Immer mehr Firmen suchen in sozialen Netzwerken wie Facebook den Dialog mit den Kunden. Doch bei vielen besteht Nachholbedarf.

Hamburg. Es hätte zum Desaster werden können. Als im vergangenen Jahr der Versandhandelskonzern Otto ein Gesicht für seine Facebook-Seite suchte, wählten 23 000 User ausgerechnet einen Studenten in Frauenkleidern und mit blonder Perücke aus dem Feld der Bewerberinnen. Die Netzgemeinde zeigte, wozu sie fähig ist - und das Hamburger Unternehmen, dass es die Spielregeln beherrscht. Statt die Entscheidung für ungültig zu erklären, bewies man Humor und ließ den 23-jährigen Sascha Mörs ordnungsgemäß fotografieren, inklusive High Heels. Innerhalb kürzester Zeit wuchs die Zahl der Fans auf aktuell rund 169 000. Die Marketingstrategie war aufgegangen.

Eine nette Anekdote. Und doch ist sie beispielhaft für das enorme Potenzial sozialer Netzwerke, das Unternehmen weltweit stärker für sich nutzen wollen. Dies zeigt eine aktuelle Studie der PR-Agentur Burson-Marsteller. Laut ihrem "Global Social Media Check-up" engagieren sich die 100 größten Firmen der Welt zunehmend auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube. Deutsche Unternehmen hinken im internationalen Vergleich allerdings noch hinterher.

Die Kommunikation mit den Usern ist nach Angaben von Burson-Marsteller häufig mangelhaft. Auf der Facebook-Seite der E.on AG etwa ist nicht mehr als eine Beschreibung des Energiekonzerns aus Wikipedia zu lesen. Die Folge: Lediglich 15 Nutzer haben den "Gefällt mir"-Button gedrückt. Ganz anders dagegen der Auftritt von Mercedes-Benz: Imagefilme, regelmäßige Postings und Fotos von neuen Produkten - der Aufwand wird mit momentan mehr als 2,5 Millionen Fans belohnt.

Licht und Schatten also, auch in Hamburg. Der Versandhändler Otto ist neben Facebook auf Twitter aktiv, hat mit "Two for Fashion" sogar einen eigenen Modeblog gestaltet. Für Stefan Klein, Projektmanager der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF), ist Otto einer der Vorreiter bei der effektiven Arbeit mit sozialen Medien. Nachholbedarf haben dagegen andere große Hamburger Unternehmen wie Fielmann und Tchibo, deren Facebook-Seite sich wie bei E.on auf ein Wikipedia-Profil beschränkt. Damit verpassen sie womöglich eine große Chance. Das meint zumindest Maik Königs, Geschäftsführer der Hamburger Social-Media-Agentur Elbkind. "Soziale Netzwerke bieten jedem Einzelnen die Möglichkeit, ehrliche Kritik an Produkten weltweit zu verbreiten. Das kann Auswirkungen auf das Marken-Iimage und das Kaufverhalten haben." Wer da weghöre, so Königs, habe es zukünftig womöglich schwer. Otto-Sprecher Thomas Voigt sieht Großunternehmen heutzutage regelrecht in der Pflicht, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wie sie sich dann auf den Plattformen positionieren, müsse jedes aber individuell entscheiden. Der Otto-Konzern wolle sich vor allem in die Netzgemeinde integrieren - als Gesprächspartner auf Augenhöhe.

"Social Media ist eine ganz neue Möglichkeit, mit den Kunden in einen direkten Dialog zu treten", bestätigt Stefan Klein von der HWF. Da reiche ein reines Firmenprofil längst nicht mehr. Videos, schnelle Antworten auf Nutzerfragen und vor allem ein erkennbarer Mehrwert seien entscheidend.

So versucht die Beiersdorf-Marke Nivea für ihre fast 45 000 Facebook-Fans durch Gewinnaktionen und Verlosungen interessant zu werden. Die Krankenkasse DAK bietet dagegen zukünftig eine iPhone-App an, mit der gezielt nach Servicezentren gesucht werden kann. Einer ähnlichen Strategie folgt die in Hamburg ansässige Kinokette Cinemaxx. Mithilfe einer App kann man sich hier zum gemeinsamen Filmabend verabreden."Wir wollen bei Facebook eine Gemeinschaft entstehen lassen", sagt Unternehmenssprecher Arne Schmidt. Das passiert nicht ohne Grund: "So wollen wir die jüngeren Leute erreichen."

Denn hinter dem Smalltalk mit dem Kunden auf modernen Plattformen steckt ein klassisches Marketingkalkül: die Imagepflege. Wenn also der Schuhkonzern Görtz via Facebook seine rund 18 000 Fans zum Tanzwettbewerb aufruft, ist das schlichtweg der zeitgemäßere Werbekanal als das Radio oder der Fernsehspot. Und empfiehlt Bloggerin Thuy auf "Two for Fashion" ihr Outfit der Woche, findet sich dort der direkte Link auf die Otto-Bestellseite.

Doch die öffentliche Kommunikation kann böse enden. Das bekam der Lebensmittelkonzern Nestlé zu spüren. In einem YouTube-Video kritisierte Greenpeace den Einsatz von Palmöl, weil dafür Regenwälder gerodet würden. Als Nestlé den Film entfernen ließ, entrüsteten sich Hunderte User auf der Facebook-Seite des Schokoriegels Kitkat von Nestlé. "Viele Unternehmen müssen sich daran gewöhnen, dass sie beispielsweise bei Facebook direkte Kritik bekommen", sagt Maik Königs. Bei der virtuellen Kommunikation verhält es sich wie im wirklichen Leben. Auch streiten gehört dazu.