Drohende Wirtschaftsflaute setzt Aktienmärkte unter Druck. Nur Optimisten erwarten stärkere Erholung auf 8150 Punkte bis zum Jahresende.

Hamburg. Die Anleger sehen rot. Innerhalb von nur zwei Tagen hat der Deutsche Aktienindex (DAX) fast 400 Punkte verloren. Obwohl die Schuldenkrise in Griechenland und den USA vorerst abgewendet ist, sorgte das nicht für eine positive Stimmung an den Aktienmärkten. Ganz im Gegenteil. Kaum war der Schuldenkompromiss durch das US-Repräsentantenhaus verabschiedet, begann die Talfahrt des wichtigsten deutschen Börsenbarometers.

Der DAX schloss gestern mit 6797 Punkten, ein Minus von 2,3 Prozent gegenüber dem Vortag. Angesichts der dramatischen Lage haben die Hamburger Sparkasse und das Hamburger Bankhaus M.M.Warburg & CO ihre Jahresziele für den DAX gestrichen. Danach hätte das Kursbarometer noch auf bis zu 8000 Punkten steigen sollen. Neue Kursziele wollten die Banken noch nicht nennen. "Wir befinden uns noch in der Überprüfung", sagte Annemarie Schlüter von der Haspa.

Insbesondere internationale Anleger bleiben dem deutschen Aktienmarkt fern und investieren stattdessen lieber in die neue Währung Gold. Das Edelmetall erreichte gestern mit 1632,80 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) einen neuen Höchstkurs. Allein in der vergangenen Woche wurden 72 Millionen Dollar in Goldfonds investiert. Da sie das Edelmetall erwerben und einlagern, sind diese sogenannten ETC-Fonds zu einem wichtigen Treiber für den Goldpreis geworden.

Für den Aktienmarkt sind dagegen die meisten Experten skeptisch. "Die ungelösten Probleme um die Staatsfinanzen in Europa und in den USA sowie die spürbaren Zinserhöhungen in wichtigen Schwellenländern stellen eine erhebliche Unsicherheit für die Aktienmärkte dar", sagt Gunnar Hamann von der Commerzbank. Der Schuldenkompromiss in den USA hat die Anleger nicht beruhigt. Das liegt offenbar auch daran, dass die größte Volkswirtschaft der Welt mit wirtschaftlicher Stagnation kämpft. Je schwächer die Wirtschaft wächst, umso schwieriger ist der Schuldenabbau. "Auf den USA lastet noch immer die Gefahr, dass das Land sein Spitzenrating AAA verliert", sagt die Haspa-Expertin Schlüter.

Mit den Kursverlusten der vergangenen Tage wurde im DAX die wichtige psychologische Marke von 7000 Punkten unterschritten. Zudem gilt das Kursbarometer bereits als angeschlagen, weil die Linie der Durchschnittskurse der letzten 200 Tage unterschritten wurde. "Das verunsichert die Anleger stark, doch es kann natürlich auch wieder schnell zu einer Gegenbewegung am Markt kommen", sagt Schlüter.

Dies müsse aber noch keine Kehrtwende am Aktienmarkt zum Positiven bedeuten. "Viele Frühindikatoren rund um den Globus scheinen ihren Höhepunkt im laufenden Konjunkturzyklus überschritten zu haben", sagt Heinz-Gerd Sonnenschein von der Postbank. Das heißt, der Aufschwung könnte sich schon seinem Ende zuneigen. Die Börsenampel steht nach Sonnenscheins Einschätzung auf Dunkelgelb bis Hellrot. Folglich sieht die Postbank den DAX, der wegen der Exportlastigkeit seiner Unternehmen stark von der Konjunktur in Asien und den USA abhängig ist, in den nächsten drei Monaten in einer Spanne zwischen 6600 und 6800 Punkten. Auch das weitere Aufwärtspotenzial für die nächsten zwölf Monate ist aus Sicht der Bank auf 7600 Punkte begrenzt. Diese Zielmarke hatte der DAX Anfang Mai fast erreicht.

"Das Problem ist, dass sich die Konjunktur auch in den Schwellenländern, die ein Motor für die Industrieländer sind, deutlich abgeschwächt hat", sagt Matthias Thiel vom Hamburger Bankhaus M.M.Warburg & CO. In den Schwellenländern kämpfen die Notenbanken mit hohen Leitzinsen gegen die galoppierende Inflation. Doch hohe Zinsen dämpfen die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Außerdem rechnet Thiel mit einer Rückkehr der europäischen Staatsschuldenkrise. "Die Probleme sind noch nicht gelöst." Auf ein neues Kursziel für den DAX hat sich die Bank noch nicht festgelegt.

Ganz anders sieht das Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank. Zwar sei es richtig, dass sich die Dynamik der Weltwirtschaft eingetrübt hat, "aber der Grund dafür waren äußere Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe in Fukushima, die Euro-Krise oder das Schuldenproblem in den USA". Diese Themen seien jetzt abgearbeitet. "Deshalb rechne ich damit, dass es im weiteren Verlauf des Jahres wieder zu einer Beschleunigung des weltweiten Wachstums kommen wird." Allerdings nur, wenn die Schuldenkrise in Spanien und Italien nicht erneut ausbricht, schränkt Hellmeyer ein. Für ihn ist der DAX jetzt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von neun eher unterbewertet. Der historische Durchschnitt liegt bei 13. Deshalb sieht Hellmeyer den DAX am Jahresende bei 8150 Punkten. Damit steht er im Moment ziemlich allein da unter seinen Kollegen. Allerdings haben sich gerade seine Prognosen schon oft als treffsicher erwiesen.