In Deutschland gab es nur noch minimales Wachstum im zweiten Quartal. Aber Hamburg geht es vergleichsweise gut, sagen Experten.

Hamburg. Damit hatten die Experten nicht gerechnet: Der Aufschwung in Deutschland ist im zweiten Quartal fast zum Halten gekommen. Zwar legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegenüber dem Vorjahresquartal immerhin noch um 2,8 Prozent zu, im Vergleich zu den ersten drei Monaten 2011 ergab sich aber nur noch ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent. Das Abendblatt fragte Fachleute, was diese Zahlen für die deutsche Konjunktur und für Hamburg bedeuten.

Ist das das Ende des Aufschwungs?

Nein, meint Carsten Klude, Chefökonom beim Hamburger Privatbankhaus M.M.Warburg & CO: "Wir werden auch im zweiten Halbjahr noch leichtes Wachstum in Deutschland haben, allerdings in sehr viel geringerem Maß als in den ersten sechs Monaten."

Michael Bräuninger, Konjunkturchef beim Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), stimmt dieser Einschätzung zu: "Auch in der zweiten Jahreshälfte werden wir keine Stagnation sehen." Obwohl die Frühindikatoren mittlerweile nach unten zeigen, erwartet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer, "dass wir ein im historischen Vergleich immer noch kräftiges Wachstum erreichen werden", wie Krämer der Nachrichtenagentur Reuters sagte.

Warum ist das Wachstum eingebrochen?

Hierzu liefert das Statistische Bundesamt keine exakten Daten, sondern nur qualitative Hinweise. So seien die Importe zwischen April und Juni stärker gestiegen als die Exporte, sodass der Außenhandel einen insgesamt negativen Wachstumsbeitrag lieferte. Auch der private Konsum und die Bauinvestitionen hätten die Wirtschaft gebremst. So hätten die Baufirmen "im ersten Quartal von einer ungewöhnlich milden Witterung profitiert", erklärte Krämer. "Diese Nachfrage fehlte jetzt." Die Bauinvestitionen liefern rund zehn Prozent des deutschen BIP.

Die Konsumneigung habe offenbar unter dem zeitweise hohen Ölpreis und den dadurch angeheizten Inflationsbefürchtungen gelitten, vermutet Bräuninger. Zudem habe die EHEC-Krise die Einzelhandelsumsätze im Mai spürbar gedämpft, so Klude. "Insgesamt muss man beim Blick auf die BIP-Zahlen aber die beiden ersten Quartale des Jahres 2011 im Zusammenhang sehen", meint Bräuninger. "Das erste Vierteljahr war eben außergewöhnlich stark."

Wie geht es mit der Konjunktur weiter?

Für Bräuninger ist es keine Frage, dass sich die Aussichten für 2012 zuletzt deutlich eingetrübt haben: "Außer der Schuldenkrise in Europa wirken sich die schlechtere Lage in den USA und die leichte Wachstumsabschwächung in den Schwellenländern aus."

Die Aktienmarktschlappe wegen der Euro-Krise und der Rezessionsängste würden das Vertrauen der Verbraucher und der Unternehmen wahrscheinlich zusätzlich negativ beeinflussen, ergänzt Christian Schulz, Analyst beim Hamburger Bankhaus Berenberg. Andererseits seien die Auftragsbücher der Firmen gut gefüllt, die Arbeitslosigkeit sei auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung, und die Inflation habe sich angesichts der wieder gesunkenen Ölpreise stabilisiert.

Für die deutsche Wirtschaft hält Krämer ein Plus von rund zwei Prozent im nächsten Jahr für möglich - "unter der Annahme, dass die Staatsschuldenkrise nicht eskaliert". Carsten Klude ist nicht so optimistisch: "Wir erwarten für 2012 nur noch ein Wachstum von etwas mehr als einem Prozent." Dies sollte ausreichen, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten.

Wie ist die Lage in Hamburg?

"Auch in Hamburg werden wir uns auf eine langsamere Gangart in der zweiten Jahreshälfte einstellen müssen", sagte Michael Thomas Fröhlich, Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverbands Nord. "Aber die Stimmung ist im Moment noch sehr gut." So liefere der starke Zuwachs in der Investitionsneigung, den Umfragen zeigten, ein gutes Fundament für weiteres Wachstum. "Auch am Arbeitsmarkt wird es weiter nach oben gehen", so Fröhlich, für die Personalplanungen stünden die Ampeln noch mindestens bis in den Herbst hinein auf Grün.

"Wir gehen davon aus, dass Hamburgs Wirtschaft in diesem Jahr überdurchschnittlich wächst", sagte Bräuninger. Für Gesamtdeutschland erwartet das HWWI ein Plus in der Nähe von drei Prozent. Zwar werde gerade die Hansestadt eine Abschwächung des Handels mit China zu spüren bekommen. "Aber das Russland-Geschäft erholt sich, und dies wirkt sich positiv auf den Hafen aus."

Wie sieht es im übrigen Europa aus?

Die lahmende deutsche Konjunktur hat auch das Wachstum in der gesamten Euro-Zone kräftig verlangsamt. So legte das BIP in den 17 Euro-Ländern im Vergleich zum Vorquartal nur um 0,2 Prozent zu, wie die europäische Statistikbehörde Eurostat mitteilte. Dabei zog Spaniens Wirtschaft um 0,2 Prozent und damit stärker als die deutsche an, Italien erreichte sogar ein Plus von 0,3 Prozent. "In Spanien hat aber die Erholung nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/009 viel später eingesetzt als in Deutschland", so Bräuninger. Außerdem würden die Sparpakete in beiden Ländern die Konjunktur künftig spürbar dämpfen.