Die IG Metall votiert gegen ausländische Fachleute. Interview mit dem Vizechef Detlef Wetzel

Hamburg. Trotz der verbesserten Konjunktur sieht die IG Metall die Lage am Arbeitsmarkt kritisch. Das Abendblatt sprach mit dem Zweiten Vorsitzenden Detlef Wetzel über Löhne, Leiharbeit und ausländische Fachleute.

Hamburger Abendblatt:

Herr Wetzel, um die Nachfrage in Deutschland anzukurbeln, fordern Wirtschaftswissenschaftler, dass die Löhne deutlich steigen müssen. Die IG Metall hat für 2010 für die Stahlindustrie ein Plus von 3,6 Prozent vereinbart. Ein Richtwert?

Detlef Wetzel:

Der Abschluss sichert den Beschäftigten einen ordentlichen Anteil am sich abzeichnenden Aufschwung. Er ist ein Merkmal, in welchen Dimensionen künftige Abschlüsse liegen sollten. Mehr als drei Prozent sind grundsätzlich angemessen.

Wer sind die Verlierer am Arbeitsmarkt?

Wetzel:

Der Aufschwung geht an den Menschen mit Niedriglöhnen und an den Leiharbeitern vorbei. Leiharbeiter erhalten 30 bis 50 Prozent weniger Entgelt als Festangestellte und profitieren nicht von den Tarifabschlüssen. Knapp zwölf Prozent dieser Menschen müssen zusätzlich zu ihrer Arbeit Hartz IV beantragen. Das ist eine Schande. Zudem nutzen die Arbeitgeber die Leiharbeit, um im Gegenzug ihre Stammbelegschaften abzubauen. Deshalb muss die Bundesregierung das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz jetzt so ändern, dass bei einer gleichen Wertschöpfung im Betrieb auch das gleiche Gehalt gezahlt werden muss. Das würde den Trend zur Leiharbeit beenden. In den vergangenen drei Monaten wurden 60 Prozent der Neueinstellungen über Leiharbeit abgedeckt.

Die Firmen klagen über fehlende Fachleute. Müssen diese jetzt aus dem Ausland geholt werden?

Wetzel:

Solange Hunderttausende keinen Arbeitsplatz finden, die Betriebe zu wenig aus- und weiterbilden, geht die Diskussion in die falsche Richtung. Vor allem Hauptschüler, Jugendliche mit Migrationshintergrund und Frauen haben oft keine Chance. Die Unternehmen sollten zunächst das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland nutzen. Wir hätten keinen Fachkräftemangel, wenn genügend ausgebildet und diese Kräfte auch eingestellt würden. Es ist keine Lösung, Leute aus dem Ausland zu holen statt die Probleme hier anzupacken.

Die Werften bangen um ihre Zukunft, weil Berlin künftig nicht mehr bei der Finanzierung von Neubauten helfen will. Was sagen Sie Ihren Mitgliedern?

Wetzel:

Wir werden ihnen sagen, dass Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) aus unsinnigen Motiven die Axt an die Existenz des deutschen Schiffbaus legt. Es gibt weltweit kein funktionierendes Großprojekt, bei dem nicht zuvor die Finanzierung gesichert ist. Der Wandel der Werften zum Spezialschiffbau wird unterwandert.

Nach den aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur scheint eine Vollbeschäftigung in Reichweite. Wie stehen die Chancen?

Wetzel:

Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist sicher schön. Aber: Mit einer Million Leiharbeitern und fast sieben Millionen Menschen im Niedriglohnsektor bedeutet er noch keinen Aufschwung. Er wird erst nachhaltig, wenn die Menschen fest angestellt sind und von ihrem Lohn leben können - nicht mit einem Heer von schlecht bezahlten Arbeitnehmern. Ich warne vor Euphorie. Mit Niedriglöhnen und Leiharbeitern sind wir noch weit von einer Vollbeschäftigung entfernt.