Klaus Vorwerk ist Chef der Hafenlotsenbrüderschaft. Tausende Schiffe bringen er und seine Kollegen jährlich an die Kais und zurück auf die Elbe.

Hamburg. Er ist erstaunlich gelenkig für einen Herrn von 61 Jahren. Behende tritt Klaus Vorwerk von der Lotsenbarkasse auf das Deck der "Fjord One". Beide Schiffe fahren gerade die Elbe hinauf. Es schaukelt kräftig, als sich die Bordwände einander nähern. Vorwerk kennt das. Der Ältermann der Hafenlotsenbrüderschaft Hamburg hat es Tausende Male getan.

Oben auf der Brücke begrüßt Vorwerk Kapitän Patrik Ulmfelt, 44. Der Tanker mit Heimathafen im schwedischen Göteborg ist 68 Meter lang und zehn Meter breit. Einen Lotsen braucht das Schiff zwingend vor allem deshalb, weil es Gefahrgut in den Hamburger Hafen transportiert. Mit 1100 Tonnen Bunkeröl soll die "Fjord One" am Terminal der Ölmühle von ADM bei der Köhlbrandbrücke den Massengutfrachter "Astra" auftanken. Auf dem Rückweg in die Ostsee nimmt der Tanker aus der Hamburger Holborn-Raffinerie eine Ladung Brennstoff für Kreuzfahrtschiffe in Travemünde mit.

Vorwerk sitzt neben Ulmfelt auf der Brücke, hört den Hafenfunk auf Kanal 74 ab und beobachtet sorgsam die Fahrrinne. Die "Fjord One" ist relativ klein, verglichen mit den bis zu 366 Meter langen Containerschiffen oder den Massengutfrachtern, die von Lotsen sicher in den Hafen hinein- und wieder herausgebracht werden. Aber auch das erfordert volle Konzentration. "Vor allem Sportbootfahrer unterschätzen, wie schnell ihnen ein Frachtschiff in die Quere kommen kann", sagt Vorwerk. "Je kleiner der Frachter oder Tanker ist, desto schneller geht das."

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Mit dem Kapitän plaudert der Ältermann nebenbei über die neuesten Nachrichten aus dem Hafen. Zwischendurch ruft er über Funk ein Küstenmotorschiff an, neben dem die "Fjord One" gerade links vorbeizieht. Der Lotse teilt dem Kapitän des anderen Schiffs mit, dass die "Fjord One" nach rechts in den Köhlbrand einbiegen will. Der Küstenfrachter drosselt seine Fahrt, um das Abbiegemanöver nicht zu behindern.

Oft schon war Kapitän Ulmfelt im Hamburger Hafen. "Am Anfang war das für mich schwierig, weil es hier keine Verkehrskontrolle wie in anderen Häfen gibt. Man muss erst herausfinden, wie das System in Hamburg funktioniert. Mittlerweile klappt das prima."

Auch dank der Hamburger Hafenlotsen, die an der Stadtgrenze die Schiffe von den Elblotsen in Empfang nehmen. Auf der Elbe kommt oft und schnell dichter Verkehr auf. An Spitzentagen registriert die Lotsenstation auf der Dradenau bis zu 100 Bewegungen von Seeschiffen mit Lotsenpflicht. Hinzu kommen sogenannte "Freifahrer", die ohne Lotsen unterwegs sind, Binnenschiffe, Hafenfahrzeuge, Sportboote. Rund 10 000 Schiffsanläufe von außen wurden in Hamburg 2010 gezählt.

Was von Land aus geruhsam anmuten mag, kann auf dem Wasser schnell kritisch werden. Die "Fjord One" fährt den Köhlbrand hinauf zu ihrem Zielort. Zwei Motoryachten kommen ihr auf der anderen Seite des Fahrwassers entgegen. Vorwerk lässt den Kapitän zweimal Signal geben, das bedeutet "ändere meinen Kurs nach backbord", abbiegen nach links. "Die Sportboote würden das sonst vielleicht zu spät merken", sagt er.

Aufmerksam beobachtet der Lotse das Geschehen im Hafen. Vor fast 40 Jahren hat Vorwerk sein Kapitänspatent gemacht, dann fuhr er zur See, bis er 1987 bei den Hamburger Hafenlotsen anheuerte. Seit vier Jahren ist er als Ältermann der Chef einer 75-köpfigen Mannschaft von Spezialisten. Der Hafenbetrieb hat sich seit den 80er-Jahren stark verändert. Die Zahl der Schiffe, vor allem der Containerfrachter, nahm drastisch zu. Und auch deren Größe. Seit dem vergangenen Jahr laufen immer mehr Containerschiffe der neuesten Generation Hamburg an, die 366 Meter Länge sowie fast 50 Meter Breite messen. Die Zeitfenster an den Terminals werden durch die Abmessungen der Schiffe und deren zunehmende Zahl immer kleiner.

Denn die Elbe setzt Limits. Eine addierte Breite zweier Schiffe von 90 und mehr Metern gilt bei den Hafenlotsen als kritisch. Das aber erreichen die Großfrachter ohne Weiteres, wenn sie auf der Elbe einander passieren. Hinzu kommt das Problem des Tiefgangs: Bei auflaufender Flut können Schiffe bislang nur mit maximal 13,50 Meter Tiefgang auslaufen. Nach der geplanten Elbvertiefung sollen es 14,50 Meter sein. Westlich von Wittenbergen soll zudem eine etwa sieben Kilometer lange Zone für die Begegnung von Großschiffen eingerichtet werden. "Die Verbreiterung der Fahrrinne ist für uns genauso wichtig wie die Vertiefung", sagt Vorwerk. Beide Baumaßnahmen schaffen den dringend nötigen Spielraum, um die Frequenz vor allem bei der Abfahrt großer Containerschiffe erhöhen zu können. Noch aber liegt die genehmigte Planung für den Ausbau nicht vor.

Die Anforderungen an die Hafenlotsen steigen mit den Schiffsmaßen. Auch Vorwerk sucht sich regelmäßig dicke Pötte heraus, um in Übung zu bleiben. Etwa 50 Schiffe im Jahr lotst der Ältermann neben seinen zahlreichen anderen Verpflichtungen in den Hafen. Bei den Containerschiffen der neuesten Generation werden mitunter zwei Schlepper vorn und zwei hinten angehängt, ähnlich wie bei Manövern mit den schwerfälligen und weniger stark motorisierten Massengutfrachtern. Vor allem die Wendebewegungen vor dem Anlegen an den Terminals erfordert höchstes Können von den Hafenlotsen.

Erst im siebten Berufsjahr dürfen die Lotsen Schiffe mit mehr als 350 Meter Länge im Hafen dirigieren. Im Simulator werden sie auch danach weiter trainiert. "Wir üben da zum Beispiel auch mal Meinungsverschiedenheiten über nautische Fragen zwischen Kapitän und Lotse, um auf alle Fälle vorbereitet zu sein", sagt Vorwerk. Der Lotse trägt die Verantwortung für das, was er auf der Brücke anordnet.

Die "Fjord One" geht mit ihrer Steuerbordseite, der rechten Bordwand, mittlerweile längsseits des Massengutfrachters "Astra", der eine Ladung Raps zur Ölmühle gebracht hat. Kapitän Ulmfelt dirigiert über Funk seine Männer am Bug für das Anlegemanöver. Vorwerk bläst zweimal in seine Trillerpfeife. Seeleute der "Astra" kommen kauend aus dem Brückenhaus vom Mittagessen und nehmen die Leinen der "Fjord One" entgegen. Nachdem der Frachter festgemacht hat, erledigt Vorwerk mit Kapitän Ulmfelt noch einige Formalitäten. Dann bereitet er sich auf den Umstieg zur "Astra" vor, um von dort aus wieder an Land zu gehen.

An der schmuddeligen Bordwand des Massengutfrachters wird eine Strickleiter aus Bast mit Holzstufen heruntergelassen. Das ist Vorwerk denn doch nicht genehm. Zwei Seeleute der "Fjord One" holen eine Aluleiter, stellen sie auf einen der alten Lastwagenreifen, die an der Bordwand des Tankers als Fender dienen, und halten sie fest. Mehr als 15 Meter über der Wasserlinie klettert Vorwerk, der bereits mehrfacher Großvater ist, von einem Schiff zum anderen. Der Lotse geht von Bord. Wie ein Senior wirkt er dabei nicht, der Ältermann der Hamburger Hafenlotsenbrüderschaft.

Alle Folgen der Serie: www.abendblatt.de/hafenreport