Was drei VWL-Studenten der Uni Hamburg über die Euro-Krise, das Verhalten der Banken und Alternativen zum aktuellen Wirtschaftssystem denken.

Hamburg. Globale Schuldenkrise, Angst um den Euro, Kritik am Kapitalismus in seiner aktuellen Form, aktiver Protest vor allem junger Menschen gegen die Banken und das Finanzsystem - Wirtschaftsthemen bewegen die Welt und die Gemüter. Politiker, Manager und renommierte Wissenschaftler äußern sich täglich zu diesen Themen. Doch wie denken junge Volkswirtschaftsstudenten über die ökonomischen Herausforderungen? Möglicherweise werden sie in einigen Jahren in wichtigen Positionen das Wirtschaftsgeschehen mitbestimmen. Das Abendblatt sprach mit den VWL-Studenten der Hamburger Universität Sabrina Jenkel, 25, Tim Hübner, 25, und Niklas Wallmeier, 22.

Hamburger Abendblatt: Du oder Sie?

Sabrina Jenkel: Gerne du.

Niklas Wallmeier: Du.

Tim Hübner: Klar, du.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Volkswirtschaft zu studieren?

Sabrina: Bei mir war es eher Zufall. Ich hatte erst mit Jura angefangen, aber das fand ich zu langweilig. Ich habe etwas mit mehr Abwechslung gesucht und Volkswirtschaft für mich entdeckt.

Tim: Wirtschaftliche Zusammenhänge fand ich schon in der Oberstufe interessant.

Niklas: Ich hatte bereits mit 13, 14 Jahren Interesse an Wirtschaftsthemen. Dann habe ich ein Praktikum bei einem Wirtschaftsinstitut gemacht. Darüber hinaus wurde bei mir durch das Platzen der Internetblase das Interesse für Aktien geweckt.

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Hast du selbst Aktien?

Niklas: Klar.

Was sind eure Berufsziele?

Sabrina: Ganz genau weiß ich das noch nicht. Aber ein Job in den Medien wäre schon spannend.

Tim: Bei mir geht es eher in Richtung Forschung.

Niklas: Bei mir auch.

Habt ihr Vorbilder aus der Wirtschaft, bestimmte Wissenschaftler oder vielleicht sogar Manager?

Tim: Es gibt einige Wirtschaftswissenschaftler, die ich für ihre Arbeit bewundere.

Niklas: Das ist bei mir genauso. Einen davon herauszuheben ist allerdings schwierig.

Sabrina: Neben weltweit bekannten Wissenschaftlern imponiert mir der Chef des Hamburger HWWI-Instituts, Thomas Straubhaar. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und kommt dabei noch sympathisch rüber. Und natürlich Helmut Schmidt.

Du als 25-Jährige hast den früheren Kanzler Helmut Schmidt als Vorbild?

Sabrina: Vielleicht ist Vorbild das falsche Wort. Aber er ist sehr kompetent, sagt frei heraus, was er denkt - und das finde ich toll.

Niklas: Ich bin zwar kein Hamburger, aber mir imponieren auch die staatsmännischen Fähigkeiten von Helmut Schmidt. Er redet sehr überlegt. Wenn man seine Aussagen mit dem vergleicht, was sonst in Talkshows gesagt wird - da liegen schon Welten dazwischen.

Wie beurteilt ihr Europa und den Euro? Brauchen die Europäer überhaupt eine gemeinsame Währung?

Niklas: Den Gedanken einer gemeinsamen Währung finde ich gut. Denn sie führt zur Integration unterschiedlicher Staaten und Kulturen. Allerdings stelle ich mir die Frage, ob die Länder, die den Euro eingeführt haben, nicht zu unterschiedlich in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung waren. Das Problem für die schwächeren Staaten ist, dass sie in einer Rezession ihre Währung nicht mehr abwerten können. Sie sind somit Gefangene des Euro.

Tim: Problematisch ist, dass die Länder ihre Autonomie in der Geldpolitik verloren haben. Es gibt eine Europäische Zentralbank, und die bestimmt, wo es geldpolitisch langgeht.

Sollte Griechenland die Euro-Zone verlassen?

Tim: Der Austritt Griechenlands ist für mich kein Allheilmittel. Letztlich würde Griechenland nach einem solchen Schritt noch höhere Zinsen für neue Schulden zahlen müssen.

Niklas: In der Theorie würde sicherlich einiges für einen Austritt sprechen. Die neue griechische Währung könnte massiv abwerten gegen den Euro. Das würde der griechischen Wirtschaft helfen. Aber es fehlen letztlich die praktischen Erfahrungen mit einem solchen Schritt. Viel wichtiger wäre es, dass endlich Sanktionen gegen Schuldenmacher in der Euro-Zone durchgesetzt werden. Sie gibt es leider nur auf dem Papier.

Beunruhigen euch die Schuldenberge, die Europa in den vergangenen Jahrzehnten aufgetürmt hat? Schließlich müsst ihr sie eines Tages abtragen.

Niklas: Wir sind mit den Schulden groß geworden. Deshalb hält sich die Beunruhigung bei mir in Grenzen. Mir ist aber schon klar, dass es unsere Generation einmal schwerer haben wird als die Generation des Wirtschaftsaufschwungs in den 1950er-Jahren. Die Suche nach einer festen, gut bezahlten Arbeit wird immer komplizierter. Und das soziale System dürfte löchriger werden. Die rosigen Zeiten der Aufschwungjahre sind halt vorbei.

Sabrina: Dieses Hocharbeiten, wie ich es noch von meinem Großonkel kenne, der es vom ungelernten Tischler zum Abteilungsleiter der Tischlerei geschafft hat - das gibt es nicht mehr. Heute muss man von Anfang an eine Top-Ausbildung mitbringen, sonst ist der berufliche Einstieg schwer.

Hat der Euro für euch - mit Blick auf die lange, blutige Geschichte auf dem alten Kontinent - auch eine Frieden bewahrende Funktion?

Sabrina: Auf jeden Fall haben die letzten Jahrzehnte uns junge Europäer näher zusammengebracht. Ich war erst vor Kurzem auf einer deutsch-französischen Hochzeit. Da geht man ganz ohne Vorurteile miteinander um.

Niklas: Der Euro steht auch für Frieden. Ein Krieg in Europa ist für mich aber - egal wie es mit dem Euro weitergeht - unvorstellbar.

Tim: Für mich sind solche Gedanken auch völlig fremd. Es gibt so viele tolle europäische Studentenprojekte wie das Austauschprogramm Erasmus, die junge Europäer zusammengeführt haben.

Der Unmut über die Banken im Besonderen und das Finanzsystem im Allgemeinen wird in der Bevölkerung immer lauter. Teilt ihr die Kritik?

Tim: Ich kann die Argumente gut nachvollziehen. So wie unser kapitalistisches System heute funktioniert, ist es nicht ideal. Die Banken sollten sich wieder stärker auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen.

Sabrina: Die Grundidee des Kapitalismus wird heute falsch verstanden. Bei Adam Smith ging es noch darum, dass alle vom Wohlstand profitieren sollen. Davon sind wir heute weit entfernt. Es müssen neue Regeln her. Der Gedanke nach Gewinnmaximierung ist bei den Banken zu weit ausgeprägt. Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen.

Niklas: Ich kann den Unmut über die Banken auch nachvollziehen. Aber es wäre unfair, nur den Banken die Schuld zu geben. Die Schulden haben schließlich die Länder angehäuft. Doch neue Regeln für den Finanzsektor müssen auf jeden Fall her.

Tim: Es ist einfach nicht in Ordnung, Geld mit Dingen zu verdienen, die man gar nicht besitzt.

Würdet ihr aus Protest gegen das Finanzsystem auch in einem Zelt übernachten - wie es Demonstranten auf dem Campus der Universität Hamburg derzeit machen?

Sabrina: Nein. Die Kritik der Demonstranten ist zwar berechtigt. Aber ich finde es nicht in Ordnung, wenn es Leute gibt, die nur des Protests wegen mitmachen.

Niklas: Die Occupy-Bewegung in New York entwickelte sich aus inhaltlicher Kritik zu einer Protestbewegung. In andern Ländern, wie auch hier in Deutschland, haben Demonstranten in erster Linie den Protestgedanken aufgegriffen und tun sich schwer mit einer inhaltlichen Ausrichtung.

Ist der Kapitalismus in seiner heutigen Form noch ein System mit Zukunft?

Tim: Generell ja, aber wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter. So gibt es ja offensichtlich keinen Ausweg aus der Schuldenkrise. Und die Regulierungen finden nur halbherzig statt. Aber die Suche nach einer Alternative ist ebenfalls kompliziert.

Niklas: Der Kapitalismus ist das richtige Wirtschaftssystem. Aber die Ausgestaltung ist nicht optimal.

China ist mit Blick auf die Wirtschaftsdaten deutlich erfolgreicher als Deutschland und andere europäische Staaten. Ist das dortige System eine Alternative für euch?

Niklas: Auf keinen Fall. Keine Demokratie, keine freie Meinungsäußerung und riesige soziale Unterschiede - das ist die Realität in China. Zudem stellt sich die Frage, wie lange der Wirtschaftsboom dort noch anhalten wird. Ich bin diesbezüglich pessimistisch.

Sabrina: Man muss sich entscheiden, um welchen Preis man Wirtschaftswachstum haben will. Der Preis, den die chinesische Bevölkerung bezahlt, ist auf jeden Fall viel zu hoch.