Der Hamburger Gerd Rindchen betreibt einen der größten deutschen Weinhandel. Eine weitere Expansion in naher Zukunft ist in Planung.

Hamburg. Mit Traugott hat für Gerd Rindchen alles angefangen, damals, in den wilden 70ern. Für seine erste große Liebe fuhr der damals 18-Jährige regelmäßig Hunderte Kilometer aus seiner Heimat Bremerhaven in den Süden. Für sie verdiente der blonde Junge aus dem Norden sogar sein erstes Geld. Schon während der Schulzeit besuchte Gerd Rindchen Winzer, verkaufte ihre besten Tropfen an Freunde seiner Eltern, und finanzierte sich so seine frühe Leidenschaft: einen schnuckeligen VW Bulli namens Traugott.

"Eigentlich bin ich ja in Bremerhaven mit Haake-Beck sozialisiert worden", erzählt Rindchen und schüttelt sich bei der Erinnerung an erste Biererfahrungen. Doch immerhin stammt seine Familie ursprünglich aus der Pfalz, da war auch dem Jüngsten die Liebe zum Wein in die Wiege gelegt. Die Ausflüge in die Weinberge faszinierten den jungen Mann zunehmend. Das Probieren mit den Winzern, der Duft des ersten Glases nach der langen Fahrt, immer neue Geschmackserlebnisse wurden für Rindchen neben Kultauto Traugott bald zur zweiten Passion.

Dann versuchte er sich in Versicherungen, verdiente sich mit Gedichten etwas dazu, aber schon bald war für Rindchen klar: Er wollte seine Liebe zum Wein zum Beruf machen. Heute besucht der Mann mit den feinen Lachfältchen um die Augen die Weingüter noch immer. In vielen Familienunternehmen hat bereits die nächste Generation das Sagen, Rindchen trifft auf die Söhne und Töchter seiner Geschäftspartner von damals, zugleich ist das einstmals unbedarfte Nordlicht zu einem der größten Weinhändler Deutschlands aufgestiegen. Und wurde kürzlich sogar zum "Fachhändler des Jahres" gekürt. "Ich bin reiner Autodidakt, aber ein besonderes Talent für Sensorik hatte ich wohl schon immer", sagt Rindchen über seine Gabe, gute Tropfen an Duft und Geschmack zu erkennen.

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Sein Sortiment umfasst heute 550 Weine aus aller Welt. Sechs Millionen Flaschen verkauft der 52-Jährige im Jahr davon, in neun eigenen und zwölf Partnerkontoren, über Handelsketten wie Rossmann und Strauss Innovation und nicht zuletzt über das Internet. Vergangene Woche eröffnete er im Hafen zudem sein erstes Outlet. Dort gibt es Restposten günstiger, etliche Flaschen schon für drei Euro.

"Mittelfristig sind für unsere Partnerkontore 40 bis 50 Standorte in Deutschland denkbar", sagt der rührige Unternehmer über sein Konzept, selbstständige Kaufleute zu beliefern und so mehr Wein zu verkaufen, ohne selber viel investieren zu müssen. Auch renommierte Hamburger Gastgeber wie Cornelia Poletto, die Uhlenhorster Weinstube oder die Familie Kowalke vom Fischereihafen Restaurant haben Rindchen-Weine auf der Karte.

Im vergangenen Jahr hat die Firma mit Sitz in Bönningstedt über all ihre Vertriebsschienen 19 Millionen Euro erlöst. Bei den größten deutschen Weinfachhändlern rangiert Rindchen damit unter den ersten fünf. Unangetastet führend ist Hawesko/Jacques' Weindepot, ebenfalls aus Hamburg, mit einem Umsatz von 378 Millionen Euro. "Wir werden unsere Erlöse aber weiter zweistellig steigern", schätzt Christoph Dippe, der neben Gerd und seiner Frau Christine Rindchen als dritter Gesellschafter an dem Familienunternehmen beteiligt ist und sich um die Zahlen kümmert. Der Optimismus in der Rindchen-Familie, wie der Gründer sein Unternehmen mit inzwischen 100 sich ausschließlich mit "Du" ansprechenden Mitarbeitern nennt, verwundert angesichts ansonsten trüber Aussichten: Der Weinkonsum der Deutschen stagniert seit Jahren. Wäre da nicht die besondere Stärke der Firma, dank der jahrelangen Zusammenarbeit mit den Winzern, etliche eigene Produkte zu kreieren. In der Kunst, verschiedene Rebsorten miteinander in einer Cuvée zu kombinieren, hat sich Rindchen als Berater der Winzer einen Namen gemacht. Er sieht sich als Förderer kleinerer, unbekannterer Erzeuger aus der zweiten Reihe, als "Trüffelschwein für junge Winzer", und will das Getränk mit günstigen Preisen "demokratisieren". Privat schenkt der Genießer am liebsten Riesling, Grünen Veltliner und Sauvignon Blanc ein, wenn er wie so oft Freunde zu selbst gekochten Pasta oder Fisch nach Eimsbüttel einlädt.

Schon bald holt Rindchen wieder etliche seiner Zöglinge nach Hamburg - zur Weinmesse VinoRell am 29. und 30. Oktober, bei der sich 110 Winzer aus Deutschland und der Welt präsentieren. Ein Trend dort wird Roséwein sein. Von Marketingstrategen, die enorme Summen in Werbung investieren, "prachtvolle Weinschlösser errichten oder sich in der wohligen Selbstgewissheit der Zugkraft ihres uralten Adelsnamens räkeln", hält der selber eher uneitle Rindchen dagegen nichts. Die bekannten Kultstars der internationalen Szene wie Antinori oder Rothschild suchen die Kunden bei ihm denn auch vergebens, da bleibt sich Rindchen auch nach Jahrzehnten als Weinhändler treu. Wie übrigens auch seiner ersten Liebe Traugott. Rindchen rollert noch immer mit einem Original-Bulli durch Hamburg, nur ein kleines Zugeständnis an die auch bei Autos begrenzte Lebenszeit musste er machen: Inzwischen setzt er sich ans Steuer von Traugott Nummer drei.