Plötzlich ging es ganz fix. Porsche gehört ab August zu VW - dank eines kleinen legalen Kniffs. Die Übertragung einer Stammaktie ist der Clou.

Wolfsburg. Es ist kurz nach zehn Uhr morgens, als Martin Winterkorn ein großes, weißes Taschentuch aus einer Tasche seines Sakkos zieht und sich das schweißnasse Gesicht abtupft. "Der Weg ist endgültig frei für eine gemeinsame Zukunft mit Porsche. Wir haben eines der wichtigsten Vorhaben in der Automobilgeschichte erfolgreich ins Ziel gebracht", verkündet der Volkswagen-Chef - und dabei sieht er etwas abgekämpft aus.

Das ist kein Wunder, auch wenn es in diesem Fall die starken Scheinwerfer sind, die den Vorstandschef zum Schwitzen bringen. Mittwochabend hatten die obersten Gremien der beiden Automobilhersteller Volkswagen und Porsche in Stuttgart an den letzten Details des Zusammengehens gearbeitet und die finalen Entscheidungen getroffen. Gestern Morgen ging es zur offiziellen Verkündung der Autohochzeit nach Wolfsburg und noch am Vormittag zurück ins Ländle, um dort die Porsche-Belegschaft zu informieren. Und nun ist es also endlich so weit: Nach mehr als fünfjährigem Ringen finden der Sportwagenhersteller und der Autokonzern aus Wolfsburg zusammen und sind also wieder dort, wo sie zur Gründung von Volkswagen in den 1930er-Jahren waren, nämlich vereint. Die Frage ist nur: zu welchen Bedingungen und wer profitiert wie davon?

Laut Plan wird Volkswagen die Sportwagen-Ikone Porsche schon binnen eines Monats übernehmen, das wäre rund zwei Jahre früher als zuletzt anvisiert. Das neue Firmengeflecht ist aber kaum weniger kompliziert als die derzeitigen Beteiligungsverhältnisse. Das Konzept sieht vor, dass Volkswagen von der Porsche Holding SE 50,1 Prozent der Porsche AG - der eigentliche Sportwagenbauer - übernimmt. Damit besitzen die Wolfsburger künftig alle Anteile am operativen Geschäft, die in einer Zwischenholding gebündelt werden sollen. Im Gegenzug erhält die Porsche Holding SE 4,46 Mrd. Euro und eine Stammaktie - und diese Aktie ist im ganzen Plan der Wolfsburger entscheidend. Monatelang hatten Volkswagen und Porsche daran gearbeitet, wie man die Konzerne auf dem besten und günstigsten Wege zusammenbringen könnte. Zunächst war vorgesehen, die Unternehmen miteinander zu verschmelzen, das ist auch heute noch die Wunschlösung in Wolfsburg. Doch die Möglichkeit schied aus, weil sich vor allem die Porsche Holding mit ernst zu nehmenden Klagen enttäuschter Anleger konfrontiert sieht. Die werfen dem Sportwagenbauer vor, im Zuge der vom damaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking angezettelten Übernahmeschlacht samt den damit verbundenen gigantischen Kursschwankungen und zeitweiligen -anstiegen um viele Millionen ihres angelegten Geldes gebracht worden zu sein. Sollten die Klagen der Anleger, die in Deutschland und den USA anhängig sind, Erfolg haben, kämen millionenschwere Entschädigungszahlungen auf die Stuttgarter zu.

Bei einer kompletten Verschmelzung mit Porsche würde sich Volkswagen also unkalkulierbare Risiken in den Konzern holen. Im September vergangenen Jahres wurde die Verschmelzung daher abgeblasen. Seither setzten die Automanager der beiden Konzerne auf Plan B, auf sogenannte Put- und Call-Optionen, also die Möglichkeit, sich gegenseitig in mehreren Tranchen Anteile anzubieten und diese zu übernehmen. Damit wären die Risiken der Porsche Holding in den Griff zu bekommen gewesen. Die Lösung hätte nur den Nachteil gehabt, dass dabei vermutlich hohe Steuern angefallen wären. Zumindest bis zum August 2014, doch so lange wollten die Wolfsburger nicht warten. Im Gespräch waren eine bis 1,5 Milliarden Euro, die der Fiskus bei einer Übernahme von Porsche durch Volkswagen bis zum Sommer 2014 eintreiben würde. Bestätigt wurden die Zahlen nie.

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Über Wochen wurde an einer Lösung gearbeitet, die zwar ein Zusammengehen der Autobauer ermöglicht, die Risiken und eine hohe Steuerlast aber minimiert. Gefunden wurde sie durch einen - im Nachhinein betrachtet - schlichten Kniff: Die Porsche Holding SE erhält für ihre Anteile am eigentlichen Sportwagenbauer einen Kaufpreis und eine Stammaktie. Letzteres bedeutet, dass sich die Besitzverhältnisse ändern, wenn auch nur minimal. Ein reiner Verkauf hätte bedeutet, dass Steuern gezahlt werden müssten. "Durch die Verschiebung der Besitzverhältnisse ist das Geschäft aber eine Umstrukturierung und damit nicht mehr steuerpflichtig", sagt Frank Biller, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg. Die Übertragung von nur einer Stammaktie sei zwar eine "spitze" Auslegung der bestehenden Steuergesetze, so Biller. "Man hätte ja auch zehn, hundert oder mehr Aktien übertragen können." Aber das Vorgehen sei nach geltendem Recht absolut legal.

Aus der Politik wurde umgehend harsche Kritik an den "Steuertricks" des Konzerns laut. "Das mag alles legal sein, zeigt aber, wie dringend wir ein einfacheres und gerechteres Steuerrecht brauchen", sagte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, dem "Handelsblatt". Wenn Weltkonzerne mit solchen Tricks Steuern in Milliardenhöhe sparen könnten, müsse sich jeder Steuerzahler veräppelt fühlen. Nordrhein-Westfalen kündigte eine Bundesrat-Initiative an, um derartige Steuerlücken zu stopfen. Volkswagen weist alle Vorwürfe, systematisch Steuerlöcher zu nutzen, zurück. "Man darf nicht vergessen, dass in jedem Fall mehr als 100 Millionen Euro Transaktionssteuer anfallen", sagte VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch. Ein VW-Manager ergänzt: "Glauben Sie wirklich, Aufsichtsrat und Hauptversammlung hätten uns mit einer Lösung durchkommen lassen, bei der wir mehr Steuern zahlen müssten als nötig?"

Die Übernahme rechnet sich für die Wolfsburger und die Stuttgarter. Das Finanzergebnis von VW werde 2012 um mehr als neun Milliarden Euro höher ausfallen, die Nettoliquidität schrumpfe im Gegenzug allerdings um sieben Milliarden Euro, kündigte Finanzvorstand Pötsch an. Neben dem Kaufpreis muss VW ab August auch für die Nettoschulden der Porsche AG in Höhe von 2,5 Milliarden Euro geradestehen. Doch die Wolfsburger bekommen mit Porsche nicht nur eine Edelmarke und Autolegende, sondern auch einen Hersteller, der mit dem Verkauf von Autos hohe Gewinne erzielt. Von Januar bis März wies Porsche mit dem Bau von Sportwagen 530 Millionen Euro operativen Gewinn aus. Konzernchef Winterkorn rechnet zudem mit Einsparungen von 700 Millionen Euro pro Jahr durch die endgültige Übernahme. "Wir können künftig bei der Entwicklung, dem Einkauf, Vertrieb oder der Produktion eng zusammenarbeiten. Wir können weitere Modelle mit einer gemeinsamen Basis auf den Markt bringen", kündigte Winterkorn an. "Damit bauen wir unsere Spitzenstellung weiter aus."

Wie groß die Erleichterung über den schnellen Weg zum gemeinsamen Konzern auch in Stuttgart ist, zeigt die Reaktion von Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück: "Wir sind sehr froh, diese Lösung, von der alle profitieren werden, beschlossen zu haben", sagte der wortgewaltige Arbeitnehmervertreter. Ein Porsche-Manager ergänzt: "Wir wollen uns endlich wieder auf eins konzentrieren können: die besten Autos zu bauen."