Die Furcht vor einer Rezession sorgt für große Nervosität an den Märkten. Kurse für Industriemetalle und Rohöl sinken deutlich

Hamburg. Die Unsicherheit über die Zukunft Griechenlands belastet die Stimmung an der Börse und den Rohstoffmärkten immer stärker: Der DAX gab gestern einen Großteil seiner Erholungsgewinne aus der Vorwoche wieder ab. Insbesondere die Lage bei den Banken beunruhigte die Händler, sodass der deutsche Leitindex im Sog fallender Finanzwerte um drei Prozent auf 5217 Punkte absackte. Analyst Justin Urquhart Stewart von Seven Investment Management warnte: "Die Politiker müssen jetzt hinter den Banken stehen und das System am Leben halten. Andernfalls droht uns eine neue Finanzkrise."

Auch an den Rohstoffmärkten brauchen die Anleger starke Nerven. Die Kurse befinden sich auf Achterbahnfahrt. Nach zum Teil starken Anstiegen seit Jahresanfang gibt es überraschende Rückschläge. So hat Gold seinen Rekordstand hinter sich gelassen, aber auch Silber, Platin oder Kupfer sowie der Ölpreis haben sich längst von ihren Jahreshöchstwerten verabschiedet. Die Auszahlung der nächsten Kredittranche an Griechenland dürfte sich verzögern, nachdem am Wochenende bekannt wurde, dass die gesetzten Defizitziele von Athen erneut verfehlen werden. Dies schürt Ängste vor einem Staatsbankrott und vor einer weltweiten Rezession.

Seit Anfang 2011 hat sich Gold, das als Depotbeimischung zum Inflationsschutz verwendet wird und in Krisenzeiten als stabile Wertanlage gilt, zwar um 15 Prozent verteuert und kostete gestern 1670 Dollar je Feinunze. Anfang September kostete diese Menge noch 1920 Dollar. Nach Ansicht von Analysten sei eine schnelle Rückkehr zu diesem Rekord indes nicht zu erwarten. Dagegen spricht laut Commerzbank unter anderem, dass der Goldpreis mittlerweile 190 Dollar höher liegt als das traditionell wertvollere Platin. Diese seltene Konstellation könnte Investoren eher in Platin locken.

"Weltweit herrscht unter den Investoren die große Sorge, dass die Wirtschaft in eine Rezession abrutscht", sagt Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst der Commerzbank. "Verschlechtern sich die Konjunkturaussichten weiter, dürften auch die Rohstoffkurse weiter fallen. Wird eine Rezession vermieden, könnten die Preise ihren Boden erreicht haben." Doch genau will sich derzeit kein Analyst auf Prognosen einlassen. Vieles hänge davon ab, wie sich die europäische Schuldenkrise, die Lage in Griechenland, aber auch die US-Konjunktur entwickele, sagt der Rohstoffexperte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Leon Leschus. "Bricht die Konjunktur ein, verstärkt sich die Angst, dass auch die Industrieproduktion einbricht." Und dies drücke auf die Kurse. Auch Übertreibungen prägen das Geschehen. "Der Markt versucht die Entwicklung in der Zukunft - also für das Jahr 2012 - vorwegzunehmen", meint der Rohstoffexperte der Hamburger Sparkasse, Ingo Schmidt: "Prognosen sind deshalb derzeit schwierig. Der Markt ist sehr volatil." Aussagen von Notenbankern oder Politikern könnten schnell zu kräftigen Ausschlägen in jede Richtung führen.

Die Furcht vor abnehmenden Wirtschaftsaktivitäten drückt auch den Ölpreis. Für die Sorte Brent ist er gestern auf gut 100 US-Dollar je Barrel (159 Liter) gefallen. Das ist der niedrigste Stand seit acht Wochen. Gleichzeitig scheint sich das Angebot am Ölmarkt schneller zu entspannen als von vielen gedacht. Das betreffe insbesondere Libyen, sagte Karin Retzlaff vom Mineralölwirtschaftsverband (MWV). Von den niedrigeren Kosten für Öl profitieren die Autofahrer. Der Benzinpreis ist in den vergangenen Tagen um rund vier Cent gesunken. Kupfer fiel mit 6636 Dollar je Tonne auf ein 14-Monats-Tief.

Die vorübergehende Flucht aus den Rohstoffen ist für manche Anleger aber auch nur eine unfreiwillige Maßnahme, um anderweitig erlittene Verluste im Portfolio, zum Beispiel auf den stark gebeutelten Aktienmärkten, auszugleichen, sagt Fritsch von der Commerzbank. Dabei würden manchmal auch eigentlich gut laufende Positionen abgestoßen und "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet". Manche Anleger setzen jetzt aber auch wieder verstärkt auf Bargeld. Getreu dem Motto "Cash is King" würden Anlagen abgestoßen, um schnell auf Änderungen am Markt reagieren zu können. "In Zeiten extremer Anspannung gibt es keinen Ersatz für Liquidität", sind Analysten überzeugt.

Besonders stark sind von den Rückgängen auch Industrierohstoffe betroffen wie Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zinn oder Zink. Viele Anleger treibe die Frage um, wie sich die Konjunktur in den Schwellenländern - insbesondere in China - entwickele, die zu den großen Abnehmern von Rohstoffen zählen, sagt der HWWI-Experte Leschus. Der Hamburger Kupferproduzent Aurubis sieht sich durch die stark schwankenden Preise in seinem Erfolg bisher nicht beeinflusst. "Die Höhe der Kupferpreise selbst spielt für uns so gut wie keine Rolle. Wir kaufen und verkaufen zum aktuellen Kurs - der Kupferpreis ist also quasi ein durchlaufender Posten", erläutert die Aurubis-Sprecherin Michaela Hessling. "Unser Ergebnis machen wir mit den sogenannten Schmelzlöhnen, die wir für die Verarbeitung der Rohstoffe erhalten, und den Margen für die Produktherstellung."

Trotz der vielen Aufs und Abs an den Märkten erwarten Analysten und Volkswirte auf lange Sicht weiter steigende Preise - und begründen dies mit ganz realen Fakten. "Die Weltbevölkerung wächst. Der Wohlstand der Schwellenländer wird steigen. Dazu ist ein weiterer Ausbau der Infrastruktur erforderlich, für die weitere Industrierohstoffe gebraucht werden", erläutert der HWWI-Rohstoff-Experte Leschus: "Langfristig ist für Industriemetalle deshalb eher mit steigenden Preisen zu rechnen."