HWWI-Chef Straubhaar und andere sehen “nationale Klischees“ und “fragwürdige Argumente“

Hamburg. Die Replik ließ nicht lange auf sich warten. Am Donnerstag hatten rund 160 mehr oder weniger bekannte deutschsprachige Ökonomen in einem öffentlichen Brief massive Kritik an den jüngsten EU-Gipfel-Beschlüssen zur Überwindung der Staatsschuldenkrise geäußert und die Bevölkerung zum Protest aufgerufen. Nun antworteten sieben namhafte Volkswirte des Landes und kritisierten das Vorgehen scharf. Unter ihnen sind der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, und der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Thomas Straubhaar.

Die Verfasser der Replik werfen den 160 Ökonomen vor, "mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch den Aufruf weiter zu verunsichern". Der Aufruf baue "ein Schreckgespenst" auf und schüre Furcht. "Der Öffentlichkeit, die nach Orientierung verlangt, und der Politik, die in schwierigen Entscheidungssituationen Kurs zu halten sucht, wird damit nicht geholfen", so die Ökonomen. "Es wird Schaden angerichtet für die politische Gestaltungsfähigkeit wie für das Ansehen unseres Fachs. Wirtschaftswissenschaftler sollten vielmehr bereit sein, mit konstruktiven Lösungsvorschlägen ihre Bringschuld gegenüber Gesellschaft und Politik zu erfüllen", heißt es in dem Schreiben, das im "Handelsblatt" veröffentlicht wurde.

Auch aus der Politik gab es gestern harsche Kritik an den 160 Volkswirten, die sich um den Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner-Sinn versammelt hatten. Die Unterzeichner hatten in einem offenen Brief davor gewarnt, dass die geplante Bankenunion neue Haftungsrisiken unter anderem für die deutschen Steuerzahler schaffe. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nannte die Argumentation eine Verwirrung der Öffentlichkeit. Aus dem Rettungsschirm für Staaten sei mit Sicherheit nicht ein Rettungsschirm für Banken geworden, betonte der Minister am Freitag im RBB-Inforadio. Auch die Opposition distanzierte sich von dem Appell: "Statt Argumente vorzubringen, werden Ängste geschürt. Statt präziser Analyse werden dumpfe Ressentiments bedient", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Er wandte sich damit auch gegen den Ton des Briefs, der ein Szenario schildert, in dem Länder wie Deutschland "immer wieder Pressionen" durch die "Schuldnerländer" im Süden Europas ausgesetzt seien.

Inhaltlich geht es bei dem Streit um die Frage, ob der Euro-Raum künftig insgesamt für die Risiken bei Banken in einzelnen Ländern haftet. Unter der sogenannten Bankenunion werden in der Regel eine gemeinsame Aufsicht und Einlagensicherung sowie staatenübergreifende Hilfen zur Rekapitalisierung von Geldhäusern verstanden.

Auf dem Gipfel wurde zunächst der Weg zu einer einheitlichen Kontrolle der Finanzinstitute unter Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) vereinbart. Anschließend soll der neue Rettungsfonds ESM Banken gegen Auflagen direkt helfen können. Hintergrund ist, dass die Banken und Staaten im Euro-Raum so eng miteinander verwoben sind, dass Pleiten von großen Kreditinstituten ganze Länder gefährden können.