Generation Praktikum: Immer mehr Akademiker dienen als billige Arbeitskräfte. 38 Prozent der Hamburger Firmen zahlen ihnen keinen Euro.

Hamburg. Julia Becker hatte sich ihr Praktikum in Hamburg etwas anders vorgestellt. Eine Internetfirma in der Reisebranche, das klingt interessant, dachte sich die Rheinländerin und war in den Semesterferien mit großen Erwartungen in die Hansestadt gekommen. "Ich wollte einen Einblick in die Tourismusbranche gewinnen - und dann saß ich jeden Tag im Callcenter", berichtet die 24-Jährige von dem eintönigen Job. Zwar bekam die Geografiestudentin 500 Euro, aber nicht einen einzigen Einblick in die Abteilungen, die sie wirklich interessierten. "Gelernt habe ich leider nichts", fasst Julia Becker resigniert ihre vier Monate in Hamburg zusammen.

Die verschenkte Zeit der Praktikanten bedeutet heute für immer mehr Firmen besonders billige Arbeit. In Hamburg arbeiten sogar 38,1 Prozent der Praktikanten mit Hochschulabschluss unbezahlt, hat jetzt eine Studie ergeben, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zusammen mit der Hans-Böckler-Stiftung und der Universität Berlin nach Befragungen von Hochschulabsolventen erstellt hat.

Praktika würden heute von den Arbeitgebern auch häufig nicht als Chance für den Berufseinstieg angeboten, sondern als Ersatz für regulär Beschäftigte genutzt, ergänzt Martina Rebien vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Diesen Trend bestätigt die DGB-Studie: 81 Prozent der Befragten gaben an, dass sie während ihres Praktikums vollwertige Arbeit geleistet haben. Bei 75 Prozent war die Arbeit von den Firmen nach dem Eindruck der Praktikanten fest in den Betriebsablauf eingeplant.

Hamburgs DGB-Vorsitzender Uwe Grund fordert angesichts der Studienergebnisse mehr Fairness von den Firmen: "Zum Praktikum gehört zum Beispiel ein Vertrag, vernünftige Betreuung, Bezahlung von mindestens 300 Euro und das Recht auf ein Zeugnis." Die durchschnittliche Vergütung der Praktikanten, die kein unbezahltes Praktikum machen, liegt laut der DGB-Studie derzeit bei 551 Euro.

In der Werbebranche, die traditionell viele Praktikanten beschäftigt, hat bei vielen Firmen bereits ein Umdenken eingesetzt. "Mehr als 80 Prozent unserer Mitglieder bezahlen die Praktikanten mit mindestens 350 Euro und halten sich an von uns festgelegte Standards", sagt Mirco Hecker vom Gesamtverband der Kommunikationsagenturen, der gut 100 der größten deutschen Werbeagenturen vertritt. Hecker rät Absolventen zudem, die Dauer ihrer Praktika zu begrenzen. "Drei bis sechs Monate reichen, um einen Eindruck von dem Beruf zu bekommen."

Bundesweit absolvieren jedes Jahr 600 000 junge Menschen Praktika in 300 000 Betrieben. Vor allem Akademiker hätten dabei zunehmend Schwierigkeiten mit einem reibungslosen Berufseinstieg, sagt René Rudolf vom DGB-Bundesvorstand. 38 Prozent der Befragten hätten nach Ende des Studiums mindestens ein Praktikum absolviert. Die meisten erhofften sich eine anschließende Anstellung, jedoch erfülle sich diese Hoffnung nur für knapp jeden Fünften. In Hamburg sieht die Situation besonders düster aus: Nur jeder zehnte Praktikant wird von Firmen der Hansestadt übernommen. Dabei erhofft sich nach der Studie jeder Zweite eine Übernahme nach dem Praktikum.

Der Missbrauch von Praktika habe sich zudem als "prekäres Element beim Berufseinstieg etabliert", sagt Rudolf. Jedes fünfte Praktikum werde durch Sozialleistungen mitfinanziert.

Auch der Bildungsausschuss des Bundestags hat sich gestern mit der Situation von Praktikantinnen und Praktikanten mit Hochschulabschluss befasst. Vertreter aus Politik und Wirtschaft diskutierten dabei auch über ein mögliches Gesetz, das die Akademiker schützen soll. Deutlich gegen eine gesetzliche Regelung sprach sich dabei Jürgen Wuttke von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände aus. Bei einer stärkeren Regulierung und höheren Kosten würden vor allem Praktika für praxisferne Absolventen wegfallen. Es seien einfach nicht alle Absolventen sofort in einem Unternehmen einsetzbar, betonte Wuttke.

Julia Becker rechnet damit, dass sie weitere Praktika machen wird, um nach ihrem Studium überhaupt eine Anstellung zu bekommen. Dabei ist sie flexibel: "Ich würde auch als Entwicklungshelferin nach Afrika gehen."