Die Prognosen der Experten sind umstritten. Dabei lagen sie in diesem Jahr meistens gut

Hamburg. "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen." Obwohl die ernüchternde Botschaft dieser alten Weisheit allseits bekannt ist, sind Vorhersagen selbst in der seriösen Wissenschaft ein fester Bestandteil der Forschung. Jedes Wirtschaftsinstitut, aber auch viele Banken, leisten sich eine Gruppe von Experten, die regelmäßig ökonomische Daten wie Auftragseingänge, Produktion oder Rohstoffpreise, Statistiken sowie Stimmungsbarometer auswertet, um die Entwicklung der Konjunktur für das nächste Jahr, manchmal sogar für zwei Jahre zu skizzieren. Die Schlussfolgerung gipfelt dann in der Festlegung einer Zahl, die als Gradmesser der Präzision gilt: Die prozentuale Veränderung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - der Maßstab für das Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft.

Auch vor einem Jahr präsentierten die Forscherteams in den Dezember-Wochen - wie üblich mit korrigierten Zahlen - ihre Vorhersagen für das nächste Jahr. Die Spanne der Prognosen reichte unter den Forschungsinstituten von einem BIP-Wachstum zwischen 2,0 bis 2,5 Prozent. Wie sich die Konjunktur 2011 tatsächlich entwickelt hat, steht bislang zwar noch nicht endgültig fest. Die Deutsche Bundesbank geht nach ihrer aktuellen Schätzung aber von einem Wert von rund drei Prozent aus. Die präzise Zahl gibt das Statistische Bundesamt am 11. Januar des kommenden Jahres bekannt.

Mit ihren Prognosen lagen die Institute - entgegen aller Unkenrufe - diesmal gar nicht schlecht. Alle sagten ein Wachstum voraus, das in der Nähe des erwarteten realen Wertes liegt (siehe Tabelle). So legte sich das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) vor einem Jahr auf ein Wachstum von 2,5 Prozent für 2011 fest. "Die Abweichung liegt im normalen Unsicherheitsbereich", zeigt sich Konjunkturchef Michael Bräuninger "nicht unzufrieden". Eine Schwankung von plus/minus 0,5 Prozentpunkten gilt unter Ökonomen als üblicher Prognosefehler. Bräuningers Team habe das starke Wachstum im ersten Quartal dieses Jahres unterschätzt. Nach der kräftigen wirtschaftlichen Erholung im Jahr 2010 hatten die Hamburger Forscher mit einer früheren Abkühlung gerechnet.

Auch der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide, dessen Team ein Plus von 2,3 Prozent vorausgesagt hatte, ist rückblickend zufrieden. "Wir haben immerhin schon vor einem Jahr vor der Euro-Schuldenkrise gewarnt." Eine renommierte Institution wie die EU-Kommission erwartete dagegen nur 2,2 Prozent, die Deutsche Bundesbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) sogar nur 2,0 Prozent. Dagegen lag die Hamburger Berenberg Bank mit einer Voraussage von 2,8 Prozent mit am besten unter allen Prognosen.

Exakte Voraussagen in diesen turbulenten Zeiten zu machen, ist extrem schwierig. "Wir sind schon froh, wenn die grobe Richtung stimmt", sagt Scheide. Und dies ist nicht selbstverständlich. So gelang es vor vier Jahren keinem Institut, die Schwere der weltweiten Finanzmarktkrise vorauszusagen, die nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 auch die reale deutsche Wirtschaft im Jahr 2009 tief in die Krise stürzte und das BIP auf ein Minus von 4,7 Prozent katapultierte.

Angesichts der "extrem großen Unsicherheiten" zog das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin im Frühjahr 2009 die Konsequenz. Der damalige DIW-Chef Klaus Zimmermann hielt es nicht mehr für sinnvoll, überhaupt noch eine qualitative Prognose für das nächste Jahr zu erstellen - und pausierte.

Auch die Ausgangslage für die Prognosen 2012 ist schwierig. Niemand kann mit Sicherheit voraussagen, ob die Politik die Staatsschuldenkrise und die Kreditklemme in den Griff bekommt, Länder aus der Euro-Zone austreten werden oder sogar die Gemeinschaftswährung kollabiert, sagt Bräuninger: "Die Risiken sind derzeit sehr hoch." Er selbst erwartet zwar keinen Zusammenbruch der Euro-Zone, schließt ihn aber auch nicht aus. Sollte die Währung scheitern, sei natürlich selbst seine magere Prognose von 0,5 Prozent Wachstum für 2012 hinfällig. "Keiner weiß mit Sicherheit, was dann passiert." Insofern sei es wichtig, bei jeder Vorhersage alle zugrunde gelegten Annahmen offenzulegen und auf die Risiken hinzuweisen.

Das Problem von Prognosen liege auch darin, "dass sie intelligente Fortschreibungen der Vergangenheit" sind, sagt der Kieler Konjunkturchef Scheide. Wenn es keine Erfahrungen mit Ereignissen gibt, gebe es auch keine Modelle für die weitere Entwicklung.

Auch wenn Prognosen nur selten Punktlandungen sind, halten Wirtschaftsforscher sie für unverzichtbar. Sowohl für den Staat als auch für Unternehmen seien sie eine wichtige Orientierung zur Planung der Zukunft. "Es ist unser Beitrag für die wirtschaftspolitischen Instanzen", sagt Scheide. Manche Experten sprechen Prognosen sogar die Kraft zu, Stimmungen - positiv oder negativ - zu beeinflussen. HWWI-Konjunkturchef Michael Bräuninger ist dennoch überzeugt, dass am Ende die Realität entscheidend ist: "Prognosen folgen der realen Entwicklung und nicht umgekehrt."