Der neue Industriechef Michael Westhagemann setzt auf Innovationen und mehr Kinderbetreuung. Er sieht für Hamburg bester Möglichkeiten.

Hamburg. Wenn Michael Westhagemann über Hamburg spricht, gerät er gerne ins Schwärmen. Der weit gereiste Manager sieht für die norddeutsche Metropole beste Möglichkeiten, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa wirtschaftlich eine wichtige Rolle zu spielen. "Hamburg ist heute mit seinem Hafen, der Luftfahrt, den grünen Technologien und der Medizintechnik ein starker Industriestandort und besticht durch seine traditionelle Offenheit und Internationalität. Unser Ziel ist es, Hamburg weiter zu einer modernen, innovativen Stadt zu entwickeln, wie es auch die Politik anstrebt", umreißt der neue Vorsitzende des Hamburger Industrieverbands (ivh) seinen Wunsch, die Hansestadt trotz Sparzwangs nach vorne zu bringen.

Der gebürtige Münsterländer lebt seit gut sieben Jahren in Hamburg und leitet die Hamburger Siemens-Niederlassung für den Norden. Dass ihn sein Berufsweg nach längeren Aufenthalten in Asien und München nach Hamburg - und damit in seine Lieblingsstadt - geführt hat, ist für den 54-Jährigen ein "absoluter Glücksfall". So musste der gelernte Starkstromelektriker und Informatiker auch nicht lange überlegen, die Nachfolge von seinem ivh-Vorgänger Hans-Theodor Kutsch zu übernehmen, der Anfang September nach seinem Ausscheiden bei der Firmengruppe Otto Krahn sein Mandat niedergelegte hatte. Da ein ehrenamtlicher Posten als Verbandschef neben seiner hauptberuflichen Aufgabe als Konzernlenker für den Norden viel Zeit in Anspruch nehmen und ihm weitere Abendtermine bescheren dürfte, sprach er sein Vorhaben zunächst mit seiner Frau ab. Als sie ihm das O. K. gab, nahm er die Wahl als Vorsitzender gerne an.

Möglicherweise könnte Westhagemann bald auch zum Vizepräses der Handelskammer aufrücken, nachdem auch dieser Platz durch den Rückzug von Kutsch frei geworden ist. Noch ist darüber nicht entschieden. "Ich wäre aber bereit, das Amt anzunehmen", sagte Westhagemann dem Abendblatt und fügte hinzu: "Sehr gerne sogar."

Schon heute sitzt Westhagemann im Plenum der Handelskammer und ist Vorstand in zahlreichen Stiftungen und Unternehmensverbänden im Norden. Auch sein Arbeitgeber Siemens hat nichts gegen sein Ehrenamt einzuwenden. Der Konzern hat jüngst Hamburg zu seinem weltweiten Hauptsitz für alle Windenergieaktivitäten gemacht.

Der neue Chef des Industrieverbands sieht sich grundsätzlich in der Tradition seiner Vorgänger. Die Entwicklung des Hafens mit allen Verkehrsprojekten wie die Elbvertiefung, Y-Trasse oder Hafenquerspange, Bürokratieabbau und Industrieförderung stehen weiter auf der Agenda. Wenngleich Westhagemann für einen Großkonzern tätig ist, sind ihm die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen wichtig, die in der Hansestadt die Mehrheit darstellen. Sie sollen im Verband eine Plattform bekommen, besseren Zugang zu Universitäten und Forschung. Für alle Mitglieder gelte aber: "Wir wollen die Interessen der Hamburger Industrie künftig noch stärker in Berlin und Brüssel vertreten."

Damit der Kurs Hamburgs zu einer modernen Stadt erfolgreich wird, ist es nach Ansicht von Westhagemann vor allem wichtig, auf Bildung zu setzen. Dies sei auch für die Neuansiedlung von Unternehmen ein wichtiges Argument. "Neben einer guten Infrastruktur prüfen die Firmen, ob sie an dem Standort genügend qualifizierte junge Menschen antreffen", weiß der Manager. "Unser Ziel muss sein, jeden Schulabgänger in eine Ausbildung zu bringen."

Die Hansestadt brauche zudem ein breites Angebot an Hochschulen, um auch für Studenten aus dem Ausland attraktiv zu sein. Denn angesichts des Geburtenrückgangs und Fachkräftemangels werde mittelfristig die Zahl der Ingenieure nicht ausreichen. Gleichzeitig appellierte Westhagemann dafür, für ausreichend "bezahlbaren Wohnraum und eine gute Kinderbetreuung" zu sorgen. Junge Familien müssten während ihrer Arbeitszeiten sicher sein, dass ihre Kinder betreut werden. "Das größte Kapital sind unsere jungen Menschen."

Grundsätzlich erwartet Westhagemann nicht, dass sich in der Hansestadt in Zukunft große Produktionsstätten ansiedeln werden. Vielmehr sei mit weiteren Unternehmen zu rechnen, die in der Forschung und Entwicklung tätig seien oder in Hamburg ihre Hauptquartiere mit aufschlagen, wie dies im Bereich der Windenergie geschehen sei. Hierfür müssten natürlich ausreichend Flächen zur Ansiedlung bereitgestellt werden. Ebenso gehöre dazu eine gute Verkehrsinfrastruktur, zu Land, zu Wasser und auf der Schiene.

Den vor vier Jahren gemeinsam mit dem damaligen Senat aufgelegten Masterplan zur Förderung der Industrie hält Westhagemann für unverändert gültig, allerdings müsse er erweitert werden. Ein wichtiges Thema sei der Ausstieg aus der Atomkraft. "Die Energiewende stellt uns vor große Herausforderungen." Gemeinsam mit Berlin und Brüssel müsse die "Energieversorgung zu verträglichen Kosten für die Unternehmen" gesichert werden, um den Industriestandort Deutschland nicht zu gefährden. Hierfür bedürfe es eines schnellen Netzausbaus.

Allerdings glaubt Westhagemann nicht, dass Atomkraft allein durch erneuerbare Energie ersetzt werden könne. "Fossile Kraftwerke sind weiter notwendig." Das Kraftwerk Moorburg sei deshalb für die Versorgung Hamburgs wichtig. Der Industrieverband sieht in dieser Frage aber auch mehr Aufklärungsbedarf für die Bevölkerung. Wer die Atomkraft abschalte, brauche Ersatz. Dafür seien dann aber neue Stromtrassen und intelligente Netze notwendig, um regenerative Energien anzuschließen.

Seine Vision für Hamburg? "Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Stadt über alle Branchen zu entwickeln." Das gelte auch für die derzeit kriselnden Werften. "Wir müssen etwas gemeinsam bewegen. Stillstand ist immer Rückschritt."