10 000 Hamburger betroffen. Auch Sozialkassen können Milliarden zurückfordern

Erfurt/Hamburg. Auf die deutsche Zeitarbeitsbranche rollen Milliardenforderungen zu. 280 000 Leiharbeiter, die einen Tarifvertrag mit der Christlichen Gewerkschaft haben, können auch rückwirkend höheren Lohn verlangen. Das geht aus dem schriftlichen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Tariffähigkeit der "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP)" hervor. Die Leiharbeitsfirmen, die den CGZP-Tarif angewandt haben, müssen zudem mit Nachforderungen der gesetzlichen Sozialversicherungsträger in Milliardenhöhe rechnen (Az.: 1 ABR 19/10).

Die Tarifgemeinschaft konnte somit niemals gültige Tarifverträge abschließen, auf deren Grundlage in der Leiharbeitsbranche vom Grundsatz der gleichen Bezahlung wie der Stammbelegschaften (Equal Pay) abgewichen werden durfte, sagte ein Gerichtssprecher. "Nach dem Gesetz gilt in dem Fall der Grundsatz Equal Pay." Wichtigster Tarifpartner der CGZP war der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP).

In Hamburg sind nach Schätzung der Gewerkschaft Ver.di mindestens 10 000 Leiharbeiter betroffen, die nach den Tarifen der CGZP bezahlt werden. "Je nach Art und Länge ihres Einsatzes können sie zwischen 7000 und 10 000 Euro Rückzahlungen pro Jahr erstreiten und damit bis zu rund 30 000 Euro", sagt Rechtsanwalt Holger Thieß, der in Hamburg mehrere Leiharbeiter vor Gericht vertritt. Allerdings müsse jeder sein Recht selbst einklagen. Entgangene Löhne könnten rückwirkend mindestens bis 2008 eingefordert werden. Anspruchsberechtigt seien alle Zeitarbeiter, die einen Tarifvertrag der CGZP haben und zugleich weniger verdienten als die Stammbeschäftigten.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die vor dem Gericht geklagt hatte, begrüßte das Urteil. "Es ist ein Erfolg für die Zeitarbeiter. Das BAG hat mit seiner Entscheidung ein klares Votum abgegeben, dass Leiharbeitnehmer, für die bisher die CGZP-Tarifverträge galten, rückwirkend Ansprüche auf die Differenz zum Equal Pay geltend machen können", sagte die stellvertretende Landesvorsitzende von Ver.di in Hamburg, Agnes Schreieder.

Auch die Rentenversicherung hat damit eine Grundlage, für alle Sozialversicherungen die Beiträge auf die Differenz zwischen Leiharbeitslohn und höherem Gehalt von Stammbelegschaften nachzufordern. Die Unternehmen müssten mit Nachforderungen von ein bis zwei Milliarden Euro rechnen, sagte Kilian Friemel, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing. Insbesondere kleinere Zeitarbeitsfirmen könnten durch hohe Nachforderungen in die Insolvenz getrieben werden. Die Rentenversicherung müsse nun umgehend die notwendigen Schritte einleiten, um die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge einzutreiben, forderte gestern DGB-Vorstand Claus Matecki.