Die Brotfabrik von Harry produziert Milliarden Brötchen und Brote - rund um die Uhr. Der Bäcker wächst und will 200 Mitarbeiter einstellen.

Schenefeld. Ein intensiver, süßlicher Butterduft zieht durch die Fabrikhalle. Aus einem wagenradgroßen Edelstahlbottich quellen etwa 300 Kilogramm Teig, werden von automatischen Messern in handliche Stücke zerteilt, in einen grauen Gärschrank gefahren und danach bei gut 200 Grad Celsius in den Ofen geschoben. Heraus kommen einheitlich große, helle Toastbrote, rund 5000 Stück in der Stunde. Gerade mal zwei Mitarbeiter in weißen Kitteln und mit Haarschutz auf dem Kopf sind notwendig, um den vollautomatischen Prozess zu überwachen.

Es ist Mittagszeit in der Brotfabrik von Harry in Schenefeld. Während bei traditionellen Bäckern das Tagwerk längst abgeschlossen ist, stehen die Rührwerke und Förderbänder am nordwestlichen Rand Hamburgs niemals still. Vollkornlaibe, Mischbrote und Sandwiches backen parallel in den zig Meter langen Öfen; es ist feucht und heiß wie in den Tropen. 400 000 Brotpakete verlassen allein das Werk in Schenefeld täglich. Wie viel Brote Harry in seinen insgesamt neun deutschen Backbetrieben herstellt, möchte Geschäftsführer Hans-Jochen Holthausen lieber nicht verraten. Zu groß ist die Sorge des hochgewachsenen Mannes mit den grauen, zurückgekämmten Haaren, dass die Kunden von der schieren Menge abgeschreckt sein könnten. "Wir schauen lieber auf die Qualität unserer Brote als auf die bloße Quantität", sagt der 56-jährige Chef und Miteigentümer, der sich nur ausgesprochen selten in der Öffentlichkeit äußert.

Dabei hat sich das von Johan Hinrich Harry im Jahr 1688 in Altonagegründete Familienunternehmen heute zum zweitgrößten Backkonzern Deutschlands entwickelt. Nur Lieken liegt noch vor den Schenefeldern, die im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von gut zehn Prozent auf 738 MillionenEuro erwirtschafteten. In diesem Jahr rechnet Holthausen mit einem erneuten Zuwachs zwischen fünf und sieben Prozent. "Wir wachsen zusammen mit unseren Kunden und mit dem Markt", sagt er. 200 zusätzliche Arbeitsplätze werde man in diesem Jahr schaffen.

In den vergangenen Jahren hat Harry vor allem vom Trend zu vorgebackenen Broten profitiert, die in Supermärkten oder Läden nur noch einmal kurz in den Ofen geschoben werden und auf diese Weise besonders knusprig wirken. Einzelhändler schätzen die sogenannte Prebake-Ware, weil sie einfach zu handhaben ist, zugleich aber mit ihrem frischen Duft die Kunden in die Geschäfte lockt. "Prebake ist in den vergangenen Jahren eingeschlagen wie eine Bombe", sagt Holthausen.

In der Schenefelder Fabrik läuft neben dem Buttertoast gerade ein Kartoffelbrot über die Förderbänder, das auf diese Weise vorgebacken wird. Eine Maschine bestäubt die Teiglinge mit Kartoffelflocken, bevor sie für rund 60 Minuten im Ofen landen. Die Prebake-Ware ist innen zwar schon voll ausgebacken, außen aber noch heller als normales Brot und hat kaum Kruste.

Während das Prebake-Sortiment in Schenefeld nur einen kleinen Teil der Produktion ausmacht, hat sich das jüngste Harry-Werk in Soltau komplett auf diese halbgebackene Ware und tiefgefrorene Brote und Brötchen spezialisiert. Zu den bereits bestehenden drei Anlagen werden in Soltau noch indiesem Jahr drei weitere kommen. Dann kann Harry 80 Millionen Brote jährlich in Soltau backen - und eine Milliarde Brötchen.

Überwiegend landen Brot und Brötchen auf deutschen Tellern, doch die tiefgekühlte Ware ermöglicht es Harry auch, nach Österreich, Dänemark, Frankreich, Tschechien und in die Schweiz zu exportieren. Einige Millionen tiefgefrorene Vollkornbrote lässt das Unternehmen sogar über den Atlantik nach New York schippern, wo sich eine wachsende Fangemeinde für die deutsche Backkultur entwickelt hat.

In Deutschland versucht der Harry-Chef die Kunden mit immer neuen Kreationen für die Produkte des Unternehmens zu gewinnen. So schiebt ein Förderband gerade mehr als ein Meter lange Vital+Fit-Brote in einen Steinofen, die durch die Körnermischung besonders bekömmlich sein sollen. In wenigen Wochen wird zudem ein neuesEiweiß-Brot auf den Markt kommen, das besonders viele Proteine und wenig Kohlenhydrate enthält. "Damit wollen wir besonders ernährungsbewusste Verbraucher ansprechen", so Hans-Jochen Holthausen.

Aus Sicht von Verbraucherschützern sind solche Produkte mit einem angeblichen gesundheitlichen Zusatznutzen allerdings mit Vorsicht zu genießen. "Wer abnehmen oder sich besonders gesund ernähren möchte, kommt nicht um eine grundsätzliche Umstellung seiner Ernährung herum", sagt der Ernährungsexperte der Hamburger Verbraucherzentrale, Armin Valet. "Da reicht es sicher nicht, nur ein anderes Brot zu kaufen."

Anstatt immer neue, angeblich gesündere Rezepturen zu entwickeln, sollten sich die Industriebäcker ausValets Sicht lieber auf die Reduzierung von Zusatzstoffen konzentrieren. So kommen bei Harry beispielsweise Emulgatoren zum Einsatz, die für feine und vor allem gleichmäßige Poren in den Broten sorgen sollen. "Wirklich notwendig sind solche Zusatzstoffe aber nicht", sagt Valet.

Mit traditioneller Handwerkskunst hat das, was in Großbetrieben wie Harry passiert, ohnehin nur noch wenig zu tun. Die Anlagen in Schenefeld bedienen keine gelernten Bäcker, sondern Fachkräfte für Lebensmitteltechnik, die auch Schokolade bei Nestlé oder Konfitüre bei Schwartau herstellen könnten. Sie sind vor allem für die Überwachung und die Reinigung der Maschinen zuständig, wenn die Brotsorte gewechselt wird.

Manche Produktionsmethoden wirken auf den ersten Blick befremdlich, haben sich mittlerweile aber zu Standards in der Lebensmittelindustrie entwickelt. So werden etwa Toastbrote bei Harry pasteurisiert, indem sie nach der Verpackung - also bereits in derFolie - noch einmal bei niedrigen Temperaturen in einen speziellen Ofen geschoben werden. Das Verfahren soll die Brote länger haltbar machen.

Die Teige vieler Vollkorn- und Mischbrote enthalten zudem die zerkleinerten Knuste bereits gebackener Brote, die beim Aufschneiden und Verpacken als Reste anfallen. Aus Sicht von Harry hat dieses Verfahren sogar einen positiven Effekt auf den Geschmack, da auf diese Weise das besonders intensive Aroma der Kruste direkt auf den Teig übergeht.

Generell hält der Harry-Chef seine Brote für mindestens so bekömmlich wie die der traditionellen Bäcker. "Es ist ein Mythos, dass der Handwerksbäcker besseres Brot backt", sagt er. "Bei Blindverkostungen konnten die Kunden keinen Unterschied feststellen."