Auf Facebook gewinnt ein Student in Frauenkleidern. Soziale Netzwerke bieten Chancen und Risiken für Unternehmen

Hamburg. Eigentlich war alles nur ein großer Jux. Als der Hamburger Versandhandelskonzern Otto nach einem neuen Gesicht für seine Facebook-Seite suchte, schickte der Koblenzer Student Sascha Mörs ein altes Faschingsbild von sich ein. Es zeigte ihn in einem fiesen Frauenfummel, mit Federboa und blonder Perücke. Nicht gerade der Prototyp eines Otto-Models. Doch der Facebook-Gemeinde gefiel das schräge Bild so gut, dass sie den Studenten als "der Brigitte" zum Sieger des Wettbewerbs wählten. 23 000 User stimmten für den 22-Jährigen, der eine Reihe attraktiver Konkurrentinnen aus dem Feld schlug.

Daher fand sich Sascha Mörs nun mitten in einem Blitzlichtgewitter im Otto-Fotostudio wieder. Professionell geschminkt und in ein hautenges Nikolaus-Kleidchen Damengröße 44 gezwängt, lächelte er tapfer in die Kameras. "Das Model-Dasein ist überraschend anstrengend", sagte er nach dem ersten Fotoshooting seines Lebens. "Schwierigkeiten hatte ich vor allem mit den Stöckelschuhen." Und die Sache mit dem Schminken sei auch "ganz schön nervig".

Am meisten dürfte allerdings der Otto-Konzern von seinem neuen Aushängeschild überrascht gewesen sein. Das Beispiel zeigt, auf welches Glatteis sich Unternehmen begeben, wenn sie in sozialen Netzwerken auf Kundenfang gehen. "Facebook kann eine große Bedeutung für das Marketing vieler Firmen haben, birgt aber auch Gefahren", sagt Volker Nickel, Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft, dem Abendblatt. "Im Gegensatz zur klassischen Werbung haben die Unternehmen nicht mehr alle Fäden in der Hand, sondern begeben sich in die Abhängigkeit der Internetnutzer."

Tatsächlich hatte Sascha Mörs seine Model-Kandidatur nach der anfänglichen Jux-Phase durchaus professionell geplant. Zusammen mit seinen WG-Genossen aktivierte er seine rund 400 Facebook-Freunde, die dann wiederum ihre Bekannten zur Wahl von "Brigitte" animierten. Schnell landeten Hinweise auch auf Fanseiten von Kneipen und verbreiteten sich sogar bis ins Ausland. "Irgendwann ist die ganze Aktion zu einem Selbstläufer geworden", sagt Mörs. Neben positiven Kommentaren musste der Student allerdings auch herabsetzende Äußerungen wie "Schwuchtel" oder "Transe" über sich ergehen lassen.

Bei Otto wertet man den Model-Wettbewerb trotz der ungewöhnlichen "Gewinnerin" als Erfolg. "Wir haben ein enormes Maß an Aufmerksamkeit bekommen", sagt Konzernsprecher Thomas Voigt. Die Fangemeinde von Otto sei durch die Aktion auf bis zu 160 000 Mitglieder angewachsen. Den Wettbewerb abzubrechen oder ihn gar zu manipulieren habe zu keiner Zeit zur Debatte gestanden.

So gut wie für Otto ist das Experiment mit Facebook allerdings nicht für jedes Unternehmen ausgegangen. So richtete etwa die Deutsche Bahn erst kürzlich für eine Fahrkartenaktion eine Seite in dem Netzwerk ein. Mit dem sogenannten Chefticket sollten Kunden für 25 Euro durch ganz Deutschland fahren können. 3000 Fans meldeten sich an, doch anstatt freundliche Kommentare zu schreiben, beschwerten sich immer mehr Nutzer lieber über verspätete und verdreckte Züge.

Die Macht des Internets bekam Mitte des Jahres auch der Nahrungsmittelhersteller Nestlé zu spüren. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte zunächst mit einem YouTube-Video den Einsatz von Palmöl für die Herstellung von Schokoriegeln kritisiert. Dadurch würden Regenwälder in Indonesien gerodet und der Lebensraum der Orang-Utans zerstört. Als Nestlé daraufhin das Video aus dem Netz entfernen ließ, enterten wütende Internetnutzer die Facebook-Seite von Kitkat und pflasterten sie mit negativen Kommentaren zu. Letztlich musste der Konzern die Zusammenarbeit mit den Palmöl-Lieferanten beenden.

"Die Angst vor negativen Kommentaren ist sicherlich ein Hauptgrund dafür, dass sich viele Firmen noch nicht in die sozialen Netzwerke trauen", sagt E-Commerce-Expertin Aline Eckstein vom Kölner Forschungsinstitut ECC Handel. Wichtig sei, auf die entsprechenden Äußerungen der Internetnutzer einzugehen und sie ernst zu nehmen. "Der größte Fehler wäre es, negative Kommentare einfach zu löschen." Wer sich hingegen wie Otto auf die Spielregeln des Netzes einlasse, habe gute Chancen, das eigene Image zu verbessern und neue Kunden zu gewinnen.

BWL-Student Mörs betrachtet seinen Erfolg bei Facebook jedenfalls als Lehrstück zum Thema Marketing im Internet. "Mit meiner Erfahrung kann ich später vielleicht in der Werbung arbeiten", sagt er. Ins Model-Geschäft will er hingegen nicht wechseln. Von seiner schmalen Otto-Gage - einem Gutschein über 400 Euro - will er sich einen Strandkorb kaufen - "um mich vom anstrengenden Shooting zu erholen".