei sehr kurzfristig, er spricht von den "nächsten Tagen".

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In Berlin ist man wenig begeistert von der Warnung. Offiziell wollte die Bundesregierung zwar nicht Stellung nehmen. Aber hinter vorgehaltener Hand wurde die Verärgerung deutlich vorgetragen. Juncker versuche die Staaten zu neuen Rettungsmaßnahmen zu drängen. Und um den notwendigen Druck zu erzeugen, baue er das Schreckgespenst eines Zerfalls der Währungsunion auf.

Die CSU-Spitze gab sich weniger Mühe, ihre Verärgerung zu verstecken. "Manches Interview schafft erst Probleme, und dieses gehört dazu", sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt legte Juncker sogar den Rücktritt nahe. "Ob man so jemand wirklich in dieser Funktion als Euro-Gruppen-Chef behalten kann, da mache ich ein großes Fragezeichen", sagte er im Bayerischen Rundfunk. Später ruderte die CSU allerdings zurück, von Rücktrittsforderungen wollte Seehofer nichts mehr wissen. Die Christsozialen waren auf Juncker vor allem sauer, weil er die Forderungen nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone als "Geschwätz" scharf kritisiert hatte.

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Doch nicht nur in Bezug auf Griechenland werden Meinungsunterschiede deutlich. Die Bundesregierung tritt Junckers Darstellung entgegen, dass unmittelbar eine neue Rettungsaktion bevorstehe. Bevor Schäuble in den Urlaub aufbrach, ließ er wissen, dass kein neues Hilfsprogramm für Spanien anstehe. Schließlich hat man gerade erst bis zu 100 Milliarden Euro freigegeben für die Sanierung der maroden spanischen Banken. Allerdings hat die Maßnahme bisher nicht für die erhoffte Ruhe sorgen können - genauso wenig wie das ehrgeizige Reformprogramm, das Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy auf den Weg gebracht hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat aus dem Urlaub in Tirol zwar versichert, "alles" zu tun, um den Euro zu retten. Außerhalb Berlins fragt man sich allerdings, was dieses "alles" denn sein soll. Euro-Bonds oder andere Formen von Schuldenvergemeinschaftung fielen jedenfalls nicht darunter, stellte der stellvertretende deutsche Regierungssprecher klar. Aber was dann?

Vor allem ein Plan kursiert derzeit in Europa: Die Europäische Zentralbank (EZB) soll zusammen mit dem Rettungsschirm EFSF aktiv werden und Staatsanleihen von Krisenländern, zum Beispiel Spanien, kaufen. Diese Spekulationen gibt es, seit EZB-Präsident Mario Draghi vergangene Woche ankündigte, "alles Notwendige zum Erhalt des Euro zu tun". In Berlin werden Draghis Worte so interpretiert, dass auch die Politik mehr tun müsse zur Krisenbekämpfung, bevor die EZB einspringen könnte. Diese wolle nicht alleine den Ausputzer geben und die Politik aus der Verantwortung entlassen. Auch Juncker betonte nun: "Wir handeln zusammen mit der EZB, ohne deren Unabhängigkeit anzutasten."

"Das Duo Draghi/Juncker macht großen Druck", sagt dazu ein maßgeblicher Unionspolitiker. In Berlin will man aber vorerst nicht nachgeben. Man werde zunächst abwarten, ob die beschlossenen Hilfsmaßnahmen für Spanien nicht doch noch wirken. Schäuble hatte bereits daran erinnert, dass im Rahmen des beschlossenen Programms 30 Milliarden Euro als Soforthilfe im Rettungsschirm bereitstehen. Die können nach bisheriger Planung aber nur zur Rekapitalisierung der spanischen Banken eingesetzt werden. Sollen die Mittel umgewidmet werden, müsste der Bundestag gefragt werden. Falls mit dem Geld Anleihen direkt vom spanischen Staat gekauft werden sollen, müsste das ganze Plenum zustimmen. "Viel Spaß", heißt es dazu aus der Koalition mit Verweis auf die zunehmend rettungsmüden Abgeordneten.

Blieben noch Käufe von bereits begebenen Anleihen auf dem Markt: Diese muss nur das geheime Neuner-Gremium absegnen, in dem Haushaltspolitiker sitzen. Ein solcher Beschluss wäre für Merkel und Schäuble einfacher zu erhalten. In Notenbankkreisen fürchtet man allerdings, dass die Politik vorerst gar nicht handeln will und darauf vertraut, dass es die EZB richten wird. Zentralbank und Regierungen zeigen also gegenseitig aufeinander: Wer rettet zuerst? Nach Meinung einiger Skeptiker am besten keiner von beiden.