Deutschland-Chef Günter Butschek verteidigt die Personalpolitik des Flugzeugherstellers und spricht über die Projekte der Zukunft.

Hamburg. Bei Airbus rumort es wegen der Frage, wie viele Zeitarbeiter in dem Unternehmen arbeiten sollen. Die Gewerkschaft IG Metall hat bereits mit Streiks gedroht, sollte die Zahl in den nächsten Jahren nicht deutlich sinken. Derzeit liegt die Quote bei 20 Prozent. Das Abendblatt sprach mit dem neuen Airbus-Deutschland-Chef Günter Butschek, der erst seit wenigen Monaten die nationale Verantwortung bei dem Flugzeughersteller trägt, über den Zwist mit der Gewerkschaft und andere Herausforderungen für den größten Arbeitgeber in Hamburg.

Abendblatt:

Sie sind seit 1. April Produktionsvorstand des Airbus-Konzerns und Chef von Airbus Deutschland. Wie würden Sie die Phase charakterisieren, in der Sie Ihre Arbeit begonnen haben?

Günter Butschek:

Unsere Anteilseigner haben uns nach dem Programm Power8 den klaren Auftrag gegeben, profitables Wachstum zu erreichen. Die Ausgangslage ist gut. Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt, und wir wollen 2011 den Auslieferungsrekord aus 2010 von 510 Jets toppen. Beim A380 sind die Rückmeldungen der Fluggesellschaften und der Passagiere überwältigend. Unsere Großraumflugzeuge der A330-Familie verkaufen sich sehr gut, und die Nachfrage nach dem neuen A320neo zeigt, dass wir mit dem Flugzeug genau die richtige Entscheidung getroffen haben. Für Airbus und besonders für Hamburg ist dies eine spannende Phase.

Warum?

Butschek:

Weil die Produktionsraten steigen. Bei unserem Verkaufsschlager, der A320-Familie, erhöhen wir die Zahl der pro Monat gefertigten Flugzeuge von derzeit 36 auf 42 zum Jahresende 2012. Hamburg profitiert von diesem Ausbau: Hier gehen wir von 18 auf 25 Flugzeuge im Monat. Das unterstreicht den besonderen Stellenwert des Standorts als Kompetenzzentrum für die A320-Familie. Auch beim A380 legen wir zu. Wir haben vor einigen Tagen den 50. A380 ausgeliefert.

Airbus hat bis Ende Mai abzüglich von Stornierungen Aufträge über 97 Flugzeuge erhalten. Wie viele werden bei der Luftfahrtmesse in Le Bourget, die heute beginnt, hinzukommen?

Butschek:

Unser Ziel ist, am Jahresende einen klaren Nettozuwachs im Auftragsbestand zu haben. Das heißt: Wir erwarten, dass wir mehr Bestellungen erhalten als wir Flugzeuge ausliefern.

Ebenso wie Ihr Vorgänger bei Airbus, Gerald Weber, kommen Sie aus dem Fahrzeugbau. Was kann Airbus von der Autoindustrie lernen?

Butschek:

Die beiden Geschäfte sind eigentlich nur begrenzt vergleichbar, auch wenn hinsichtlich der Management- und insbesondere der Produktionsprinzipien ähnliche Anforderungen bestehen. Aber Flugzeuge sind in jeder Hinsicht deutlich komplexer. Daher gibt es zwar auch bei uns die Fließfertigung, aber mit Taktzeiten im Stunden- und nicht Minutenbereich. Dennoch sind wir dabei, die aus der Autoindustrie bekannten Prinzipien mehr und mehr einzusetzen. Bei den Langstreckenflugzeugen stellt uns aber die an Kundenwünschen orientierte Ausstattungsvielfalt vor enorme Herausforderungen. Beim A350 XWB gehen wir daher neue Wege.

Was bedeutet das konkret?

Butschek:

Wir wollen den Fluggesellschaften die Möglichkeit bieten, ihre Ausstattung aus einem Katalog zuvor definierter und fertig entwickelter Varianten auszuwählen, anstatt die Kabine für jeden Kunden neu entwickeln zu müssen. Das wird der Passagier nicht merken, da für die Fluggesellschaften weiterhin großer Raum zur Individualität und Differenzierung bleibt. Aber für uns bedeutet das niedrigere Kosten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Hierbei sind die Kompetenzen in Hamburg besonders wichtig. Im nächsten Jahr wollen wir hier ein Kabinenzentrum für den A350 XWB eröffnen, in dem die Kunden mittels virtueller Realität, aber auch anhand einer richtigen Ausstellung von echten Sitzen, Küchen oder Waschräumen ihre Wunschkabine zusammenstellen können. Dazu werden Kunden aus aller Welt nach Hamburg kommen.

Wie groß sind die Risiken im Zeitplan für die Markteinführung des neuen Hoffnungsträgers A350 XWB?

Butschek:

Dies war aus meiner Sicht von Anfang an ein sehr ambitioniertes Programm. Das Flugzeug wird erstmalig überwiegend aus leichten Verbundwerkstoffen bestehen und mit den Gewichtseinsparungen deutlich effizienter und umweltfreundlicher sein. Zudem haben wir schon früher und stärker als je zuvor Partner in das Programm eingebunden, die auch wichtige Entwicklungsaufgaben übernehmen. Und wir haben uns einen mehr als anspruchsvollen Zeitplan vorgenommen: Wir wollen 2012 das erste Mal fliegen und im zweiten Halbjahr 2013 das erste Flugzeug ausliefern. Aus heutiger Sicht sind das sportliche Vorgaben.

Im aktuellen Konflikt mit der Arbeitnehmervertretung über den sogenannten Zukunftstarifvertrag hat die Gewerkschaft mit Streiks gedroht. Muss den Beschäftigten die Position des Unternehmens angesichts der guten Auftragslage nicht unnötig hart erscheinen?

Butschek:

Natürlich könnten sich die Mitarbeiter die Frage stellen, warum sich das Unternehmen so schwer damit tut, eine Beschäftigungsgarantie weit über das Jahr 2012 hinaus zu geben. Aber ein volles Auftragsbuch ist kein Ruhekissen. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder massive Veränderungen in der Weltwirtschaft erlebt, oder denken Sie nur an die wirtschaftlichen Folgen der letzten Naturkatastrophen oder der politischen Umbrüche wie in Nordafrika. Diese Ereignisse können die Weltwirtschaft bremsen und den Auftragsbestand schnell abschmelzen lassen. Und wir haben immer noch einen sehr schwachen Dollar. Darauf müssen wir eingestellt sein. Ohnehin wird sich unser Markt gravierend verändern.

Können Sie das erläutern?

Butschek:

Wir glauben zwar, dass wir mit dem besonders effizienten A320neo, der Ende 2015 in den Liniendienst geht, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil haben. Doch es treten neue Wettbewerber unter anderem aus Brasilien, Kanada oder China in den Markt ein. Von denen wissen wir noch nicht, wie aggressiv sie sein werden. Aber alle gehen in den Markt für Flugzeuge um die 150 Sitzplätze. Das ist das Segment unserer A320-Familie, die gerade für Hamburg so wichtig ist. Ich denke, wir tun uns alle keinen Gefallen damit, wenn wir uns auf einen statischen Vertrag festlegen, der auf dem Status quo aufbaut. Flexibilität ist Wettbewerbsfähigkeit.

Im Werk Finkenwerder sind mehr als 2600 Zeitarbeiter beschäftigt. Setzt Airbus zu stark auf Leihkräfte?

Butschek:

Nein, Airbus hat nicht zu viele Zeitarbeiter. Wir setzen diese auch nicht zur Kostensenkung ein, denn sie erhalten das gleiche Gehalt wie ein Airbus-Beschäftigter. Es geht allein darum, auf mögliche Schwankungen im Geschäft reagieren zu können. Und auch die aus dem Wettbewerbsumfeld resultierenden Produktivitätsverbesserungen dürfen nicht gegen die Stammbelegschaft gehen. Mit rund 20 Prozent Flexibilität zu arbeiten halte ich nicht für übertrieben, sondern für einen vernünftigen Ansatz.

Wie wirksam können Sie die Interessen der deutschen Werke in der Airbus-Zentrale in Toulouse vertreten?

Butschek:

In erster Linie bin ich für die globale Produktion und Produktionsentwicklung verantwortlich. Einige Airbus-Vorstände sind jedoch wie ich gleichzeitig Geschäftsführer der Ländergesellschaften. Ich sehe mich daher als Sprachrohr und verantwortlich für Fragestellungen über Produktionsthemen hinaus für alle Standorte in Deutschland.

Wie viele Tage in der Arbeitswoche sind Sie in Deutschland?

Butschek:

Meistens einen Tag, manchmal zwei. Diese Zeit verteilt sich auf die deutschen Airbus-Werke, meine Aufgabe als Aufsichtsratsvorsitzender von Premium Aerotec in Varel, Nordenham und Augsburg sowie auf die Kommunikation mit wichtigen Zulieferern.