Die Hamburger Firma 3B Scientific ist Weltmarktführer für anatomische Lehrmittel. Ihr Luxusmodell hat sogar einen eingebauten Bandscheibenvorfall

Hamburg. Dicht an dicht stehen Dutzende Skelette hintereinander aufgereiht in einem von außen unauffälligen Gebäude in Hamburg-Lohbrügge. Aus Kartons ragen die Knochen unzähliger Hände, Arme und Beine. Doch das ist nicht das Werk eines Serienkillers oder der Eingang zu einem Gruselkabinett. Die Knochen sind alle künstlich, gefertigt im Unternehmen 3B Scientific - nach eigenen Angaben Weltmarktführer für anatomische Lehrmittel. Vom Firmensitz in der Hansestadt aus gehen die Skelette, Torsos und Organmodelle an Schulen, Universitäten und Arztpraxen in mehr als 100 Ländern.

Verkaufsschlager ist "Stan", das Standardmodell seit mehr als 50 Jahren. Der 1,70 Meter große Knochenmann wird allerdings aus Kostengründen in China und Budapest hergestellt, 25 000 Stück werden jedes Jahr verkauft. Die Luxusvariante "Sam" dagegen entsteht 5000-mal pro Jahr in der Hamburger "Knochenfabrik". Er besitzt Gelenkbänder, handbemalte Muskelansätze, eine flexible Wirbelsäule plus eingebauten Bandscheibenvorfall zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbel. "Er kann sogar lachen", sagt Geschäftsführer Otto Gies augenzwinkernd und bewegt den Kiefer des Knochengerüsts.

Für das Zusammenschrauben der Knochen zuständig ist Evelin Porsch. Noch hat "Sam" keinen Schädel, nur der Rumpf ist vorhanden. Flink schiebt die Arbeiterin eine Ringschraube zwischen Becken und Bein, setzt eine Mutter obendrauf. "Ich schaffe zwölf Skelette pro Tag", erzählt Porsch und greift zum nächsten künstlichen Oberschenkel.

Skelette sind zwar das meistverkaufte Produkt der Firma 3B Scientific, doch die Palette ist viel breiter: Augen mit Lid und Tränendrüse lassen sich auseinanderbauen, Gehirne in mehrere Teile zerlegen, bösartige Tumore an Brustmodellen ertasten und an einem Geburtssimulator kann man eine Entbindung bei Steißlage üben. Auch künstliches Fruchtwasser oder Nabelschnüre sind zu haben.

Philip Uebelacker ist für die Muskelfiguren zuständig. In einem riesigen Ofen erhitzt der 25-Jährige einen Arm bei 80 Grad, damit sich das Material leichter bearbeiten lässt. Eineinhalb Jahre arbeitet der junge Mann erst bei 3B Scientific. Hunderte so naturgetreue Arme und Hände zu bearbeiten, ist für ihn nichts Seltsames: "Das ist Alltag", sagt er, nimmt mehrere rote Muskeln und befestigt sie an dem warmen Arm.

Wenige Meter weiter ist die "Babyfabrik" für die europäische Krankenpflegeausbildung. Sieben kleine Oberkörper liegen auf einem Tisch nebeneinander. Mitarbeiterin Beate Stiller greift zu einem kleinen Akkuschrauber und befestigt einen Bauch an einen der Oberkörper. Eine Stunde braucht sie, bis eine Puppe fertig montiert ist und in einer blauen Tasche auf die Reise zum Kunden geht.

Seit 1948 gibt es das Hamburger Unternehmen. Damals verarbeitete Firmengründer Paul Binhold den Kunststoff von Pferdegasmasken der Wehrmacht zu Skeletten. Heute arbeiten insgesamt rund 600 Festangestellte für 3B Scientific, davon 200 in Deutschland. Neben Hamburg gibt es unter anderem Niederlassungen in Dresden und Klingenthal (beide Sachsen).

Der weltweite Umsatz lag 2010 bei 62,6 Millionen Euro, in diesem Jahr werden 70 Millionen Euro erwartet. Nur acht Prozent des Umsatzes macht die "Knochenfabrik" im deutschsprachigen Raum. Der Gruppengewinn vor Steuern lag im vergangenen Jahr bei 5,8 Millionen Euro. Dieses Ergebnis werden die Hamburger aber in diesem Jahr nicht halten können, erwartet werden wegen hoher Investitionen in eine neue Software drei Millionen Euro. "Vor allem in Brasilien, Indien und Südostasien wachsen wir überproportional", berichtet Geschäftsführer Gies. Weitere Niederlassungen, etwa in Afrika und Indonesien, sind geplant.