Unqualifizierte verdienen real laut Studie so viel wie Mitte der 80er-Jahre. Gewerkschafter sehen Ursache in Leiharbeit

Hamburg. Die Bilanz ist ernüchternd. Die Einkommensschere zwischen Gering- und Hochqualifizierten geht immer weiter auseinander. Während Akademiker, Handwerksmeister oder Beschäftigte mit Abitur in den vergangenen 20 Jahren real - also nach Abzug der Inflationsrate vom nominalen Lohnplus - deutlich mehr Geld verdienen, ist das Reallohnniveau der ungelernten Kräfte auf den Stand von 1985 zurückgefallen. "Deutschland gilt heute als eines der OECD-Länder mit dem höchsten Anstieg der Lohnungleichheit", erläutert der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, das Ergebnis der neuen Studie.

Dass Besserqualifizierte mehr verdienen als Menschen mit schlechterer oder gar keiner Ausbildung, ist nicht überraschend. Neu aber ist, dass die Gehaltsdifferenz zwischen den Berufsgruppen immer stärker auseinanderdriftet. In Zahlen heißt dies konkret: Im Jahr 1984 verdiente ein 40 Jahre alter Vollzeitbeschäftigter mit einer abgeschlossenen Lehre im Durchschnitt etwa 19 Prozent mehr als ein gleichaltriger Ungelernter. Bis zum Jahr 2008 hat sich diese Lohndifferenz jedoch bereits auf 27 Prozent erhöht. Wer neben einer Handwerkerlehre auch noch einen Meister absolvierte, verdient mittlerweile sogar 61,7 Prozent mehr, während es 1984 nur 36,9 Prozent im Vergleich zu den Geringqualifizierten waren.

Universitätsabsolventen sind wiederum die größten Gewinner. Kassierten sie im Schnitt Mitte der 80er-Jahre noch 112,6 Prozent mehr als Unqualifizierte, sind es nunmehr bereits 158,3 Prozent. Nur die Geringqualifizierten hatten nach Analyse des IAB das Nachsehen. "Der Durchschnittsverdiener in der untersten Ausbildungskategorie hat in den vergangenen 25 Jahren von der Zunahme des gesellschaftlichen Wandels nicht profitiert", sagt der IAB-Chef Möller. Insgesamt kletterten die Reallöhne von Beschäftigten mit Lehre seit Mitte der 80er-Jahre um sieben Prozent, die von Fachhochschulabsolventen um 17 Prozent, Handwerksmeister bekommen heute 18 Prozent und Akademiker 22 Prozent mehr.

Die Ursachen der wachsenden Lohnungleichheit liegen vor allem in der Globalisierung der Arbeitswelt, so das IAB. Einfache Tätigkeiten werden zunehmend von billigen Arbeitskräften in Entwicklungsländern ausgeführt, die im Auftrag internationaler Konzerne tätig sind. Gleichzeit fielen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend einfache Arbeitsplätze weg und wurden in andere Länder verlagert - wie beispielsweise in der Bekleidungsindustrie. Gefragt seien dort dagegen Spezialwissen und höherwertige Jobs in der Entwicklung und im Design. "Die Einkommenskluft dürfte sich weiter vertiefen. Allerdings besteht die Hoffnung, dass die Gehälter angesichts des starken Fachkräftebedarfs in den nächsten Jahren wieder stärker steigen werden", sagt der Vizechef des IAB, Ulrich Walwei, dem Abendblatt.

Im Zuge der Wirtschaftskrise seien die Gehaltserhöhungen zugunsten der Arbeitsplatzsicherung geringer ausgefallen, was die Reallohnentwicklung weiter gebremst habe. "Durch den Nachwuchsmangel dürfte sich der Arbeitsmarkt jedoch in den nächsten Jahren von dem zuletzt dominanten Arbeitgebermarkt mehr und mehr hin zu einem Arbeitnehmermarkt wandeln", zeigt sich Walwei optimistisch. Allerdings hätten auch dann Qualifizierte die besten Chancen. Es werde zwar immer auch Stellen für Ungelernte geben, doch die Zahl dieser Jobs wird weiter abnehmen. Wer am Arbeitsmarkt erfolgreich sein wolle, für den gelte "Bildung lohnt sich immer", so Walwei.

Neben der Wirtschaftskrise sieht die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung die Ursachen für die sinkenden Realeinkommen vor allem in den Hartz-IV-Reformen und im Boom der Leiharbeit. "Immer mehr Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor, der politisch gefördert wird", sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Reinhard Bispinck. Zudem sei festzustellen, dass Beschäftigte mit Tarifverträgen - die zwei Drittel aller Arbeitnehmer ausmachen - stärkere Gehaltserhöhungen durchsetzen können als Mitarbeiter ohne Tarifverträge. Galt der Niedriglohnsektor in Deutschland lange Zeit als unterentwickelt, so habe sich diese Situation inzwischen deutlich gewandelt.

Für die Gewerkschaften ist die Situation ein Alarmzeichen. "Gerade in Großstädten wie Hamburg ist der gespaltene Arbeitsmarkt ein Problem. Alle ungelernten Kräfte sind die Verlierer", sagt Hamburgs DGB-Chef Uwe Grund. Der Gewerkschafter fordert mehr Anstand bei der Lohnfindung: "Während Vorstände für sich Millionenbeträge reklamieren, fordern sie von ihren Mitarbeitern, dass sie für 'nen Appel und 'n Ei arbeiten. Das hat mit Anstand und Würde nichts mehr zu tun." Stattdessen dringt Grund auf bessere Bezahlung für Leiharbeitskräfte und die Einführung eines branchenübergreifenden Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro die Stunde. "Wer weniger als 8,50 Euro verdient, ist nicht in der Lage, sein eigenes Leben zu finanzieren, geschweige denn eine Familie."