Trotz Fachkräftemangels bekommt jeder Zehnte laut Studie Arbeitsvertrag auf Zeit

Berlin. Der Fall von Bianca Kücük, einer Justizangestellten aus Köln, machte zu Beginn des Jahres Schlagzeilen. Frau Kücük arbeitete elf Jahre lang am Kölner Amtsgericht, mit insgesamt 13 aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen. Alle diese Verträge wurden zur Vertretung unbefristet eingestellter Kollegen geschlossen, die sich vorübergehend, beispielsweise im Rahmen der Elternzeit, hatten beurlauben lassen. Als der letzte Vertrag nicht verlängert wurde, klagte die Kölnerin auf Festanstellung. Bis vor den Europäischen Gerichtshof zog sie, unterlag dort aber. Der EuGH gab ihrem Arbeitgeber recht: Vertretungskräfte können sehr wohl befristetet eingestellt werden, selbst wenn sich die Vertretungsfälle über Jahre wiederholten.

Ein Extremfall, sicherlich, doch befristete Verträge sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Trotz der Klagen der Unternehmen über fehlende Fachkräfte ist der Anteil der Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen an allen Beschäftigten im Jahr 2011 auf einen neuen Höchststand gestiegen. Fast jeder Zehnte ist mittlerweile befristet beschäftigt, bei den Neueinstellungen erhält sogar jeder Zweite nur einen Vertrag mit begrenzter Laufzeit.

Das geht aus jetzt veröffentlichten Hochrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Danach kletterte die Zahl der befristeten Arbeitsverträge zwischen 2001 und 2011 von etwa 1,7 auf 2,7 Millionen. Das entspricht einem Anteil von 9,5 Prozent an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und von 7,6 Prozent an der betrieblichen Gesamtbeschäftigung, bei der auch Beamte, Selbstständige und geringfügig Beschäftigte mitgezählt werden.

Dabei sind Frauen häufiger befristet beschäftigt als Männer: Ihre Quote liegt an der betrieblichen Gesamtbeschäftigung bei 9,0 Prozent, die der Männer bei 6,5 Prozent. Auch bei den Neueinstellungen liegen die Frauen mit 49 Prozent befristeten Verträgen vor den Männern mit 42 Prozent.

Sind diese Zahlen ein Beleg dafür, dass Frauen von den deutschen Betrieben in der Befristungspraxis gegenüber Männern benachteiligt werden? Nein, sagt IAB-Experte Christian Hohendanner: "Frauen stehen nicht systematisch schlechter da als Männer." Aber Frauen sind überdurchschnittlich in Branchen vertreten, in denen Befristungen eine sehr große Rolle spielen wie zum Beispiel im Gesundheits- und Sozialwesen, im Bereich Erziehung und Unterricht sowie im Gastgewerbe.

In der klassischen Männerdomäne, den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) spielen Befristungen dagegen kaum eine Rolle. "Im Produktionssektor haben Befristungen traditionell eine untergeordnete Bedeutung", sagt Hohendanner. In Universitäten sind befristete Verträge wiederum eher die Regel, weil Projekt- und Haushaltsmittel häufig nur für einen kurzen Zeitraum vergeben werden. So sind drei Viertel der 100 000 wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet beschäftigt.