Werner Otto war als Unternehmer detailversessen und ein Freund schneller, manchmal auch überraschender Entscheidungen.

Hamburg. Zunächst ein paar Daten: Der 1949 gegründete Otto-Versand erreicht schon 1958 einen Umsatz von 100 Millionen Mark. 1965 sind es 430 Millionen, elf Jahre später 2,1 Milliarden. Otto übernimmt die Mehrheiten bei einstigen Konkurrenten wie Schwab, Heine und vielen anderen und wird Marktführer. 1965 gründet Werner Otto die KG Einkaufs-Center-Entwicklung G.m.b.H. & Co. - die heutige ECE. 25 Jahre später betreibt dieses Unternehmen 30 Einkaufscenter im Management, 1999 sind es 60.

Wie ist eine solche rasante Entwicklung möglich, was waren Werner Ottos Erfolgsrezepte als Unternehmer? Wie konnte es ihm schließlich gelingen, große Konzerne nicht nur aufzubauen, sondern so erfolgreich zu führen, dass sie die Konkurrenz abschüttelten und am Ende zu beherrschenden Marktführern wurden?

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Da war zunächst Werner Ottos Persönlichkeit: Willensstärke, Durchsetzungskraft und Vitalität prägten seinen Charakter - der geborene Unternehmer eben. Otto hatte konkrete Visionen, die er anderen so vermitteln konnte, dass diese mitzogen. Das ging aber nur, wenn er die äußeren Rahmenbedingungen für gut befand, so wie 1949 beim Neustart in Hamburg. Eines seiner Lieblingsbeispiele im Rückblick auf diese Zeit: "Es gab noch keine ausufernde Bürokratie, man konnte leichter loslegen."

Zwei weitere wichtige Punkte: Otto stellte die Zufriedenheit seiner Kunden von Anfang an über alles und verlangte exzellenten Service und hohe Qualität. Unter anderem führte er früh Warenprüf- und Beschwerdeabteilungen ein. Besonders niedrige Preise gab es beim Otto-Versand indes nie. Stattdessen galt: schick und hochwertig statt spießig. Qualität, so das Signal, hat eben ihren Preis. Auf diese Weise wurde der Versandhandel durch Otto aufgewertet und ein für allemal von seinem etwas spießigen Image befreit.

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Punkt zwei: Werner Otto hielt sich nicht gerne mit Kleinigkeiten auf und fing früh damit an, Arbeit (aber nicht Verantwortung) abzugeben. Das geschah allerdings erst, nachdem er sich gründlich davon überzeugt hatte, in wessen Hände er sie legte. Der langjährige ECE-Geschäftsführer Heinrich Kraft erinnert sich, dass Otto potenziellen Projektleitern unzählige Detailfragen stellte, über die er selbst bestens informiert war. Erst wenn alle Antworten zu seiner Zufriedenheit ausgefallen waren, übergab er die Zuständigkeit - und ließ den Mitarbeitern dann weitgehend freie Hand. Otto hat Detailarbeiten wegdelegiert, ohne sie aus den Augen zu verlieren, und sein Kopf war frei für neue Visionen und die große Linie. Wenig bekannt ist, dass Otto so etwas ein "Datenfreak" war.

Zwar traf er Entscheidungen schnell, aber nur scheinbar spontan und aus dem Bauch heraus. Faktisch ließ er zum Beispiel neue Standorte genauestens analysieren. Verbürgt ist, dass sich Otto die Lage von Immobilien in Kanada bei Flugrunden auch aus der Luft genau anguckte, um Zufahrtswege und mögliche Erweiterungsflächen besser zu sehen. Ottos erstes Einkaufszentrum, das Franken-Center in Nürnberg-Langwasser, wurde erst nach generalstabsmäßigen Vorprüfungen genau an diesem Standort eröffnet. Auch setzte er schon auf Marktforschung, als viele Unternehmer noch nicht einmal das Wort kannten.

In Konferenzen verbat sich Werner Otto "Fachchinesisch" energisch. "Das Ganze jetzt noch mal auf Plattdeutsch", war ein geflügelter (und gefürchteter) Satz, der manchem Topmanager den kalten Schweiß auf die Stirn getrieben haben dürfte.

"Der schlimmste Fehler, den ein Unternehmer machen kann, ist der, keine Entscheidungen zu treffen", hat er einmal gesagt. Otto machte diesen Fehler nie. Er traf Entscheidungen schnell - und mit oft unglaublicher Radikalität. Im Jahr 1956 war der Otto-Versand aus Schnelsen in neue Firmenräume nach Hamm gezogen. Nur drei Jahre später ließ Werner Otto den Grundstein für ein neues Firmengelände - den heutigen Standort - im Stadtteil Bramfeld legen, wo zwei Jahre später die ersten Räume fertig eingerichtet waren. Otto hatte nach einer sorgfältigen Analyse entschieden, den gerade erst bezogenen Firmensitz nicht mehr zu erweitern, sondern völlig neu zu bauen. Ein weiteres Beispiel: Alleine zwischen 1966 und 1970 wurden im Konzern nacheinander drei Großrechneranlagen installiert - jede schneller und moderner als das Vorgängermodell.

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Ein ehemaliger Spitzenmanager erinnert sich noch heute, dass Werner Otto das Ruder immer wieder radikal herumriss und einzelne Aktivitäten in völlig andere Richtungen steuerte. Dabei mussten sogar weit entwickelte Projekte nicht nur quasi über Nacht abgebrochen werden, sondern Otto sprach auch nie wieder davon. Diese Dinge waren für ihn schlichtweg abgehakt.

Auch seine konsequente Personalpolitik sorgte für Gesprächsstoff: Innerhalb von sieben Jahren beschäftigte er nacheinander 13 Werbechefs - erst der vierzehnte wurde seinen Anforderungen gerecht.

Werner Otto blieb immer wissbegierig und aufgeschlossen für Neues. Auf Amerikareisen löcherte er bei Werksbesichtigungen die Unternehmer noch mit Detailfragen, als alle Mitreisenden längst schon wieder im Hotel waren. Bei Ottos 100. Geburtstag im Sommer 2009 erzählte seine Tochter Katharina im kleinen Kreis, dass sich die Familie einmal beklagte, dass sogar im Urlaub ständig Besichtigungstouren durch Einkaufszentren auf dem Programm standen. Die Antwort des Vaters: "Seid doch froh, dass ich nicht in Kohlegruben investiert habe."

Lesen Sie morgen den dritten und letzten Teil über das Leben von Werner Otto als Mäzen.