Neuer Aufsichtsrat des Hamburger Senioren- und Pflegeheimbetreibers wirft Stefan Herzberg, der gegangen ist, Pflichtverletzung vor.

Hamburg. Der Hamburger Senioren- und Pflegeheimbetreiber Marseille-Kliniken kommt nicht zur Ruhe. Nur wenige Wochen nach Amtsantritt hat der Vorstandsvorsitzende Stefan Herzberg seinen Posten mit sofortiger Wirkung niedergelegt. Zuvor hat ihn der Aufsichtsrat, dem der frühere Arcandor-Manager Thomas Middelhoff vorsitzt, wegen einer angeblichen Pflichtverletzung abgemahnt. Erst vor wenigen Tagen hatte Marseille-Finanzchef Thomas Klaue sein Amt niedergelegt. Auch ihm hatte das Aufsichtsgremium dasselbe Vergehen vorgeworfen.

"Das Ganze trägt Middelhoffs Handschrift", sagte ein Insider aus dem Klinikkonzern dem Abendblatt. Pikant an der Sache ist, dass sich der Aufsichtsratschef und Herzberg gut kennen, seit sie gemeinsam die frühere Karstadt-Mutter Arcandor vor der Insolvenz retten wollten. Erfolg hatten sie dabei nicht. Herzberg war Vorstand der Warenhauskette, Middelhoff für den Gesamtkonzern zuständig. Die beiden Manager galten als ein Herz und eine Seele. Jetzt der Bruch. In der Marseille-Firmenzentrale kursieren bereits Gerüchte, dass Middelhoff den neuen Finanzvorstand Michael Thanheiser an die Spitze holen will. Er soll nun bis auf Weiteres zusammen mit dem Generalbevollmächtigten Andreas Sielemann das Unternehmen führen. Thanheiser kommt von den KMG Kliniken, einem Wettbewerber von Marseille.

+++ Marseille-Kliniken: Middelhoff wird Aufsichtsratschef +++

Ein Managerwechsel ist in einem Konzern nicht unüblich. Doch bei den Marseille-Kliniken geschah dies in den vergangenen Monaten bemerkenswert oft. Herzberg hatte erst am 1. September das Ruder vom Firmengründer und Hauptaktionär Ulrich Marseille übernommen, der seinen Konzern nach einer Unterbrechung seit Mai 2010 wieder führte. Im August 2011 hat sich Marseille wegen anhaltender juristischer Querelen aus der Geschäftsführung zurückgezogen. Der Unternehmer war wegen der Bestechung einer Gutachterin einer Krankenkasse zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Der Mann, dessen Frau Estella-Maria eine clevere Anwältin sein soll, die ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt, hat mehrere juristische Auseinandersetzungen hinter sich. Einmal soll er sogar versucht haben, gegen ein Strafgeld wegen Telefonierens mit dem Handy hinterm Steuer anzugehen. Das hat er dann zwar fallengelassen, aber Gerichte sieht er immer noch oft von innen. "Ich brauche jetzt mehr Freiräume und vor allem mehr Zeit, um mich stärker mit der juristischen Kampagne gegen mich auseinanderzusetzen, die seit dreizehn Jahren andauert und in jüngster Vergangenheit leider auch das Unternehmen belastet hat", begründete Marseille, einst Spitzenkandidat der Schill-Partei in Sachsen-Anhalt, seinen erneuten Rücktritt als Vorstandschef. Auch Middelhoff und Herzberg haben ab und an Kontakt mit der Justiz. Beide werden heute vom Insolvenzverwalter von Arcandor auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt, widersprechen aber allen Vorwürfen.

Allein 2009/10 mussten die Marseille-Kliniken fast acht Millionen Euro Rechts-, Beratungs- und Prozesskosten bezahlen. Erschwerend kommt hinzu, dass in Deutschland trotz der Überalterung der Gesellschaft in der gesamten Pflegebranche geschätzt 80 000 Betten leer stehen. Die Aktie, die vor fünf Jahren immerhin noch bei 17,50 Euro notierte, war gestern noch 1,86 Euro wert. Zwar gab es dazwischen eine Kapitalerhöhung, die den Marseille-Kliniken sechs Millionen Euro in die Kasse spülte, aber diese Maßnahme allein hat den Kurs nicht so empfindlich gedrückt.

Nach dem Tod von Ulrich Marseilles Eltern kümmerte sich das Unternehmerehepaar Theo und Ilse Marseille um ihn. Sie eröffneten 1984 ihren ersten Seniorenwohnpark. Marseille will das Erbe des Ziehvaters mit heute 57 Pflegeeinrichtungen, drei Wohnanlagen für betreutes Wohnen und rund 4544 Mitarbeitern sichern. Vielleicht wäre der Klinikexperte Thanheiser der Richtige für diese Aufgabe. Wenn er länger bleiben kann als seine Vorgänger.