Tausende Fahrgäste müssen Verspätungen hinnehmen. GDL schließt neue Warnstreiks nicht aus. Keine Einigung in Sicht

Hamburg. Warmen Kaffee und frische Brezeln gibt es nicht alle Tage auf dem Bahnsteig kostenlos. Am Freitagmorgen allerdings wollte die Deutsche Bahn am Hamburger Hauptbahnhof mit diesem besonderen Service die erhitzten Gemüter besänftigen, die in der Kälte wegen des Warnstreiks der Lokführer festsaßen. "Ich hatte noch gehofft, meinen Zug zu bekommen", erzählt Lena Kemper. Doch ihre Verbindung nach Göttingen fiel ersatzlos aus, und die 23-Jährige musste drei Stunden am Bahnsteig ausharren.

Wie Lena Kemper ging es Tausenden Reisenden in Deutschland. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte um Punkt 8.30 Uhr für drei Stunden den Zugverkehr bestreikt. Im Großraum Hamburg legten rund 200 Lokführer die Arbeit nieder. Betroffen waren die S-Bahnen, der Regional- und Fernverkehr der Deutschen Bahn sowie die Züge des Metronoms, der Nord-Ostsee-Bahn und der AKN. Ein Großteil der Züge stand während dieser Zeit still. Die S-Bahn fuhr teilweise nur im 20-Minuten-Takt. Der Fernverkehr war noch bis abends von Verspätungen gezeichnet.

Für die Gewerkschaft war der Warnstreik ein Erfolg: "Es haben deutlich mehr Zugfahrer gestreikt als am Dienstag. Unsere Mitglieder zeigten damit, dass sie einen Branchentarifvertrag wollen", sagte der Vizevorsitzende der GDL, Norbert Quitter, der persönlich zu den Streiks nach Hamburg angereist war. Die Frage nach weiteren Warnstreiks ließ Quitter offen. Die GDL würde aber auch künftig rechtzeitig, also einen halben Tag vorher, darüber informieren. Worum es in dem Tarifkampf geht, dazu beantwortet das Abendblatt wichtige Fragen:

Wie viel Geld verdienen Lokführer?

Ein Lokführer bei der Deutschen Bahn startet mit einem Monatsverdienst von 2330 Euro brutto. Nach 15 Jahren Berufstätigkeit steigt der Lohn auf 2768 Euro bei 12,5 Gehältern. Hinzu kommen monatlich im Schnitt 300 Euro Zulagen. Das jährliche Urlaubsgeld beträgt 409 Euro. Die Arbeitszeit liegt bei 39 Stunden, berichtet die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Bei den privaten Konkurrenten erhalten die Lokführer teilweise 30 Prozent weniger Geld - also knapp 1900 Euro. Damit verdienen Lokführer weniger als der Durchschnitt aller deutscher Arbeitnehmer, der laut Statistischem Bundesamt bei 3237 Euro liegt.

Worum geht es in dem Tarifkonflikt?

Die GDL will einheitliche Standards für alle 26 000 Lokführer im Nah-, Fern- und Güterverkehr durchsetzen, unabhängig davon, bei welchem Betreiber sie angestellt sind. Dafür verhandelt die GDL mit drei Arbeitgebergruppen: dem Staatskonzern Deutschen Bahn (DB), den sechs großen privaten Regionalbahnen (Abellio, Arriva, Benex, Hessische Landesbahn, Keolis und Veolia) - kurz G6 genannt - sowie einer Gruppe privater Güterbahnen. Die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn und den G6 erklärte die GDL im Januar für gescheitert, nachdem beide Verhandlungspartner sich in einem Schlichtungsverfahren mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG auf einen branchenweiten Tarifvertrag verständigt hatten - und zwar für alle Bahnbeschäftigten. Die GDL, in der drei Viertel aller Lokführer organisiert sind, will diese Vereinbarungen aber nicht übernehmen, sondern kämpft für einen gesonderten Abschluss für die Lokführer mit weitergehenden Forderungen.

Was fordert die GDL konkret?

Die GDL fordert ein einheitliches Entgelt für alle Lokführer auf dem Niveau der Deutsche Bahn plus einer Lohnerhöhung von fünf Prozent. Alle Lokführer sollen beruflich abgesichert werden, sofern sie durch einen unverschuldeten Unfall - wie bei Suiziden - fahrdienstuntauglich werden. Erhält eine Bahnstrecke einen neuen Betreiber, sollen die Lokführer von dem neuen Arbeitgeber übernommen werden. Zudem besteht die GDL auf einheitlichen Qualifikationsstandards. So sollten Lokführer den Abschluss einer mittleren Reife besitzen.

Worauf bestehen die Arbeitgeber?

Die Deutsche Bahn bezeichnet die Warnstreiks der GDL als "Irrfahrt". Viele Forderungen habe der Staatskonzern bereits erfüllt, so DB-Personalvorstand Ulrich Weber. So biete die DB ein Lohnplus von drei und zwei Prozent in zwei Schritten an, die Fürsorgepflicht für Lokführer sei bereits umgesetzt, der Vorschlag zur Qualifizierung akzeptiert. Die Privatbahnen ihrerseits sehen die wesentlichen Forderungen der GDL durch den abgeschlossenen Branchentarifvertrag mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG "längst erfüllt". Die soziale Fürsorge für Lokführer bei Unfällen sei "gelebte Praxis", das Gehaltsniveau der DB könne jedoch nicht "eins zu eins" auf alle Unternehmen übertragen werden. Auch stemmen sich die Privatbahnen gegen die mittlere Reife als Zugangsvoraussetzung für Lokführer. Dies käme "einem faktischen Berufsverbot für Hauptschüler gleich". Sowohl die DB und die G6 sind zu weiteren Verhandlungen mit der GDL bereit.

Ist mit einem langen Streik zu rechnen?

Die rund 34 000 Mitglieder der Gewerkschaft GDL stimmen derzeit in einer Urabstimmung über einen Streik ab. Das Ergebnis soll am 7. März vorliegen. Die GDL geht davon aus, dass eine Mehrheit für einen Streik stimmt. Die Streikkasse der Gewerkschaft reicht für längere Arbeitskämpfe.

Gibt es Fahrgelderstattungen?

Die Deutsche Bahn muss kein Geld bei Streiks zurückerstatten, "da Streik höhere Gewalt ist". Dennoch zeigte sich der Staatskonzern kulant und erstattete Fahrgästen, die ihre Reise wegen Verspätungen oder Zugausfällen nicht antreten konnten, ihre Kosten für die Fahrkarte plus Reservierung im Reisezentrum vor Ort. Der HVV zahlt über seine "Pünktlichkeitsgarantie" bei Verspätungen mit der S-Bahn ab 20 Minuten die Hälfte des Fahrpreises zurück, mindestens aber einen Euro. Um Geld zurückzubekommen, muss innerhalb von drei Tagen ein Onlineantrag auf der Website des HVV gestellt werden oder telefonisch unter 040/32 88 48 49.