Japanischer Konzern gesteht Bilanzfälschung. 1700 Beschäftigte in Hamburg sind verunsichert. Staatsanwaltschaft ermittelt gegen drei Ex-Manager.

Hamburg. Stefan Kaufmann braucht in diesen Tagen starke Nerven. Der 43 Jahre alte Manager verantwortet erst seit gut einer Woche das Europa-Geschäft von Olympus in Hamburg - und befindet sich bereits mitten in der schwersten Krise des traditionsreichen japanischen Unternehmens. Die Führungsspitze von Olympus räumte gestern in Tokio ein, dass die Bilanzen des Konzerns über Jahrzehnte gefälscht wurden. Verluste aus Wertpapiergeschäften wurden offenbar seit den 1990er-Jahren verheimlicht und durch Kosten für Beratungen und Firmenzukäufe kaschiert. Dabei könnte es um einen Betrag von 1,5 Milliarden Dollar - rund eine Milliarde Euro - gehen.

Die Nachricht erschütterte Japans Börse. Die Olympus-Aktie brach um 30 Prozent ein, seit Juni verlor sie damit 70 Prozent ihres Wertes. Einige Finanzexperten stellen schon die Zukunft des Unternehmens infrage. Ein Ausschluss von der Börse des 1919 gegründeten Herstellers von optischen Geräten ist nicht ausgeschlossen. Klar ist: Es handelt sich um einen der größten Bilanzfälschungsskandale der japanischen Wirtschaftsgeschichte, die auch an Europa nicht spurlos vorübergehen wird.

+++ Drei Ex-Olympus-Manager müssen auf die Anklagebank +++

+++ Kamera-Hersteller Olympus gibt Bilanzfälschung zu +++

Für Hamburg ist Olympus, die seit 1963 hier ansässig ist, der größte japanische Arbeitgeber in der Stadt. Aus der Wendenstraße leitet der Konzern sein Europa-Geschäft mit 44 Tochtergesellschaften. Die Olympus Europa Holding beschäftigt rund 4700 Mitarbeiter. In Deutschland arbeiten 1870 Beschäftigte, davon der Großteil mit 1688 in Hamburg. In der Hansestadt betreibt das Unternehmen auch seine einzige Produktionsstätte. In Jenfeld werden Endoskope für die Medizintechnik produziert. 660 Menschen finden hier einen Arbeitsplatz.

Europa ist für Olympus traditionell ein wichtiger Absatzmarkt, der etwa die Hälfte des Konzernumsatzes beisteuert. Im Geschäftsjahr 2010/11 wurde der Umsatz der Olympus Europa auf 1,31 Milliarden Euro beziffert. Olympus gehört zu den weltweit führenden Herstellern von Medizintechnik und Kameras. Mit seinen Endoskopen ist der Hersteller ein wichtiger Ausstatter von Krankenhäusern. Die Mitarbeiter von Olympus scheinen mit ihren Arbeitsplätzen so zufrieden zu sein, dass die zuständige Gewerkschaft Ver.di in dem Haus kaum etwas zu tun bekommt.

Die Unruhe auf den Fluren der Europa-Zentrale ist angesichts der Vorwürfe groß. "Die Nachricht hat uns alle überrascht", sagt Kaufmann, der seit 2003 für die Olympus-Holding tätig ist, 2008 in die Geschäftsführung berufen wurde und unter anderem für Finanzen und Personal zuständig war. Die Beschäftigten sind verunsichert, so Kaufmann. Doch auch er kann nicht voraussagen, welche Entwicklung die Affäre nehmen wird: "Die Verantwortlichen in Tokio müssen jetzt die Untersuchungskommission voll unterstützen, damit die Vorfälle rückhaltlos aufgeklärt werden können. Dann müssen Konsequenzen gezogen werden und danach das Vertrauen der Aktionäre und Kapitalmärkte wiederhergestellt werden."

Den Stein der Affäre ins Rollen brachte wiederum der oberste Olympus-Chef Michael Woodford, der noch bis März die Hamburger Europa-Zentrale geleitet hatte und dann nach Japan berufen wurde. Ihm war die Höhe eines Beraterhonorars bei der Übernahme des Medizintechnikanbieters Gyrus aufgefallen. Die bezahlten 687 Millionen Dollar stellten fast ein Drittel des Kaufpreises dar. Üblich sind indes maximal ein bis zwei Prozent, also nicht mehr als 40 Millionen Dollar. Auch der Zukauf dreier einheimischer Firmen brachte ihn ins Grübeln. Woodford kontaktierte die britische Börsenaufsicht und forderte den Olympus-Verwaltungsratschef Tsuyoshi Kikukawa zum Rücktritt auf. Für diese Forderung wurde Woodford schließlich selbst gefeuert, "wegen Management-Differenzen". Das FBI fahndet wiederum in dem Fall.

Auch in Hamburg hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen drei ehemalige Manager der Olympus Europe Holding erhoben. Den Männern wird "schwere Untreue" vorgeworfen. Sie sollen 2003 vier Rechnungen in Höhe von insgesamt 640 000 Euro angewiesen haben, ohne dass Olympus dafür eine Gegenleistung erhalten habe, sagt der Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers dem Abendblatt. Das Verfahren sei 2008 eingeleitet worden. "Die Fälle stehen allerdings in keinem Zusammenhang mit den aktuellen Vorfällen in Japan", meint Möllers. Zur damaligen Zeit leitete Werner Teuffel Olympus Europa. Auch Kaufmann sieht bei den Hamburger Fällen keinen Zusammenhang mit den aktuellen Vorfällen in Japan. Die Unregelmäßigkeiten seien bei einer Außenprüfung des Finanzamtes 2008 entdeckt worden. Nach einer betriebsinternen Überprüfung seien die entsprechenden Unterlagen der Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden.

Ob infolge des aktuellen Skandals in Japan auch Arbeitsplätze in Hamburg wegfallen, sei reine Spekulation, sagt Kaufmann. "Wir haben in den vergangenen Jahren massiv Arbeitsplätze aufgebaut. Jährlich wurden in Deutschland fast 100 neue Stellen geschaffen. Aktuell suchen wir in Hamburg für 30 neue Stellen weitere Mitarbeiter. Zudem erwarten wir uns von Produkteinführungen im Kamera- und Endoskopiebereich weiteres Wachstum."

Grundsätzlich macht sich der Europa-Chef um die Existenz von Olympus keine Sorgen: "Olympus ist ein sehr reelles Unternehmen mit Produktionsstätten, Produkten, die sinnstiftend sind, und weltweit 35 000 Mitarbeitern." Geschäftsführer Kaufmann versucht deshalb beim Gang durch die Firmenflure derzeit seine Mitarbeiter zu motivieren, ihre Arbeit in gewohnter Qualität fortzusetzen. Der Geschäftsführer macht allen Mut: "In der jüngsten Wirtschaftsgeschichte in Deutschland hat sich manches Unternehmen in schwieriger Position befunden, das aus einer Krise wieder gestärkt herausgekommen ist."