Postengeschacher im Direktorium der Zentralbank überschattet seine Wahl

Brüssel. Der Italiener Mario Draghi rückt als erster Südländer an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Ernennung wäre in letzter Minute fast noch an einem Streit zwischen Frankreich und Italien um die prestigeträchtigen Posten im EZB-Direktorium gescheitert. Draghi löst den Franzosen Jean-Claude Trichet an der Spitze der Zentralbank am 1. November ab. Die Amtszeit seines Nachfolgers beträgt acht Jahre.

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy wollte es nicht hinnehmen, dass künftig zwei Italiener in der Chefetage der Bank sitzen, während sein Land nach dem Ausscheiden von Trichet nicht mehr vertreten gewesen wäre. Das jetzige italienische Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi kündigte nun seinen vorzeitigen Rückzug aus der EZB-Spitze an. Seine Amtszeit hätte erst in zwei Jahren geendet. Doch die Regierungschefs von Frankreich und Italien hatten ausgemacht, dass Italien für einen Vertreter Frankreichs Platz machen würde, obwohl nationale Interessen bei der unabhängigen Zentralbank eigentlich keine Rolle spielen sollen. Frankreich bestand wie alle großen Länder darauf, in dem Spitzengremium dauerhaft vertreten zu sein.

Bini Smaghi hatte sich zunächst geweigert, solange er keinen alternativen Posten in Aussicht habe. In einem Gespräch mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy erklärte er sich aber zum Rückzug noch vor Ende des Jahres bereit. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie glaube, "dass die Unabhängigkeit der EZB voll gewahrt ist".

Draghi übernimmt die EZB-Führung in einer Zeit, die EU-Währungskommissar Olli Rehn kürzlich als "die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" bezeichnete. Das Amt gilt als Schlüsselposten in der Euro-Krise. Der 63-Jährige genießt jedoch großes Ansehen wegen seiner Diskretion und Ernsthaftigkeit.

Draghi hat Erfahrung mit Krisen. Er kam 2005 zur Banca d'Italia, als diese von Skandalen erschüttert wurde. Unter Draghis Leitung gewann die Bank international wieder an Format. Sein entschlossenes Handeln trug maßgeblich zur Stabilität des italienischen Bankensektors bei. Die Institute hielten Abstand zu toxischen Finanzprodukten und entgingen während der Finanzkrise allzu großen Problemen.

Seine Karriere verfolgte Draghi nicht nur in seiner Heimat. Er absolvierte ein Wirtschaftsstudium in Rom, anschließend promovierte er in den USA. Es folgten die Habilitation und die Arbeit als Professor an italienischen Universitäten. Draghi vertrat sein Land zwischen 1984 und 1990 bei der Weltbank, bevor er 1991 Generaldirektor im italienischen Finanzministerium wurde. Diesen Posten bekleidete er zehn Jahre lang. Bevor "Super Mario" zur Banca d'Italia wechselte, war er Vizepräsident bei der US-Investmentbank Goldman Sachs.

Die Italiener nehmen seine Analysen sehr ernst. Seine Appelle nach Reformen haben dennoch für ein angespanntes Verhältnis zu Wirtschaftsminister Giulio Tremonti gesorgt. Das hielt Rom dennoch nicht davon ab, ihn zum Kandidaten für den EZB-Chefposten zu machen. In diplomatischer Art und Weise wusste Draghi in den vergangenen Monaten Lockangebote in Richtung Berlin zu schicken. So lobte Draghi die deutsche Finanzpolitik und betonte mehrfach die Bedeutung der Preisstabilität. Mit diesem Vorgehen suchte der Italiener noch eines der letzten Hindernisse aus dem Weg zu räumen: seine Nationalität. Denn Italien und Preisstabilität ist für einige immer noch ein Widerspruch.