Der Offshore-Windpark “Alpha Ventus“ liefert Strom für insgesamt 50 000 Haushalte. Zu Besuch auf dem spektakulären Testfeld in der Nordsee.

Norden. Der Ort, an dem die deutsche Energiewende schon Realität geworden ist, liegt in der Nordsee weit außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer. Bei 54 Grad nördlicher Breite und 6 Grad 35 Minuten östlicher Länge drehen sich zwölf Mühlen im Wind. Jede einzelne ist höher als der Turm des Hamburger Michels, doch sie liegen soweit draußen, dass Strandspaziergänger sie weder von Norderney noch von Borkum oder Juist aus sehen können. Wer, wie Offshore-Monteur Tjado de Groot, hierher zum Windpark "Alpha Ventus" will, muss meist im Helikopter den Stürmen oder im Boot den Wellen trotzen. Doch an diesem warmen Frühsommertag ist das Meer sanft und die Passage ruhig. Vor mehr als zwei Stunden ist de Groot an Bord des Transportschiffs "Windforce 1" gegangen, seit einigen Minuten kann er endlich die Windräder am Horizont sehen. Langsam werden sie größer.

De Groots Arbeitsplatz ist das Vorzeigeobjekt der deutschen Offshore-Windkraft. Seit einem Jahr und zwei Monaten produziert das Testfeld "Alpha Ventus" Strom für 50 000 Haushalte, also für eine mittelgroße Stadt, und Wissen für eine Branche, die als Hoffnung der deutschen Energiewende gilt. Deutschland schaut auf diese zwölf Windräder, denn hier zeigen sich die Stürme und Flauten, die Kosten, Profite und Risiken einer im besten Fall umwelt- und wutbürgerfreundlichen Stromversorgung. Mit dem Atomausstieg hatte die Bundesregierung die Ziele für Offshore-Windkraft zuletzt hochgesteckt. Bis 2020 sollen Windkrafträder mit einer Leistung von zehn Gigawatt in Nord- und Ostsee installiert sein, unsichtbar vor den deutschen Küsten. Bis 2030 sollen sie sogar eine Leistung von 25 Gigawatt erreichen.

Bei dieser Prognose würden Offshore-Windparks alle deutschen Atomkraftwerke ersetzen, vorausgesetzt, der Wind bläst stark und regelmäßig. Nur so einfach wie auf dem Papier ist das Unterfangen in der Nordsee nicht. Niemand weiß das besser als die beiden Männer auf der "Windforce 1", Tjado de Groot und sein Chef Claus Burkhardt, der Projektleiter des Parks. De Groot steigt in seinen gelb-schwarzen Trockenanzug, der ihm bei einem Sturz ins Wasser Auftrieb verleihen würde. Im Winter ist der Anzug eine Überlebensgarantie, im Sommer eine Hitzequal. "Einmann-Sauna", sagt de Groot, seine blonden Haare glänzen vom Schweiß. Er zieht seinen Helm darüber, auf dem eine Bergarbeiter-Lampe klebt. Das Boot nähert sich dem Windrad AV 12.

Erst direkt unter den sich langsam drehenden Flügeln hört man das ansteigende Zischen, das viele Anwohner von Windkraftanlagen an Land so häufig monieren. Was das Ohr des Laien nicht erkennt, einer der Flügel ist leicht beschädigt. "Die Erosionsfolie hat sich gelöst", erklärt de Groot später. Mit einem Ruck dockt das Schiff an die Anlage AV 12 an. De Groot greift die Leiter und steigt mit Stakkato-Schritten nach oben. Ein Routineeinsatz. Der Offshore-Monteur soll die Füllstandsanzeigen der Schmiermittel und verschiedene Sensoren prüfen.

An Bord erzählt Projektleiter Burkhardt vom vergangenen Jahr. Er klingt ganz zufrieden, in neun Monaten hätten die Anlagen 190 Gigawattstunden Strom erzeugt - etwa fünf Prozent mehr als erwartet. Burkhardt arbeitet für ein Konsortium der Energieunternehmen EWE, E.on und Vattenfall, die sich an "Alpha Ventus" beteiligen. Sein wichtigstes Argument für Offshore: "Hier draußen drehen sich die Windräder 4000 Stunden unter Volllast, an Land sind es zwischen 2000 und 2500."

Was seine Bilanz zunächst außen vor lässt: Bei "Alpha Ventus" gab es gleich zu Anfang eine dicke Panne. Wenige Monate nach der Inbetriebnahme erhitzten sich Gleitlager in den Getrieben der Windräder AREVA Multibrid M5000. Ein Konstruktionsfehler. Sechs Gondeln mussten getauscht werden. "Das ist ein Testfeld, wir dürfen Fehler machen", sagt Burkhardt. Zu den Kosten des Gondeltausches sagt er nichts, nur, dass die Anlagen jetzt laufen.

Wetter, Wellen und die Tücken der Technik erschweren ständig die Wartung. Heute bleibt der angeforderte Helikopter aus - ein kleiner technischer Defekt. Ärgerlich für die Monteure, denn die Zeitfenster im Sommer mit ruhiger See sind naturgemäß die besten zum Arbeiten. Zwölf-Stunden-Tage gehören dann dazu.

Tjado de Groot klettert nach wenigen Minuten zurück an Bord. Alles okay. Er kennt die Windmühlen genau, nicht zuletzt wegen des 15. Dezember 2009. Damals überraschte sie eine Schneefront. Nebel und Schnee zwingen Helikopter grundsätzlich zu Boden. Mit vier Kollegen hing de Groot drei Tage auf der Mühle AV5 fest. "Bei null bis fünf Grad sind wir die Leitern hoch- und runtergestiegen, um uns warm zu halten." Ihr Glück: Auf jeder Windmühle gibt es eine Überlebensausstattung. "Chemietoilette, Wasser, Trockenfutter, Gaskocher und Schlafsäcke - man muss eben Sinn für Camping haben", sagt de Groot. Die Zeit habe er mit Betriebshandbüchern totgeschlagen. "Ich habe etwas über Wettervorhersagen gelernt, denn den Einsatz hatte ich selbst geplant."

Lernen, lernen und lernen - vor allem darum geht es für die Windbranche bei "Alpha Ventus". Welche Materialien halten am längsten? Welche Fundamente? Welche Kabel? Welche Boote eignen sich? Welche Bauverfahren? Was für Personal braucht man? Es sind viele Fragen, die der Park beantworten soll. Viel Zeit bleibt nicht mehr, Vollgas statt Versuch heißt es für die Branche nach dem Atomausstieg.

Am Abend, einige Stunden nach der Fahrt zum Park, betreten de Groot und Burkhardt einen unscheinbaren Backsteinbau in der kleinen niedersächsischen Stadt Norden. Der Park wird von hier gesteuert. In der Leitzentrale zeigen 14 Monitore Livebilder von den Mühlen, Grafiken, Charts, Tabellen, Seekarten. "Wir sehen jedes Fahrzeug, ob Schiff oder Helikopter, das sich dem Park nähert", sagt Burkhardt. Es knackt im Funkgerät. Ein Reparaturteam, das noch draußen ist, meldet sich zur Rückfahrt ab. Technik und Wetter scheinen hier in der Zentrale als beherrschbare Hindernisse. Aber die Kontrolle der Naturgewalt hat einen Preis, womit man beim dritten Hindernis für die Offshore-Branche ist, dem fehlenden Geld.

Ein Windpark mit 80 Rädern und rund 400 Megawatt Leistung kostet etwa 1,5 Milliarden Euro, schätzen Experten. Nur wenige Unternehmen können diese Summen stemmen. Für Investitionen und Kredite muss in dieser Größenordnung die Rendite halbwegs gesichert sein. Wenn der Bundesrat morgen die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) beschließt, winkt der Branche eine Vergütung von Offshore-Strom von 19 Cent je Kilowattstunde für einen Zeitraum von acht Jahren.

Völlig zufrieden wäre Burkhardt damit nicht. "Gefordert hatten wir 19,5 Cent für neun Jahre. Wir müssen konkurrenzfähig bleiben." Er denke an Großbritannien, Frankreich und Schweden, die ebenfalls auf Offshore setzen. Insbesondere die Briten hätten bessere politische Rahmenbedingungen, sie müssten zum Beispiel nicht so weit vor der Küste bauen.

Trotzdem ist Burkhardt optimistisch. "In 20 Jahren werden 5000 Anlagen hier draußen stehen", sagt er. Dass die Energiewende bislang noch keinen Offshore-Goldrausch ausgelöst hat, liege an den langen Genehmigungszeiten, an der Bürokratie. Die ersten Anträge für "Alpha Ventus" wurden um den Millenniumswechsel gestellt. Trotzdem muss es bei vielen Nordsee-Windparks demnächst losgehen. 23 Parks hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie bislang unter der Bedingung genehmigt, dass die Firmen innerhalb von drei Jahren mit dem Bau beginnen. So können sie nicht nur Claims abstecken.

Im Büro von Holger Grubel im Hamburger Vattenfall-Haus hängt ein Plan, auf dem die Nordsee mit bunten Rechtecken überzogen ist. Sie symbolisieren die geplanten Windparks. 80 Anlagen soll Grubel 70 Kilometer vor Sylt ins Meer stellen. Der Windpark "DanTysk" soll Strom für 400 000 Haushalte nach Norddeutschland liefern. Grubels Team hat 55 Mitarbeiter, darunter Ex-Marinesoldaten, Tunnelbauer, Containerschiffer und Onshore-Windkraft-Leute. Der Transformator sei bestellt, die wichtigsten Verträge besiegelt, sagt Grubel. Ende des Jahres soll der Bau der Räder beginnen.

Ab November 2012 sollen die Windmühlen in den Meeresgrund gerammt werden. "Dank 'Alpha Ventus' sind wir ein ganzes Stück klüger", sagt Grubel. Man wisse nun um die nötigen Schiffsgrößen und die Techniken, mit denen man Kabel in 30 Meter Wassertiefe einfädelt. Und noch etwas habe der Testpark "Alpha Ventus" gelehrt: Demut. Eine Investition in einen Offshore-Windpark, sagt Grubel, sei kein Selbstgänger.