Für ihren Traum vom Ausstieg haben sie ihre sicheren Jobs aufgegeben. Frank und Christina Faß haben ihren Mut aber nie bereut.

Hamburg/Dörverden. Alle sechs Wölfe fallen gleichzeitig über Frank Faß und seine Frau Christina her. Sie knurren, fiepen, schlecken Hände und Nasen ab. Wolfsrüde Sirius wirft sich hechelnd auf den Boden und lässt sich den Bauch kraulen. Für die sechs Monate alten Grauwölfe sind Frank Faß und seine Frau die Rudelführer. Für das Ehepaar Faß sind die Pelztiere der Grundstein für ihren Wolfspark - und damit auch für ihr neues Leben. Dazu gehört auch das dunkelrote Holzhaus neben dem Tiergehege. Darum türmen sich Erdhügel, der Garten ist noch nicht angelegt. Erst vor sechs Wochen ist die Familie in ihr neues Zuhause eingezogen. Der Ausblick ist grandios: Wenn die Familie Faß am Esstisch sitzt, kann sie ihren Wölfen beim Abendessen zusehen. Die Schauer, die manchem Besucher bei diesem Anblick über den Rücken laufen, sind ihnen längst vergangen.

Für diese ungewöhnliche Nachbarschaft hat Frank Faß, 36, ein studierter Luftfahrtingenieur, seinen gut bezahlten und krisensicheren Job beim Flugzeugbauer Airbus aufgegeben. Christina Faß, 39, hat ihre Stelle bei den Bremer Stahlwerken gekündigt. Sie haben ihr Haus verkauft und 1,4 Millionen Euro in den Umbau eines ehemaligen Kasernengeländes in Dörverden investiert. Sie haben Zäune hochgezogen, Gehege gebaut, Infotafeln beschriftet, Seminarräume eingerichtet, fünf Mitarbeiter eingestellt und Wolfswelpen mit der Flasche aufgezogen. Sie haben von frühmorgens bis Mitternacht geschuftet und nebenbei noch ihr neues Wohnhaus hochziehen lassen. "Die letzten neun Monate waren die härtesten meines Lebens", sagt Christina Faß, eine zierliche Frau mit ansteckendem Lächeln. "Aber auch die schönsten."

Je stärker die eigene Motivation, desto größer ist der Erfolg

Glaubt man der Statistik, wird das Ehepaar mit seinem neuen Leben im Wolfcenter Dörverden erfolgreich sein. Das legen zumindest die Ergebnisse einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für die Zukunft der Arbeit nahe. Demnach hängt der Grad des unternehmerischen Erfolgs entscheidend von den Motiven der Gründer ab. Je stärker die eigene Geschäftsidee, das Besetzen einer Marktlücke oder der Wunsch, der eigene Chef zu sein, desto ausgeprägter sei der Erfolg der neuen Unternehmen.

Gründungen aus der Not heraus, etwa um Arbeitslosigkeit zu umgehen, haben laut der Studie deutlich schlechtere Chancen. Von den Hochmotivierten seien drei Jahre nach der Gründung 81 Prozent immer noch selbstständig gewesen, nur fünf Prozent waren arbeitslos. "Wer ohne externen Druck seine Leidenschaft zum Beruf macht, ist erfolgreicher", fasst Studienleiter Marco Caliendo zusammen.

Die Leidenschaft für Wölfe weckte eine Reise bei Frank und Christina Faß. Vier Wochen im Wohnwagen durch Kanada, wo frei lebende Wölfe keine Seltenheit sind. Zum Abschluss besuchte das Ehepaar ein Wolfcenter und lauschte gebannt den Vorträgen der Inhaber. "Damals wurde mir klar: Das will ich auch", erzählt Frank Faß, ein sportlich gebauter Mann mit offenem Gesichtsausdruck. "Ich war sowieso in einer Umbruchstimmung, von der ignoranten Industriewelt hatte ich genug." Kaum waren die beiden wieder zu Hause, schrieb er Konzepte, wälzte Bücher, addierte Zahlen. Plante Besuche bei Landräten, Behörden, Banken, Biologen und Weiterbildungen rund ums Tier. Seine Frau war damals im sechsten Monat schwanger.

Christian Wulff kam zur Einweihung des Wolfparks

Fünf Jahre später, im April 2010, geht Tochter Marieke in den Kindergarten. Zur Eröffnung des Wolfcenters ihrer Eltern kommt sogar der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff. Frank Faß trägt jetzt bei seinen Vorträgen grün-braune Arbeitskleidung mit dem Wolfcenter-Logo - statt Anzug und Krawatte wie früher bei Airbus.

Schon Anfang Oktober war die Marke von 20 000 Besuchern überschritten, die sich das Paar für das gesamte Jahr 2010 gesetzt hatte. Frank und Christina Faß sind die Attraktion des Jahres - nicht nur für den Landkreis Verden, sondern auch für ihre Freunde und Familien. Die ungezählten kritischen Stimmen wie "Was, seid ihr verrückt, eure festen Jobs aufzugeben?" sind verstummt.

Vom Ausstieg aus einer Berufswelt, die von Überstunden, Schichtdienst, Zeitdruck und ergebnislosen Konferenzen geprägt ist, träumen offenbar viele. Erschreckend viele sogar: Aktuelle Studien legen nahe, dass sich nur die wenigsten an ihrem Arbeitsplatz wirklich wohlfühlen. Laut Studien des Beratungsunternehmens Gallup haben 23 Prozent der Beschäftigten innerlich gekündigt und haben keinerlei emotionale Bindung an ihren Broterwerb. Ganze 66 Prozent gaben an, lediglich Dienst nach Vorschrift zu absolvieren. Der Motivationskick setze immer früher ein, haben Organisationspsychologen der Universität Dortmund herausgefunden: Zweifel mit Anfang 30 seien schon "völlig normal". Die Resignation am Arbeitsplatz schadet deutschen Unternehmen erheblich - bei Gallup werden die volkswirtschaftlichen Einbußen durch die innere Kündigung auf Summen zwischen 92 und 121 Milliarden Euro geschätzt. Die Betroffenen selbst opfern vor allem unbezahlbare Lebensqualität. Diverse Studien haben gezeigt, dass beruflicher Stress Depressionen und Angstzustände fördern und so der häufigste Grund für Krankmeldungen ist - vor allem in Ballungszentren wie Hamburg oder Berlin.

So ging es auch Yvonne Arndt. Ihr Job in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Altona war zwar sicher. Aber die tägliche Arbeit mit der Vergabe von Fanglizenzen in der Ostsee war eintönig. Jeden Tag strenge Vorschriften, unendlicher Papierkram, die Zeit bis zum Feierabend wollte nicht vergehen. Das wirkliche Leben der Hamburgerin begann am Wochenende, wenn sie mit ihrer Cocker-Spaniel-Hündin Momo durch Parks und Wälder streifte. Sie sehnte sich nach Abwechslung, Selbstbestimmtheit, mehr Lebensqualität. Ständig war sie krank. "Der Gedanke, noch 25 Jahre im Büro zu hocken, hat mich fertiggemacht", sagt Yvonne Arndt, eine resolute Frau mit Kurzhaarschnitt und festem Händedruck.

Zum Glück musste Momo regelmäßig zum Hundefriseur. Bei einem dieser Besuche bekam Arndt das spontane Angebot, in einen Salon in Iserbrook einzusteigen und den Beruf zu lernen. Sie überlegte keine drei Wochen, bis sie in der Behörde kündigte. "Ich wusste, so eine Chance kommt nie wieder", sagt sie und schneidet Riesenpudel Axel eine Sichtschneise in die dunklen Locken. Er ist einer ihrer Stammkunden, sein Frauchen hat schon Termine für 2011 gebucht. Denn die Warteliste ist lang, bis zu sechs Wochen müssen Hundebesitzer sich gedulden. Yvonne Arndt hat in den zwei Jahren, die sie den Salon Hundstage nun selbstständig führt, nur eine Woche Urlaub gemacht. Trotzdem war sie seit dem Abschied aus der Behörde nicht einen einzigen Tag krank.

Der Begriff Downshifting steht jetzt im Duden

Der Mut, mehr auf die innere Stimme zu hören, wächst. Der Begriff Downshifting, der den aus den USA herübergeschwappten Trend zu Verzicht auf beruflichen Aufstieg benennt, hat es mittlerweile in den Duden geschafft. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit steigt die Zahl jener, die ihr Arbeitsverhältnis auf eigene Initiative beendet haben, in Hamburg stärker als im Bundesgebiet: Zwischen Januar und September 2010 waren es 4560 Entschlossene, zwei Jahre zuvor 3430. Die Gründe können zwar vielfältig sein, laut einer Untersuchung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform ist Hamburg aber die deutsche Gründerhauptstadt. Auch die Handelskammer Hamburg meldete unlängst, die Nachfrage nach Gründercoaching sei deutlich gestiegen. "Die Dauerarbeitsstelle ist ein Auslaufmodell", beobachtet Jürgen Mehnert, seit 20 Jahren Gründungsberater bei der Handelskammer. "Für viele ist die Verwirklichung von persönlichen Vorstellungen am Arbeitsplatz sehr wichtig - auch deshalb liegt die Selbstständigkeit im Trend."

Für Frank und Christina Faß ist ihr Wolfcenter in Dörverden nicht nur ein neuer Arbeitsplatz. Es ist der Eintritt in eine neue Existenz. In ein Leben, zu dem auch Zukunftsängste, Seufzer der Erschöpfung und schmutzige Kleidung gehören. Dieses Leben fühlt sich gut an.