Experten fürchten Verlust von Arbeitsplätzen beim Zusammenschluss der Frankfurter und New Yorker Handelsplätze

Hamburg/Frankfurt. Nach dem Paukenschlag kommt die Ernüchterung. Mit dem Zusammenschluss von Deutscher und New Yorker Börse soll der größte Handelsplatz der Welt entstehen. Doch Experten sehen noch viele offene Fragen bei der Realisierung des Vorhabens, auch wenn die wichtigen Posten schon vorab verteilt scheinen: Deutsche-Börse-Chef Reto Francioni soll als Verwaltungsratschef von Frankfurt am Main aus arbeiten. Nyse-Euronext-Chef Duncan Niederauer wird von New York aus die Super-Börse leiten. Die Arbeitnehmervertreter der Deutschen Börse fühlen sich völlig überrumpelt. "Es ist ein Unding, dass bereits über Führungspositionen gesprochen wurde, ohne dass der Aufsichtsrat eine Chance hat, sich da einzubringen", sagt Gremiumsmitglied und Arbeitnehmervertreter Johannes Witt.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sieht das Vorhaben dagegen positiv: "Wenn diese Fusion gelänge, wäre das eine außerordentliche und beeindruckende Leistung", sagt er dem Abendblatt. Aber generell sei wichtig, die Rolle des Finanzplatzes Frankfurt und der Deutschen Börse zu sichern und auszubauen. "Bei der Prüfung und Genehmigung müssen die Interessen des Finanzplatzes Frankfurt gewahrt bleiben", so Bouffier.

Das Abendblatt sprach mit Experten über die Auswirkungen der Fusionspläne auf Finanzmärkte und Anleger.

Was treibt Börsen zu Fusionen?

Die Börsenplätze stehen von mehreren Seiten unter Druck. "Große internationale Anleger wollen Handelsplätze, auf denen sie ihre Geschäfte schnell und kostengünstig abwickeln können", sagt Rüdiger von Rosen, Chef des Deutschen Aktieninstituts. Die Banken setzen die Börsen unter Druck, indem sie die Geschäfte lieber untereinander und nicht mehr über Börsen abwickeln und gleichzeitig alternative Handelsplattformen nutzen, die keiner Kontrolle unterliegen. Das entzieht den Börsen Geschäfte und verstärkt den Druck auf die Kosten. Den Ausweg sehen die Börsen in Fusionen.

Welche Probleme müssen beim Zusammenschluss bewältigt werden?

Die neue Super-Börse hätte in Europa einen Marktanteil von über 90 Prozent beim Handel mit Derivaten. Dabei handelt es sich um spekulative Wetten auf die Entwicklung von Aktien oder Rohstoffen. Das könnte die Wettbewerbshüter auf den Plan rufen. Die neue Börse vereint sieben Handelsplätze von New York über Paris bis nach Frankfurt. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man allen Börsen ein einheitliches Handelssystem überstülpen kann, was zu wirklich großen Synergien führen würde", sagt Dirk Schiereck von der TU Darmstadt.

Welche Auswirkungen hat die Fusion auf den Finanzplatz Frankfurt?

Bei einem Zusammenschluss hätte die Deutsche Börse einen Anteil von 60 Prozent. "Doch langfristig wird die Musik in New York spielen", sagt Bankenprofessor Wolfgang Gerke. "New York ist der bedeutendere Finanzstandort mit vielen Investmentbanken. Folglich werden auch Arbeitsplätze dorthin verlagert werden." Auch Rudolf Hickel von der Universität Bremen erwartet einen weiteren Arbeitsplatzabbau bei der Deutschen Börse, nachdem das Unternehmen bereits die Streichung von 370 Stellen angekündigt hatte. "Die amerikanische Finanzmarktphilosophie, mit der wir uns gerade im Zuge der Bankenkrise kritisch auseinandergesetzt haben, wird wieder an Einfluss gewinnen", sagt Hickel

Welche Folgen ergeben sich für Kleinanleger?

Gerke rechnet für Privatanleger nicht mit schlechteren Handelsbedingungen. "Je größer eine Börse wird, umso stärker werden die Interessen der Kleinanleger vernachlässigt", sagt dagegen Schiereck. Doch mit den Regionalbörsen wie Hamburg oder Stuttgart haben die noch 2,2 Millionen Aktionäre in Deutschland eine Alternative. "Kleine Handelsplätze werden von der Fusion profitieren."

Sind Super-Börsen eine Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems?

Hickel und Schiereck sehen die Super-Börsen kritisch. "Das sind dann Gebilde, die nicht in Konkurs gehen dürfen", sagt Bankenexperte Schiereck. Schon ein technischer Ausfall könnte zu großen Problemen führen. " Problematischer ist der große Handelsanteil außerhalb der Börsen, der keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt", sagt Gerke. Wenn es hier eine Trendwende gebe, sei das ein Vorteil für die Stabilität.

Wie schnell kommt die Fusion?

Schon in der kommenden Woche könnte der Weg geebnet werden. Der Zusammenschluss steht auf der Tagesordnung der nächsten Aufsichtsratssitzung der Deutschen Börse am nächsten Dienstag. Die Rollenverteilung scheint inzwischen klar. Die Führung des Aktienhandels soll von New York aus erfolgen und das Derivategeschäft und die Verwahrung von Wertpapieren von Frankfurt aus organisiert werden. Unklar ist noch der Name der neuen Börse. Möglicherweise muss ein Kunstname gefunden werden, der sich weltweit gut aussprechen lässt.